Terrain Gurzelen: Zwischenutzung auf Stadionbrache

2016 wurde der Fussballbetrieb auf dem Terrain Gurzelen in Biel eingestellt. Da es einige Jahre dauern wird, bis hier ein neues Quartier Form annimmt, entschied der Bieler Gemeinderat, eine Zwischennutzung im ehemaligen Fussballstadion zu ermöglichen. Diese deckt viele Raumbedürfnisse der Quartierbewohner und der Stadt ab und hat ein kreatives Miteinander ausgelöst. Anfang 2019 teilte die Stadt Biel mit: «Die Zwischennutzung Terrain Gurzelen ist ein Erfolg und wird verlängert.»
Biel_Gurzelen Zwischennutzung auf dem Stadionrasen
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Ausblick von der Tribüne des ehemaligen Bieler Fussballstadions Gurzelen auf die vielfältigen Zwischennutzungen.
Foto: Philippe Gasser

Der FC Biel zog 2015 in die neue Tissot Arena um. Ein Jahr später war definitiv Schluss mit Fussball im 1913 erbauten Stadion Gurzelen. Die Stadt kündete den Abriss des Stadions an. Mit diesem Plan stiess sie aber auf Widerstand aus Kreisen des Architekturforums Biel, denn die geplante Neubebauung für genossenschaftliches Wohnen lag noch in weiter Ferne. Ein Netzwerk von engagierten Personen erarbeitete daraufhin im Sommer 2016 ein Konzept für eine quartiernahe Zwischennutzung. Sie gründeten den «Verein Terrain Gurzelen» und verhandelten mit der Stadt. Das Konzept des Vereins überzeugte, und so entschied der Gemeinderat Ende Oktober 2016, das Stadion Gurzelen für vorerst drei Jahre dem Verein Terrain Gurzelen für eine soziokulturelle und quartiernahe Zwischennutzung zu überlassen.

Eckdaten der Zwischennutzung Terrain Gurzelen – Biel/Bienne

  • Adresse: Ecke Falkenstrasse/Champagnerallee.
  • Eigentümerin: Stadt Biel.
  • Verwaltung: Trägerverein «Verein Terrain Gurzelen».
  • Lage: Quartier Champagne, 2km vom Bahnhof Biel entfernt: Karte
  • Arealfläche: ca. 26'000 m2
  • Nutzfläche: Innenräume ca. 1'000 m2, ganze Aussenfläche, gedeckte Tribünen.
  • Struktur: Im Tribünengebäude diverse mittelgrosse Nutzräume.
  • Nutzung ehemals: Fussballstadion, Trainingsplatz.
  • Zwischennutzungen: ca. 20 eigenständige Projekte aus Kultur, Sport, Unterhaltung, Gastronomie, Soziokultur, Urban Farming.
  • Dauer: Erste Phase 2017 – 2020; 2019 unbefristet verlängert.
  • Transformation: genossenschaftliche Wohnungen beabsichtigt.
  • Besonderes: Einzige öffentlich zugängliche Rasen-Tennisplätze der Schweiz.
  • Entstehung der Zwischennutzung: Architekturforum intervenierte bei der Stadt gegen den vorzeitigen Abriss.

Soziokultur statt Vandalismus

Nach nur wenigen Monaten lag im Dezember 2016 ein Gebrauchsleihvertrag für drei Jahre Zwischennutzung auf dem Tisch. Dass alles so schnell ging, lag wohl daran, dass man in der Stadt Vandalismus befürchtete. Eine geregelte Zwischennutzung sollte dem vorbeugen. In der Aufbauphase meldeten sich spontan verschiedene lokale Vereine mit eigenen, zusätzlichen Ideen für Projekte auf dem Terrain Gurzelen; es lockte sie die Aussicht, auf der ansonsten öden Brache pionierhafte kreative und soziale Projekte verwirklichen zu können.

Biel, Gurzelen: Algen-Zuchtbetrieb
Eine innovative Zwischennutzung auf dem Gurzelen ist die Anlage zur Züchtung von Spirulina-Algen als hochwertige Nahrungsmittelergänzung.
Foto: Aline Keller

Kreatives Universum von Pionieren

Auf dem Terrain Gurzelen hat sich ein vielseitiger, lebendiger Kosmos entwickelt: In den wenigen Innenräumen der Stadiontribüne sind ein Gemeinschaftsraum, ein Tonstudio, eine Werkstatt zur Renovation von alten Möbeln, ein kleiner Gastrobetrieb (BuiBui, mit Mittagstisch), ein Food-Sharing-Standort, ein Nähatelier und ein gemeinschaftliches Künstleratelier entstanden. Die Tribüne dient vielfältigen Nutzungen, etwa für ein kleines Openair-Kino und für die Zucht von Bienenköniginnen. Viel Spass für Jung und Alt bietet die lange Wasserrutschbahn.

Die Hauptattraktion sind jedoch die Freiflächen des Stadions und der Trainingsplätze. Im ersten Jahr der Zwischennutzung wurden dort als Referenz auf die Kriegsjahre Kartoffeln angepflanzt, später Getreide und Mais. Eine Kinderbaustelle ermöglicht spielerisches Experimentieren, eine Skaterbahn eine waghalsige Schussfahrt. Nebst klassischen Urban Gardening-Planzen werden auch Spirulina-Algen gezüchtet.

Bemerkenswert sind auch die beiden fachmännisch angelegten Rasentennis-Plätze, notabene die einzig öffentlich zugänglichen in der Schweiz, wo auch mal ATP-Spieler vorbeischauen. Die Gegentribüne des einstigen Stadions diente u.a. der Schule für Gestaltung als Arbeits- und Ausstellungsort. Ferner gibt es einen Gästesektor für temporäre Aktionen von Nichtvereinsmitgliedern; er diente einmal 2‘500 Menschen aus Eritrea als Kultstätte. Zudem finden kleine Parties und grosse Feste statt.

Kleiner Verein mit grosser Wirkung

All diese Aktivitäten werden mit kleinem Budget vom «Verein Terrain Gurzelen» mit rund 100 Mitgliedern gemanagt. Er hat die Leitplanken definiert, koordiniert die Kommunikation und die Finanzen und ist Ansprech- und Vertragspartner für die Stadtverwaltung, die Politik und Externe. Pro Jahre reichen drei bis vier Sitzungen, um die Zwischennutzungen am Laufen zu halten, wobei die ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder Präsenz zeigen und situativ ordnend und klärend eingreifen. Sie sorgen dafür, dass die zehn Nutzungsregeln eingehalten werden. Auf dem Terrain Gurzelen gilt das Prinzip der Selbstverantwortung. Jedes Projektteam bezahlt für seine Raumnutzung einen bescheidenen Obulus.

Biel, Gurzelen: Rasentennis
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Einzigartiges Tenniserlebnis: Sport auf und Spass neben dem Rasen.
Foto: Nicolas de Nisco
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Ein Gastroangebot bei den Rasentennisplätzen ist das «Déjeunez sur l’herbe».
Foto: Aline Keller

Das zwischengenutzte Areal hat sich als Begegnungsort für kreative Tätigkeiten und für kulturelle Events etabliert. Dies liegt nicht nur an den attraktiven Angeboten, sondern auch am steten Dialog, der zwischen den Quartierbewohnern und -bewohnerinnen, den Institutionen und den Behörden stattfindet.

So schreibt die Stadt Biel in ihrer Medienmitteilung vom Juni 2018: «Sowohl für die Stadt Biel als auch für den Verein Terrain Gurzelen stellt diese Zwischennutzung eine neue Erfahrung dar. Ein solches Experiment ist für beide Seiten mit einigen Unbekannten verbunden, es braucht Raum für Entwicklung, Geduld, Vertrauen und immer wieder Kommunikation und Wertschätzung. Dieses Wagnis hat sich gelohnt, die Gurzelen wurde belebt statt stillgelegt.»

Aufgrund dieser Erfolgsgeschichte, der schweizweiten Medienaufmerksamkeit und der weiterhin unklaren Pläne für die Neubebauung hat die Stadt Biel im Januar 2019 eine Bilanz gezogen und die Zwischennutzung unbefristet verlängert. Bereits sind neue Projektideen am Entstehen (u.a. Urin-zu-Dünger, Skulpturen).

Biel, Gurzelen: Regenwasser-Silo sammelt Wasser vom Stadiondach
Die Regenwasser-Silo-Rakete: Ein ehemaliges Futtersilo aus dem Kanton Freiburg sammelt Regenwasser vom Stadiondach, um es zur Bewässerung der Urban-Gardening-Pflanzungen zu nutzen.
Foto: ritz/wirth
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