Der moderne Neubau auf dem Wydenhof-Areal belebt das Herz von Näfels

Über Jahre war die Eigentümerfamilie Müller bestrebt, das beinahe brachliegende Areal Wydenhof im Zentrum von Näfels, einem Ortsteil der Gemeinde Glarus Nord, neu zu entwickeln. Doch erst als die Raiffeisenbank Glarnerland im Jahr 2008 entschied, ihren Sitz in das Wydenhof-Areal zu verlegen und sich die Zahl der Grundeigentümer von acht auf zwei reduzierte, war die Zeit reif für eine Gebietsentwicklung. Das Ziel: Ein sorgfältiger, durchdachter und zeitgemässer Wohnungsbau mit Dienstleistungsbetrieben in den Erdgeschossen sollte entstehen. Insbesondere der Initiative des Grundstückeigentümers ist es zu verdanken, dass eine qualitätsvolle Entwicklung stattfand. Er setzte sich freiwillig dafür ein, dass ein Studienauftrag durchgeführt und die festgestellten Qualitäten im Überbauungsplan gesichert wurden. So steht heute auf dem Areal Wydenhof ein baulich sorgfältig integriertes Ensemble, das von der Bevölkerung gut akzeptiert ist.
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Die Bebauung Wydenhof in Glarus Nord (Näfels) bewertet von EspaceSuisse nach der Methode «IRAP Kompass Innenentwicklung».

Ausgangslage

Die Besiedelung des Wydenhofs geht auf die Zeit zurück, als die Textilindustrie in der Ostschweiz noch florierte. Doch die Branche ist zusammengebrochen, Gewerbebetriebe zogen weg, die Läden schlossen und die grossen Familien siedelten oft um. Die Wohn- und Gewerbebauten des Wydenhofs waren keine Ausnahme. Seit 1963 versuchte die hier seit Generationen verwurzelte Grundeigentümerfamilie Müller, diesen Ort neu zu beleben. Insbesondere in jüngster Zeit fühlte sich die alteingesessene Familie ihrem Heimatort  zunehmend verpflichtet. Sie wollte ihm ein «Dorf im Dorf» zurückgeben – und mit dem alten Wydenhof Tabula rasa machen. Zeitgemässe Wohnungen sollten Menschen in den Ortskern zurücklocken.

Kennziffern

  • Einwohnerzahl: 18’621 (31. Dezember 2019)
  • Wohneinheiten WE: 24
  • Arealgrösse: 4670 m2
  • Geschossfläche: 7500 m2
  • Ausnützungsziffer AZ: ca. 1,6
  • Investitionskosten: 28,8 Millionen CHF
  • ÖV-Güteklasse: C – mittelmässige Erschliessung
  • Parkplätze: Tiefgarage mit 56 Parkplätzen sowie oberirdische Besucherparkplätze
  • Gemeindetyp BFS: Städtische Gemeinde einer kleinen oder ausserhalb einer Agglomeration

Bewertung

Lage

Der Wydenhof liegt im Zentrum von Näfels an der Hauptverkehrsachse nach Glarus. Dementsprechend sind die Grundschule, ärztliche Praxen und Einkaufsmöglichkeiten zu Fuss in fünf Gehminuten erreichbar. Eine Bushaltestelle, die unmittelbar beim Wydenhof liegt, ermöglicht den Zugang zum ÖV. Auch der Bahnhof Näfels ist in etwa zehn Gehminuten erreichbar. Dennoch fällt der Wydenhof nur in die ÖV-Güteklasse C (mittelmässige Erschliessung). Immerhin verkehren ab dem Bahnhof Näfels halbstündlich Züge nach Glarus und Ziegelbrücke sowie einmal pro Stunde nach Zürich. Der motorisierte Individualverkehr erreicht den Wydenhof unkompliziert; der nächste Autobahnanschluss ist nur fünf Fahrminuten entfernt.

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Lage des Wydenhof-Areals in Näfels.
Quelle: Bundesamt für Landestopographie swisstopo .

Gemeinde

Die ehemalige politische Gemeinde Näfels verfügte nie über ein strategisches Entwicklungsinstrument, das über das Baureglement und den Zonenplan hinausging. Letzterer wies das Areal Wydenhof der Zentrumszone zu. Im Nachgang der Gemeindefusion von 2011 (als sich 25 Gemeinden zu drei zusammenschlossen) wurden die Planungsinstrumente aller Fusionsgemeinden harmonisiert. Im seither geltenden Zonenplan der Gemeinde Glarus Nord liegt das Areal in der Dorfkernzone, die Mischnutzungen zulässt. Der nun bestehende kommunale Richtplan von 2013 weist das Wydenhof-Areal einem Kerngebiet zu. Es ist damit mit grösster Sorgfalt zu behandeln und zu entwickeln. Eine Verdichtung ist nur möglich, solange die Identität in der Kernzone nicht geschmälert wird.

Durch die Position der Neubauten entstehen kleine Plätze und Höfe. Quelle: Wydenhof Immobilien AG

Eigentum

Über Jahre gehörte rund ein Drittel des Areals Wydenhof sieben verschiedenen Besitzerinnen und Besitzern. Das übrige Areal gehörte seit Generationen der hier ansässigen Familie Müller. Diese bestand darauf, das Areal gesamthaft zu entwickeln und einen Überbauungsplan zu erstellen, obwohl die betroffenen Parzellen keiner Sondernutzungsplanpflicht unterlagen. Ein Überbauungsplan würde eine Mehrausnützung ermöglichen und es erlauben, von der Regelbauweise abzuweichen, sofern damit eine höhere Qualität der Bauten und der Umgebung erreicht werden konnte.

Die Familie Müller versuchte in mehreren Anläufen, das Areal zu entwickeln. Alle Vorhaben versandeten, bis sich mit der Raiffeisenbank Glarnerland eine Investorin fand, die die übrigen Grundeigentümer auszahlen und neben den Müllers als zweite Bauherrschaft auftreten konnte, um die Parzellen des Areals Wydenhof zusammenzuführen. Gemeinsam wurde darauf hingearbeitet, das Areal Wydenhof gesamthaft und zusammenhängend zu entwickeln: Während die Raiffeisenbank bestrebt war, einen neuen Sitz an der Kantonsstrasse nach Glarus zu bauen, setzten sich die Müllers für einen zeitgemässen Wohnungsbau ein. Für die Familie standen dabei nicht finanzielle Interessen im Vordergrund, sondern die gefühlte Verpflichtung, mit zeitgemässer und qualitativ hochstehender Architektur Menschen zurück ins Heimatdorf und in den Ortskern zu bringen.

Der neue Sitz der Raiffeisenbank. Foto: L. Buchmann, OST

Prozess

Den eigentlichen Planungsprozess initiierte die Familie Müller zusammen mit der Raiffeisenbank im Jahr 2008: Auf freiwilliger Basis starteten die beiden Parteien einen Studienauftrag. Dazu luden sie neun Architekturbüros dazu ein, Vorschläge für die künftige Bebauung des Wydenhof-Areals auszuarbeiten. Das Luzerner Architekturbüro Lussi + Halter Partner ging als Sieger aus dem Studienauftrag hervor. In der Folge wurde sein Siegerprojekt an mehreren Informationsanlässen mit der Bevölkerung diskutiert. Das lohnte sich: Anregungen der Einwohnerinnen und Einwohner führten dazu, dass Sichtachsen sichergestellt und die Architektur so angepasst wurde, dass die Wohnungen mehr Sonnenlicht erhalten. Anfang 2010 konnte das finale Richtprojekt in einen Überbauungsplan übertragen werden, um die erzielten Qualitäten planungsrechtlich zu sichern. Dank der sorgfältigen und qualitätssichernden Planung konnte der Spatenstich noch im selben Jahr erfolgen. Der Bezug folgte 2012.

 

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Die Giebeldächer des Wydenhofs harmonieren mit der umliegenden Bergwelt. Je nach Standort schaffen die Bauten neue Sichtachsen auf die Berge.
Foto: L. Buchmann, OST

Akzeptanz

Obwohl eine Tabula-rasa-Lösung gewählt und ein eigenständiges Ensemble mit fünf Gebäuden errichtet wurde, fügt sich der Wydenhof gut in den Bestand ein. Die ortsansässige Bevölkerung betrachtete das Neubauprojekt während der Planungs- und Bauphase eher kritisch, zumal die imposanten Volumen und die Maisonettwohnungen für etwas Skepsis sorgten. Mittlerweile akzeptieren die Anwohnerinnen und Anwohner den eigenständig wirkenden Dorfteil ganz gut, vermelden die Grundeigentümer. Die Diskussionen mit den ansässigen Menschen während der Planungsphase lohnten sich gleich doppelt: Zum einen verbesserte der Austausch das Projekt in mehreren Punkten, zum anderen ist es dem Dialog zu verdanken, dass während der öffentlichen Auflage des Überbauungsplans keine einzige Einsprache eingereicht wurde.

Dichte

Mit dem Wydenhof wurde die bauliche Dichte und auch die Nutzungsdichte im Vergleich zum zurückgebauten Bestand deutlich erhöht. Die Geschossfläche wurde gegenüber dem früheren Bestand von 5450 m2 um 2050 m2 auf 7500 m2erweitert. Zusätzlich zu den neuen Bewohnerinnen und Bewohnern des Wydenhofs zogen auch wieder verschiedene Dienstleistungsbetriebe in die Neubauten ein. So hat sich auch die Nutzungsdichte von 100 auf 150 Einwohnerinnen und Einwohner und Beschäftigte pro Hektare (E+B/ha) erhöht. Das entspricht einem Plus von 50 Prozent.

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Ein Blick in den Innenhof. Foto: L. Buchmann, OST
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Innenhof mit Brunnen und Bank. Foto: L. Buchmann, OST

Qualität

Die neuen Volumen, die je nach Blickwinkel etwas massiv wirken können – fügen sich behutsam in den Bestand ein. Dabei konkurrenzieren oder kopieren sie die benachbarten Gebäude nicht, sondern interpretieren die Elemente eines Dorfes neu. Das erzeugt einen starken Ort mit einer eigenen Identität. Die Dachformen und Sichtachsen beispielsweise stellen einen Bezug zur umliegenden Bergwelt her. Dagegen schützt der Längsbau der Raiffeisenbank, der direkt an der Hauptverkehrsachse liegt, die rückwärtigen Bauten vor Lärmimmissionen. Das schafft einen ruhigen Innenhof. Die Bebauung beherbergt verschiedene Wohnungen mit 2,5- bis 5,5-Zimmern, die alle rollstuhlgängig sind und über eine Loggia verfügen.

Während die Käuferinnen und Käufer den Innenausbau ihrer künftigen Wohnung bis ins Detail mitbestimmen konnten, blieben die Aussenräume eher schlicht gestaltet. Es gibt keine Spielgeräte oder Ähnliches, Bäume und sonstiges Grün sind primär an den Rändern des Areals zu finden – das ist weder für die Biodiversität noch für das Klima speziell förderlich. Immerhin ermöglicht ein Brunnen etwas Abkühlung an heissen Sommertagen. Dem Dorf und insbesondere dem Ortskern bringen die neu angesiedelten Dienstleistungsbetriebe entlang der Kantonsstrasse Mehrwerte.

Der Wydenhof steht an der Kantonsstrasse. Foto: L. Buchmann, OST

Wirtschaftlichkeit

Die Überbauung Wydenhof wurde in einem Zuge von 2010 bis 2012 erstellt. Während sich die meisten der 24 Wohnungen bereits vor ihrer Fertigstellung verkaufen liessen, fanden sich für vier Maisonettewohnungen keine Interessenten. Man entschied sich daher, sie zu vermieten. Der Leerstand dieser Wohnungen erklären die Bauherrschaften folgendermassen: Solange eine junge Glarner Familie für weniger Geld ein freistehendes Haus erwerben kann, wird sie sich für dieses und nicht für eine Maisonettewohnung entscheiden. Zudem sind solche Wohnungen im Glarnerland eher untypisch und die Nachfrage eher tief. Die Wohnungspreise betrugen zwischen 420 000 Franken für eine 3,5-Zimmer-Wohnung und 900 000 Franken für eine Maisonettewohnung (160 m2).

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Parkplätze befinden sich in der Kirchgasse.... Foto: L. Buchmann, OST
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…und in einem der Innenhöfe. Foto: L. Buchmann, OST

Zusammenfassung

Gesamthaft betrachtet überzeugt der Wydenhof durch seine städtebauliche Qualität und seine subtile Eingliederung in die umgebende dörfliche Struktur. Die Eigentümerfamilie war über Jahre bestrebt, eine zeitgemässe Arealentwicklung voranzutreiben. Erst als sich die Raiffeisenbank Glarnerland entschied, ihren Hauptsitz an die Hauptstrasse in Näfels zu verlegen und sich die Anzahl der Grundeigentümer von acht auf zwei reduzierte, war der Weg für eine konkrete Planung geebnet. Insbesondere den Müllers ist es zu verdanken, dass freiwillig ein Studienauftrag durchgeführt wurde. So konnten die bestehenden Qualitäten übernommen, neue Qualitäten definiert und allesamt in einem Überbauungsplan rechtlich gesichert werden. Auf diesem Weg entstand auf dem Areal Wydenhof ein Ensemble, das von der Bevölkerung während der Planungs- und Bauphase zunächst kritisch betrachtet wurde, aber heute gut akzeptiert und geschätzt wird.

Besondere Stärken aus Sicht von EspaceSuisse:

  • Im Zentrum von Näfels entstand ein qualitätsvolles Ensemble, das sich behutsam in den Bestand einordnet und den Ortskern sorgfältig verdichtet.
  • Der freiwillige Planungsweg über einen Studienauftrag und einen Überbauungsplan war ein wesentliches Element, um die Siedlungsqualitäten zu erkennen und planungsrechtlich zu sichern.
  • Die Bevölkerung erhielt mehrmals die Möglichkeit, sich zur Entwicklung zu äussern. Durch den Dialog war es möglich, das Projekt zu verbessern und Akzeptanz zu schaffen.
  • Dass sich die Familie Müller – die ihrer Heimatgemeinde etwas zurückgeben wollte – für die Belebung des Wydenhofs einsetzte und dabei die Rendite hintanstellte, ist bewundernswert und lobenswert.

Weiterführende Informationen

  • 2009. Jurybericht: Studienauftrag auf Einladung. St. Gallen/Näfels.

  • 2011. Kurzbeschrieb Vorgehensweise: Zentrumsüberbauung Wydenhof Näfels. Wydenhof Immobilien AG. Näfels.

  • 2012. Baureportage: Zentrumsüberbauung Wydenhof Näfels. Wydenhof Immobilien AG. Näfels.

  • 2013. Im Dorf. Der Wydenhof in Näfels wagt eine neue dörfliche Dichte. Hochparterre, 1–2. Zürich.

  • 2016. Näfels | Im Dorf: Wohnüberbauung mit Gewerbenutzung im Dorfzentrum. Siedlungsentwicklung nach innen. Renens.

Stand der Bewertung durch EspaceSuisse: November 2021

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