Ein modernes Zentrum für die Bassersdorfer Bevölkerung

Die Zürcher Unterländer Gemeinde ist in den letzten Jahren schnell gewachsen. Mit dem neuen Dorfplatz erhielt die Bassersdorfer Bevölkerung ein modernes Zentrum, das städtisch daherkommt und trotzdem das Dorf zusammenhält. Nicht wenige Gemeinden dürften Bassersdorf darum beneiden, denn gleich zwei Grossverteiler säumen den Platz. Einfach hinzukriegen war dies nicht.
Monika Zumbrunn, Leiterin Kommunikation, EspaceSuisse

Am Anfang war – ein WC­-Häuschen, zumindest die Idee davon. Ein öffentliches WC, das wünschte sich die Bevölkerung von Bassersdorf, eine Flughafen-­Gemeinde bei Zürich. Patrik Baumgartner, Abteilungsleiter Bau + Werke von Bassersdorf, schmunzelt beim Gedanken, was aus dieser ursprünglichen Idee schliesslich entstanden ist: «Ein ganzer Dorfplatz mit Café und Springbrunnen!» Aber der Reihe nach.

Wir stehen auf der Dorfstrasse im Ortszentrum (vgl. Karte Punkt 1). Sie führt vom Norden, vom Gasthof Frieden kommend, auf den neuen Dorfplatz und ist die erste Station unserer Erkundungstour im neu gestalteten Zentrum. Bassersdorf ist längst kein Dorf mehr. Die Dorfstrasse aber bleibt, denn trotz der fast 12’000 Einwohnerinnen und Einwohner will Bassersdorf Dorf bleiben. Mit dem Bauboom um die Jahrtausendwende wuchs die Bevölkerung innerhalb kürzester Zeit um fast die Hälfte, und damit kamen neue Bedürfnisse. Nicht nur die Neuzuzüger wünschten sich ein «richtiges Zentrum». Es sollte der grossen Chilbi, der Bassersdorfer Fasnacht und vor allem auch der zu klein gewordenen Migros ­Filiale mehr Platz bieten. Ein Begegnungsort, verkehrsberuhigt und einladend.

Diese sechs Stationen machen die Erkundungstour zu einem Sternmarsch zum neuen Dorfplatz von Bassersdorf. Quelle: Bundesamt für Landestopografie swisstopo

Identität stärken

Wir folgen der Einladung und nähern uns erneut dem Dorfplatz, diesmal auf dem Baarainliweg (vgl. Karte Punkt 2). Auch Fasnachtswägli genannt, ist er Sinnbild für die lebendige Dorfkultur. «Basi», wie Einheimische liebevoll sagen, hat Dutzende aktiver Vereine. Das starke Siedlungswachstum jedoch brach mit althergebrachten Strukturen. «Mit einem Dorfplatz wollten wir die Identität stärken», erklärt Patrik Baumgartner. Dabei hatten die Bassersdorfer Glück, denn ihnen blieb ein identitätsstiftender Faktor erhalten: der intakte historische Dorfkern mit seinen bis zu 300 Jahre alten Häusern, wenige hundert Meter vom neuen Dorfplatz entfernt. Ein harziger Anfang fürs neue Zentrum Machen wir also als nächstes Halt auf diesem neuen Dorfplatz (vgl. Karte Punkt 3). Am Tag unseres Besuches plätschert der Springbrunnen, das Wasser glitzert in der Morgensonne. Die Leute gehen meist zielsicher über den Platz, ein kleiner Marktstand bietet einheimische Kirschen feil. Im Café sitzen ein paar Gäste. Die Autos und Lastwagen von der Hauptstrasse nebenan scheinen sie nicht zu stören

Ein harziger Anfang fürs neue Zentrum

Machen wir also als nächstes Halt auf diesem neuen Dorfplatz (vgl. Karte Punkt 3). Am Tag unseres Besuches plätschert der Springbrunnen, das Wasser glitzert in der Morgensonne. Die Leute gehen meist zielsicher über den Platz, ein kleiner Marktstand bietet einheimische Kirschen feil. Im Café sitzen ein paar Gäste. Die Autos und Lastwagen von der Hauptstrasse nebenan scheinen sie nicht zu stören. Etwas fällt auf Anhieb auf: Migros und Coop – nebeneinander. Dass dies nicht selbstverständlich ist, zeigt die lange Entstehungsgeschichte des Dorfplatzes.

Die Bauarbeiten für das neue Zentrum Bassersdorf dauerten rund drei Jahre. Im Vordergrund in der Mitte sieht man den Pavillon mit der Einfahrt in die Tiefgarage.
Foto: Mano Reichling, ixedi.ch FOTOGRAFI

Ein erster Anlauf steckte 2006 fest: Den entsprechenden, ersten Gestaltungsplan reichte der Gemeinderat gar nicht erst zur Genehmigung bei der kantonalen Baudirektion ein. Die Gemeindeversammlung hatte ihn zwar bewilligt – aber niemand war wirklich zufrieden damit (vgl. nachfolgendes Interview).

Was war geschehen? An der emotionalen Gemeindeversammlung folgte die Bevölkerung der Empfehlung des Gemeinderates und lehnte die im Projekt vorgesehene Tiefgarage unter dem Dorfplatz ab. Dem Entscheid vorausgegangen war ein Streit zwischen dem Gemeinderat und der Migros über die angemessene Kostenverteilung. Die unterirdischen Parkplätze aber waren Voraussetzung für die von allen Seiten herbeigesehnte Erweiterung der Migros ­Filiale. Nun war es vorläufig aus mit dem Traum, beides gemeinsam zu realisieren. Erst nach einigen Wirren und Umwegen entstand daraus das Zentrumsprojekt mit Tiefgarage, feierlich eingeweiht 2015. Aber dazu später. 

Multifunktionaler Dorfplatz

Patrik Baumgartner ist sichtlich stolz auf das Resultat: «Wir haben im Ortskern zwei gute Versorger für den täglichen Bedarf. Das Kleingewerbe gleich nebenan profitiert davon.» Der neue Dorfplatz schaffe zudem eine neue Identität für Bassersdorf. Früher habe sich die Chilbi vor der alten Migros ­Filiale irgendwie reingequetscht. «Heute halten wir hier im Sommer sogar die Gemeindeversammlung mit 250 Leuten ab.»

Der heutige Dorfplatz erhielt seinen Namen erst mit dem Umbau. Vorher war hier eine Art Brache mitten im Zentrum, genutzt als Parkplatz und für Veranstaltungen, eine Wiese nebenan, eine grosse Linde, und der stillgelegte, alte Bahnhof von Bassersdorf, der als Jugendhaus diente. Für das neue Zentrum musste unter anderem der alte Bahnhof weichen, die Jugend umziehen. Heute ist der Platz grosszügig in der Fläche und knausrig mit Grün. Manche Bassersdorfer klagen, er sei zu karg mit zu wenigen Sitzgelegenheiten. Ein paar Bäumchen stehen in der Tat ein bisschen gar verloren herum. Vielleicht, weil sie in übergrossen mobilen Töpfen Wurzeln schlagen müssen: Ist Chilbi angesagt, werden sie weggeräumt. Auch das Flachwasserbecken mit Springbrunnen kann trocken gelegt werden. An heissen Sommertagen aber spritzen sich hier die Kinder nass, während ihre Mütter und Väter einkaufen gehen. «Da geht es manchmal zu und her wie in einer Badi», sagt Patrik Baumgartner. Das Ziel eines lebendigen Platzes scheint also erreicht. Die Kehrseite: einige verärgerte Anwohnerinnen und Anwohner ob des Lärms. 

Das neue Zentrum liess sich nicht im Rahmen der geltenden Vorschriften für die Kernzone umsetzen. Der überarbeitete, zweite Gestaltungsplan von 2009 erlaubte dann massive Abweichungen: sechs statt zwei Stockwerke, Gebäude mit Längen von bis zu 80 Metern statt maximal 30, Flach­ statt Schrägdächer. Im Gegenzug wurde eine architektonisch und ortsbaulich «besonders gute Gesamtwirkung» beziehungsweise eine hohe Qualität gefordert. Mit dem Dorfplatz setzte Bassersdorf einen städtebaulichen Akzent. Er gilt als Schlüsselmassnahme der Entwicklungsstrategie «Bassersdorf 2030» (vgl. Kasten Entwicklungsstrategie «Bassersdorf 2030» und BZO-Revision).

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Nach Reklamationen aus der Bevölkerung stellte die Gemeinde mehr Sitzgelegenheiten zur Verfügung.
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Der Pavillon, der das Kafi beherbergt, gehört der Gemeinde Bassersdorf. Auf der Rückseite befindet sich die Einfahrt der Tiefgarage. Der Riegelbau im Hintergrund ist das Gemeindehaus mit der Verwaltung. Fotos: E. Van der Werf, EspaceSuisse

Chronologie der Zentrumsplanung Bassersdorf

2003 : Die Gemeindeversammlung genehmigt den Kredit für ein Wettbewerbsverfahren für einen verkehrsberuhigten Dorfkern.

2006 : Die Gemeindeversammlung genehmigt den (ersten) Gestaltungsplan für einen neuen Dorfplatz mit Erweiterung der Migros­-Filiale und einem Gebäude für die öffentliche Nutzung (Gemeindesaal, Bibliothek, Jugendhaus), aber ohne Tiefgarage. Gleichzeitig wird eine Begegnungszone mit Tempo 20 genehmigt.

2009 : Die Gemeindeversammlung genehmigt den überarbeiteten (zweiten) Gestaltungsplans mit je einem Neubau für Migros und Coop sowie einer gemeinsamen Tiefgarage. Auf das ursprünglich vorgesehene öffentliche Gebäude wird aufgrund der neuen Ausgangslage verzichtet.

2012 : Spatenstich

2015 : Einweihung anlässlich der Bassersdorfer Chilbi

Umstrittene Parkplätze

Wir machen nun auf unserer Entdeckungstour ein paar Schritte weg vom neuen Dorfplatz und stehen auf dem Postplatz gleich nebenan (vgl. Karte Punkt 4). Hier entstand in den letzten Jahren eine Begegnungszone; auf den Zufahrtsstrassen gilt Tempo 20. Rund ein Dutzend Kurzzeitparkplätze reihen sich vor der angrenzenden Apotheke und Bank auf. Der Postplatz steht stellvertretend für den Widerstand gegen die ehrgeizigen Entwicklungspläne des Gemeinderates. Während der ganzen Planungsphase für das neue Zentrum gab es zwar immer wieder Rekurse oder Gegeninitiativen, aber am Postplatz entfachte sich der Volkszorn. Denn dort wollte der Gemeinderat vor zwei Jahren quasi über Nacht alle Parkplätze aufheben, um die Begegnungszone vermehrt vom Individualverkehr zu befreien. Die Leute aber sammelten 2’000 Unterschriften; der Gemeinderat machte schliesslich einen Rückzieher (vgl. Interview). Heute werden die Postplatz ­Parkplätze rege genutzt, während die Tiefgarage gleich nebenan tendenziell unternutzt ist. 

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Die Tiefgarage unter dem Dorfplatz scheint nicht so beliebt zu sein: Mit rund 2’000 Unterschriften protestierte die Bassersdorfer Bevölkerung gegen die Aufhebung der Parkplätze auf dem Postplatz am Rande der Begegnungszone.
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Die Tiefgarage unter dem Dorfplatz hat eine direkte Zufahrt von der Hauptstrasse her. Der Dorfplatz ist autofrei. Fotos: M. Zumbrunn, EspaceSuisse

Aktiver Gemeinderat

Beim Postplatz mochte die Bevölkerung dem Gemeinderat also nicht folgen. Ansonsten hat der 7-köpfige Gemeinderat viel erreicht. Die nächste Station unserer Tour bringt uns deshalb auf ein schmales, namenloses Weglein, das beim Café­ Pavillon zum Gemeindehaus mit der Verwaltung abzweigt (vgl. Karte Punkt 5). Der Gemeinderat nahm bei der Zentrumsplanung eine äusserst aktive Rolle ein. Nach der turbulenten Gemeindeversammlung 2006 fackelte er nicht lange: Während die Migros nun Pläne in der Industrie­ und Gewerbezone ausserhalb des Zentrums beim Bahnhof schmiedete, nahm der Gemeinderat Kontakt mit Konkurrent Coop auf. Dieser zeigte Interesse an einer Filiale im Ortszentrum, und so wurde erneut intensiv verhandelt. Den von der Bevölkerung genehmigten ersten Gestaltungsplan liess der Gemeinderat vorläufig ruhen. Gut zwei Jahre später war klar: Coop ist neuer Partner in der Zentrumsplanung, Migros konzentriert sich auf einen Neubau im Bahnhofsgebiet.

Allerdings kam die Migros auch dort nicht weiter – aus heutiger Sicht ein Glücksfall: Denn die Gemeinde untersagte im letzten Moment Verkaufsflächen über 500 m2 für alltägliche Güter im Industrie­ und Gewerbegebiet. Die dafür notwendige Änderung der Bau­ und Zonenordnung war Voraussetzung, um die Migros wieder an den Verhandlungstisch zu bringen (vgl. Interview). Und das tat sie dann auch. Als weiterer Partner wurde ein Investitions­ und Entwicklungsunternehmen herbeigezogen, ein Wettbewerbsverfahren ausgeschrieben. Und schliesslich einigten sich die Beteiligten auch auf einen Finanzierungsschlüssel für die umstrittene Tiefgarage.

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Trotz Konkurrenz suchen Migros und Coop gerne die Nähe: Heute sind beide Grossverteiler im Zentrum von Bassersdorf vertreten.
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Die Warenanlieferung für die Migros-­Filiale findet direkt ab Hauptstrasse statt. Fotos: E. Van der Werf, EspaceSuisse

Weitere Projekte geplant

Nehmen wir nun die letzte Station in Angriff: Das Bahnwegli mündet von Süden kommend in den Dorfplatz und endet just an einer auffällig geraden Linie. Sie verläuft quer über den Dorfplatz und auf beiden Seiten darüber hinaus (vgl. Karte Punkt 6). Diese Linie markiert das ehemalige Eisenbahntrassee, das Bassersdorf bis 1980 zerschnitt – heute ein beliebter öffentlicher Fuss­ und Radweg und Symbol für das durchaus fruchtbare Spannungsfeld zwischen Alt und Neu.

Bassersdorf wird sich in Zukunft noch weiteren Herausforderungen stellen müssen, denn der neue Dorfplatz und die Begegnungszone waren erst der Anfang. In unmittelbarer Nachbarschaft ist ein zusätzliches Zentrum geplant: Das heute unternutzte Areal soll ebenfalls neu gestaltet werden – mitsamt einem öffentlichen Gebäude, das ursprünglich auf dem Dorfplatz vorgesehen war. Aber das ist Zukunftsmusik, denn der Gemeinde fehlt heute schlicht das Geld. Am Schluss unserer Erkundungstour stehen wir also wieder auf dem neuen Dorfplatz, mit dem Bassersdorf ein grosser Wurf gelungen ist. Nur etwas ist weit und breit nicht zu sehen: ein öffentliches WC­-Häuschen. Es wurde schon früh aus dem Projekt gekippt. Und so blieb dieser Wunsch der Bassersdorfer Bevölkerung bis anhin unerfüllt.

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Eine helle gerade Linie quert den ganzen Dorfplatz und markiert den Verlauf des ehemaligen Trassees der Eisenbahn, die Bassersdorf bis 1980 zerschnitt. Heute ist der Gleisweg ein beliebter Fussgänger­ und Veloweg quer durch Bassersdorf. Foto: M. Zumbrunn, EspaceSuisse

Entwicklungsstrategie «Bassersdorf 2030» und BZO-Revision

Die Dorfplatz­Gestaltung ist eine Schlüsselmassnahme in der Entwicklungsstrategie, die der Gemeinderat in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung erarbeitet hat. In den kommenden Jahren wird eine Reihe umfangreicher Infrastrukturprojekte die räumliche Entwicklung beeinflussen: So die geplante Glattalautobahn, die GlattalbahnPlus (Tram) oder der Brüttener Tunnel (Eisenbahn). Auch die seit Jahren sehr hohe Verkehrsbelastung wird Bassersdorf in Zukunft stark beschäftigen.
«Bassersdorf 2030» dient auch als Grundlage für die laufende Revision der Bau­ und Zonenordnung (BZO), die zurzeit heftig diskutiert wird. Der Gemeinderat wollte ein Gebiet südlich des Bahnhofs als Wohngebiet entwickeln. Die Gemeindeversammlung nahm jedoch eine Initiative an, welche die Einzonung von weiterem Bauland verbietet. Sie untersagt zudem auch Zonen mit Hochhäusern über 25 Meter. Offen ist, ob dieses «Hochhaus»­Verbot mit der übergeordneten Planung zu vereinbaren ist.

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Der neue Dorfplatz von Bassersdorf wurde 2015 anlässlich der Chilbi eingeweiht. Foto: Mano Reichling, ixedi.ch FOTOGRAFIE

Eckpunkte des neuen Dorfzentrums

  • Betroffener Perimeter in der Kernzone: 10’612 m2
  • 3 Neubauten: vier­ bis sechsgeschossiges Gebäude für Migros (1’800 m2 Verkaufsfläche), viergeschossiges Gebäude für Coop (1’200 m2 Verkaufsfläche), mit total 71 Wohnungen, eingeschossiger Pavillon mit Café und Gewerbebetriebe
  • Gebäude mit Minergie­-Standardqualität, Platz ist behindertengerecht
  • Tiefgarage mit knapp 200 öffentlichen und bewirtschafteten Parkplätzen; davon gehören 40 der Gemeinde als Ersatz für die oberirdischen Parkplätze (vor der Umgestaltung)
  • Erschliessung der Tiefgarage direkt von der Hauptstrasse her, Dorfplatz selber ist autofrei
  • Kosten der Gemeinde für den Dorfplatz mit Pavillon: rund 5 Mio. Franken (plus 1,3 Mio. Franken für die Parkplätze in der Tiefgarage)

Im Interview mit Doris Meier-Kobler

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Doris Meier-Kobler ist seit 2010 Gemeindepräsidentin (FDP) von Bassersdorf, begleitete die Zentrumsplanung mit dem neuen Dorfplatz aber bereits ab 2004 als Gemeinderätin. Die ETH-­Architektin wohnt seit 1996 in Bassersdorf.

Doris Meier, der Dorfplatz ist ein Steinwurf vom Gemeindehaus entfernt. Wann flanierten Sie das letzte Mal über den neuen Platz oder setzten sich vielleicht ins Café?

Im Café bin ich selten, aber über den Dorfplatz spazierte ich erst gestern.

Und mit welchem Gefühl?

Mit einem guten! Die Bevölkerung nutzt ihren Dorfplatz sichtlich. Ich freue mich sehr über das Leben dort, zum Beispiel über die spielenden Kinder beim Springbrunnen. Ich glaube, die Gemeinde hat beim Zentrum Bassersdorf vieles richtig gemacht.

Und dennoch kam von verschiedener Seite auch Widerstand. Als Gemeindepräsidentin spielten Sie bei der Planung des Dorfplatzes eine aktive Rolle. Warum ist dies so wichtig?

Ein Gemeinderat hat die strategische Aufgabe, Visionen für die Gemeinde und ihre Bedürfnisse zu entwickeln. Für Bassersdorf war es der fehlende Begegnungsort. Bei der Umsetzung einer Vision muss der Gemeinderat gut zuhören und zum Beispiel den Widerstand der Bevölkerung mitnehmen. Aber es braucht manchmal auch den Mut, etwas durchzuziehen und eine Idee weiterzubringen – trotz sich teilweise widersprechenden Interessen. Wichtig ist, sich immer wieder zu fragen, ob man noch auf Kurs ist. Bassersdorf hat heute einen Begegnungsort, einen «Dorfplatz» und keinen «Stadtplatz», wie er auch zur Diskussion stand. Auf dem Weg zum Ziel haben wir einige Extraschlaufen in Kauf nehmen müssen, doch das Ziel haben wir erreicht. 

Sie plädieren für Mut, etwas durchzuziehen. Allerdings wollte die Bassersdorfer Bevölkerung dem Gemeinderat mehrmals nicht folgen. Jüngstes Beispiel ist der Postplatz, der an den Dorfplatz angrenzt und nun nicht verkehrsberuhigt ist. Hat sich da der Gemeinderat verschätzt?

Der Postplatz hat viele Funktionen und Aufgaben zu erfüllen. In der Umsetzung haben wir wohl ein wenig zu schnell gehandelt ohne eine vorausschauende Information. Wir haben daraus gelernt. Grundsätzlich sehe ich die Mitwirkungsprozesse für die Bevölkerung als Medaille mit zwei Seiten: Mitreden ist die eine, die andere: Es sind vielleicht vierzig Leute, die mitreden und an diesen Prozessen teilnehmen. Da stellt sich die Frage, wer die Bevölkerung tatsächlich repräsentiert: diese vierzig Personen oder die grosse schweigende Mehrheit? Klar, man soll immer wieder zuhören, aber am Schluss muss eine Behörde auch stark genug sein, eine Idee umsetzen zu können – mit dem Risiko, Schiffbruch zu erleiden. Bemerkenswert an der Planung des Postplatzes ist ja, dass der runde Tisch aus dem entsprechenden Mitwirkungsprozess eine Lösung erarbeitet hatte, die dann die Gemeindeversammlung trotzdem ablehnte.

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Im alten Bahnhof hatte sich die Jugend einquartiert. Für die Neugestaltung des gesamten Areals kam der Abrissbagger. Foto: Mano Reichling, ixedi.ch FOTOGRAFIE

Interessant am ganzen Planungsprozess war auch der Entscheid des Gemeinderates, die Idee eines Dorfplatzes mit Tiefgarage nicht fallen zu lassen, obwohl die Gemeindeversammlung das entsprechende Projekt zuvor abgelehnt hatte. Das scheint demokratiepolitisch recht heikel.

Ja, das mag sein. Aber bereits an jener Gemeindeversammlung zeigte sich deutlich, dass niemand wirklich glücklich mit dem Entscheid war. Es lag in der Verantwortung des Gemeinderates, dies aufzunehmen – umso mehr, weil dieser erste bewilligte Gestaltungsplan raumplanerisch schlicht nicht überzeugte. Es brauchte den Mut, einen ausserordentlichen Weg zu gehen und den bewilligten Gestaltungsplan mal ruhen zu lassen. Aber man kann uns dies auch negativ auslegen.

War das die heikelste Phase im ganzen Prozess?

Ja, das ist so. Interessanterweise kam aber niemand auf die Gemeinde, um nachzufragen, warum es beim bewilligten Gestaltungsplan nicht vorwärtsging. Wir diskutierten nach der Gemeindeversammlung nochmals weitere Projektvarianten. Der Dorfplatz war ein sehr wichtiges Projekt für Bassersdorf, und deshalb waren all diese Extraschlaufen richtig.

«Nach dem ersten Gestaltungsplan war sehr viel Taktik gefragt. Wir mussten strategisch überlegen, wie wir ans Ziel kommen – nämlich zu einem belebten Dorfplatz mit gutem Versorgungsangebot für Bassersdorf.»
Doris Meier-Kobler, Gemeindepräsidentin

Ebenfalls entscheidend waren die Verhandlungen mit der Migros. Diese wollte nicht mehr im Zentrum ausbauen, sondern ausserhalb beim Bahnhof. Auch da machte der Gemeinderat Schlagzeilen, indem er mit einer Revision der Bau- und Zonenordnung kurzerhand Einkaufszentren im Industrie- und Gewerbegebiet untersagte. Ebenfalls ein unorthodoxer Vorgang.

Wir mussten handeln und raumplanerisch denken. Uns ging es einerseits um die Versorgung im Dorf und andererseits um die Verkehrssituation. Ein Einkaufszentrum beim Bahnhof hätte noch mehr Autos und Lastwagen ins Zentrum von Bassersdorf gebracht. Wir wussten, wenn wir nicht handeln, müssen wir das zonenkonforme Baugesuch der Migros bewilligen. Und wir wussten auch, in diesem Fall hätten wir das Verkehrsproblem nie mehr in den Griff bekommen. Natürlich verärgerten wir damals auch Grundeigentümer, die ihr Land beim Bahnhof gerne verkauft hätten. Aber das ist nun mal die Krux in der Raumplanung: Wie viel regulieren? Wo soll der freie Markt spielen? In der Raumplanung muss eine Gemeinde gewisse Bereiche regulieren, sonst passiert es einfach. Das kann der Gemeinde gelingen, wenn sie mit den Partnern eine Win-­Win-­Situation schafft.

Wie schafften Sie es schliesslich, nicht nur die Migros zurück ins Zentrum zu bringen, sondern auch noch Coop ins Boot zu holen?

Auch die Migros war mit dem ersten Gestaltungsplan für den Dorfplatz nicht glücklich. Wir führten nochmals intensive Gespräche, und ich lernte dabei, dass Migros und Coop Standorte gleich nebeneinander eigentlich bevorzugen. Darauf überlegten wir das Dorfplatz­-Projekt nochmals neu und machten uns daran, weitere Partner zu suchen und fanden ihn mit Coop. Zusammen mit der Migros konnten wir einen neuen Studienauftrag erarbeiten. Aus Sicht der Gemeinde darf man sich nicht scheuen, die eigenen Standpunkte immer wieder einzubringen. Mit unseren Partnern konnten wir gute Diskussionen auf Augenhöhe führen. 

Der Löwen­Kreisel verbindet drei Hauptstrassen und ist damit Verkehrsknotenpunkt in unmittelbarer Nachbarschaft zum neuen Dorfplatz (liegt vom Betrachter her gesehen im Rücken rechts). Foto: E. Van der Werf, EspaceSuisse

Was war am Schluss entscheidend: Ihre Taktik oder glückliche Umstände?

Nach dem ersten Gestaltungsplan war sehr viel Taktik gefragt. Wir mussten strategisch überlegen, wie wir ans Ziel kommen – nämlich zu einem belebten Dorfplatz mit gutem Versorgungsangebot für Bassersdorf. Bei den vielen Gesprächen halfen natürlich die Kontakte der einzelnen Gemeinderäte, die aus verschiedenen Berufen kommen und damit über verschiedene Beziehungsnetze verfügen. Ein Gemeinderat muss sein Netzwerk intensiv pflegen. Entscheidend ist, dass er eine aktive Rolle übernimmt.

Auf Bassersdorf kommen bald grosse Infrastrukturprojekte zu. Welche Erfahrungen aus der Zentrumsplanung nehmen Sie dafür mit?

Am Anfang sollte sich der Gemeinderat sehr schnell einen Grundsatzentscheid der Bevölkerung holen. Es ist wie beim Bau eines Hauses: Auf ein Fundament kann ich bauen. Wenn ich beim Dach beginne, weiss ich nicht, was unten beziehungsweise später passiert. Was braucht die Gemeinde wirklich? Da gehen die Bedürfnisse und Ideen schnell auseinander. Darum sollte man stets Varianten diskutieren und nicht bereits zu Beginn allzu stark fokussieren. Es gilt dann herauszufinden, was die Mehrheit der Bevölkerung tatsächlich will. Dies sollte ein Gemeinderat wissen, bevor er sich an die Details eines Projektes macht.

Interview: Monika Zumbrunn, EspaceSuisse

Inforaum 3/2019: z.B. Bassersdorf ZH

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