Sempach LU: Auch das Einfamilienquartier lässt sich qualitätsvoll verdichten

Das Einfamilienhaus – von Planern verschmäht, von Bewohnerinnen geliebt. Die Luzerner Kleinstadt Sempach liess sich davon nicht abschrecken. Da sie nur über wenig unbebaute Bauzone verfügt, wagte sie sich an die Verdichtung von Einfamilienhausquartieren. Dabei bezog sie die betroffene Bevölkerung aktiv mit ein. Und sie pocht beharrlich auf die Qualität.
Heidi Haag, Raumplanerin MAS ETH

Der Spaziergang durch das Quartier Feldmatt in Sempach unterscheidet sich kaum von einem Spaziergang durch ein anderes durchschnittliches Quartier mit Einfamilienhäusern (EFH) in der Schweiz: gepflegte Häuser und Gärten, Giebeldächer, wohin das Auge reicht, Sichtschutzhecken, viel Raum für Autos, aber dennoch der Warnhinweis auf Kinder auf der Strasse. Beim zweiten Blick fällt auf: Hier tut sich etwas. Die neueren Bauten weichen vom Schema ab, Baugespanne künden weitere Veränderungen an.  

Die Grünkorridore Richtung See im Quartier Feldmatt in Sempach LU dürfen nicht überbaut werden. Foto: René Haag

W2-Zonen – eine Herausforderung bei der Ortsplanung  

Betrachtet man Zonenpläne von Gemeinden, fallen die grossflächigen gelb-/orange gefärbten Einfamilienhausquartiere auf. Ältere EFH-Quartiere liegen oft im Innern, jüngere am Rand der Gemeinde. Soll da oder dort eine bauliche und soziale Verdichtung zugelassen, gar gefördert werden? Oder ist das EFH-Quartier «Privatsache», wie Eigentümerinnen und Eigentümer oft argumentieren? Was geschieht mit alten, eher unternutzten Quartieren, wenn infolge Handänderungen, Wertsteigerungen und Wohnungsknappheit eine unkoordinierte, auf Einzelparzellen fokussierte Entwicklung einsetzt? 

Denn in zahlreichen W1- und W2-Zonen steckt Potenzial. Dieses könnten Eigentümerinnen und Eigentümer aufgrund der Wohnungsknappheit nutzen – nicht nur, um ihren eigenen Wohnraum zu vergrössern, sondern auch um neue Wohnungen zu schaffen. Eine verantwortungsvolle Raumplanung verlangt, auch in diesen Zonen eine nachhaltige innere Entwicklung aktiv zu unterstützen. Aus sozialer Sicht soll eine massvolle Verdichtung einen Generationenwechsel, ein Generationenwohnen oder auch ein moderates Mehrfamilienhaus ermöglichen. Aus ökologischer und ökonomischer Sicht sind die energetische Sanierung und die klimaneutrale Energieversorgung höchst aktuelle Herausforderungen. Einfamilienhausquartiere haben oft eine sehr heterogene Architektur, so dass die sorgfältig gestalteten, privaten und öffentlichen Grün- und Strassenräume eine hohe Bedeutung erhalten – denn in ihnen steckt das Potential, das Quartier zu einem stimmigen Ganzen zu verbinden. 

Aufgrund seiner komplexen Kleinräumigkeit ist das EFH-Quartier nicht nur ein schwieriges, sondern auch ein unbeliebtes Thema der Ortsplanung. Die Gemeinde, die Planerinnen und Planer müssen sich auf eine grosse Zahl skeptischer – in der Regel privater – Eigentümerschaften einlassen und mit kleinparzellierten Strukturen arbeiten. Hier lässt sich nicht frei gestalten oder ein neues Quartier entwerfen, sondern die Fachleute treffen auf viel Bestehendes. Sie müssen erklären, Vorschläge einbringen, Ängste ausräumen, Fachsprache übersetzen. Kurz: Das EFH-Quartier ist die Königsdisziplin des Bauens im Bestand. Dies lässt sich am Beispiel Sempach vortrefflich zeigen. 

Ein in die Jahre gekommenes EFH in Sempach wartet auf die Aufwertung. Foto: René Haag

Alte starre Gestaltungspläne 

Die Quartiere Feldmatt und Feld (nachfolgend Feldmatt) liegen am Rande des historischen Städtli, an leicht erhöhter Lage über dem Sempachersee. Die Stadt hat heute etwa 4200 Einwohnerinnen und Einwohner. Die beiden Quartiere wurden vor rund vierzig Jahren auf der Grundlage von zwei rigiden privaten Gestaltungsplänen realisiert. Diese liessen trotz mehrmaliger Anpassung des kantonalen Planungs- und Baugesetzes und des Bau- und Zonenreglementes der Gemeinde kaum Abweichungen von den detaillierten Gestaltungsvorgaben (z. B. Giebelpflicht, Materialisierung) oder spätere Vergrösserungen zu. 2015 äusserten verschiedene Eigentümerinnen und Eigentümer den Wunsch, ihre Liegenschaften baulich und energetisch zu sanieren sowie zu vergrössern. Dies insbesondere um der jüngeren Generation zu ermöglichen, mit ihrer Familie ins Haus zurückzukommen und dort mit der älteren Generation zusammen zu wohnen. Der Stadtrat war jedoch nicht mehr gewillt, wie bisher Einzelabweichungen von bestehenden Gestaltungsplänen zu genehmigen. Denn nicht nur das revidierte Raumplanungsgesetz, sondern auch der Wechsel von der Ausnützungsziffer zur Überbauungsziffer im Kanton Luzern und die anstehende Ortsplanungsrevision verlangten eine Überprüfung der Gestaltungspläne (siehe Kasten «AZ und ÜZ»). Die Stadt beschloss, das Quartier einer ganzheitlichen Betrachtung zu unterziehen und auszuloten, wie sich die Feldmatt zum Nutzen aller entwickeln könnte. 

AZ und ÜZ 

Der Kanton Luzern wechselte im Rahmen der Interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der Baubegriffe (IVHB) von der bisher verwendeten Ausnützungsziffer (AZ) zur Überbauungsziffer (ÜZ). Die AZ ist das Verhältnis zwischen der anrechenbaren Geschossfläche und der anrechenbaren Grundstücksfläche. Die ÜZ gibt das Verhältnis der anrechenbaren Gebäudefläche zur anrechenbaren Grundstücksfläche vor. Sie ist Prinzip der «Fussabdruck» der einzelnen Baute. 

Einbezug aller Eigentümerschaften 

Die Sempacher Stadträtin Mary Sidler erläutert im Rahmen eines Spaziergangs durch das Quartier, die bereits umgesetzten und projektierten Bauprojekte und erzählt, wie die Kleinstadt eine moderate, aber qualitätsvolle Verdichtung der Feldmatt unterstützt. Die Architektin hat viel Erfahrung in partizipativen Planungsprozessen. «Wir nutzten 2015 zudem die Gelegenheit, beim Netzwerk kooperative Umsetzung der Innenentwicklung mitzumachen», so Sidler. Dieses Modellvorhaben des Bundes haben die Hochschule Luzern und der Kanton Luzern angestossen und gemeinsam mit verschiedenen Gemeinden durchgeführt. Das Projekt «Feldmatt Sempach» bezweckte, zusammen mit allen Eigentümerinnen und Eigentümern Regeln für eine sanfte Erhöhung der Ausnützung zu erarbeiten mit dem Ziel, zusätzliche Wohnungen zu schaffen. Dabei durften die von den Bewohnenden geschätzten Qualitäten nicht vermindert werden. Im Rahmen dieses Prozesses sollte der bestehende Gestaltungsplan in einen öffentlichen Bebauungsplan überführt werden. Dieser kann nach luzernischem Recht von der Bau- und Zonenordnung abweichen, bedingt jedoch den Beschluss der Gemeindeversammlung. 

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Die EFH in Zürich-Witikon vor der Aufwertung. Photo: Kämpfen Zinke + Partner AG
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Ein weiteres Beispiel einer Aufwertung: Das Einfamilienhaus in Zürich-Witikon wurde aufgestockt, erhielt eine neue Fassade und eine verbesserte Wärmedämmung. Die Liegenschaftsbesitzerin wohnt heute im Erdgeschoss.
Fotos: Kämpfen Zinke + Partner AG

Mehrmalige Workshops als Chance 

Zu Beginn des Prozesses, bei einer ersten Informationsveranstaltung, waren rund achtzig Prozent der Eigentümerinnen und Eigentümer gegen jegliche Änderung des Planungsinstruments. Sie befürchteten zu viel Höhe, zu viel Nähe oder den Verlust der Gärten im Quartier. «Nach den drei intensiven Workshops und vertieften Einzelgesprächen kippte die Skepsis in eine fast umfassende Zustimmung», blickt Sidler nicht ohne Stolz zurück. 

Die Hochschule Luzern analysierte unter der Leitung von Ulrike Sturm das Quartier sorgfältig und erarbeitete für den ersten Workshop drei mögliche, unterschiedlich dichte Entwicklungsszenarien für die Feldmatt. In der Diskussion favorisierten die Eigentümerschaften das am wenigsten dichte Szenario «Naturblick». Dazu Sturm: «Wichtig war allen, grüne Korridore zwischen den Häusern in Seerichtung zu erhalten und den Ausblick Richtung See nicht zu stark zu verbauen.» 

Auf der Basis der Rückmeldungen arbeitete die Hochschule für den zweiten und dritten Workshop die baulichen Regelungen aus. Auch diese wurden diskutiert sowie Vor- und Nachteile gemeinsam abgewogen. Jede Eigentümerschaft konnte nun die Entwicklungschancen auf ihrer Parzelle abschätzen, und die Möglichkeiten baulicher Erweiterungen der Nachbarn wurden vorausschaubar. Im Anschluss an den partizipativen Prozess sicherte ein Planungsbüro die Ergebnisse der Workshops in einem Bebauungsplan. Dieser wurde der Sempacher Bevölkerung an einer öffentlichen Veranstaltung vorgestellt, 2017 hiess ihn die Gemeindeversammlung fast einstimmig gut. 

«Jede Eigentümerschaft konnte die Entwicklungschancen auf ihrer Parzelle abschätzen.»
Heidi Haag, Raumplanerin MAS ETH

Erfolgreicher Prozess 

Sowohl Mary Sidler als auch Ulrike Sturm bezeichnen den Prozess als höchst gelungen. Sturm fasst zusammen: «Den Eigentümerinnen und Eigentümern wurde kein fertiger, von Fachleuten erstellter Plan vorgelegt. Die vorgängige Quartieranalyse erwies sich als wertvoll und diente dazu, ein gemeinsames Verständnis des Quartiers und von dessen Besonderheiten aufzubauen. Die Szenarien halfen, die Auswirkungen verschiedener möglicher Entwicklungen zu verstehen.»  

In den Workshops wurden gemeinsam die Richtung und die Höhenstaffelung der baulichen Erweiterungen festgelegt und im Bebauungsplan festgeschrieben.
Quelle: Hochschule Luzern

Neuer Bebauungsplan erlaubt Verdichtung ... 

Der neue Bebauungsplan legt asymmetrische Baulinien fest, die eine optimale Besonnung der Parzellen ermöglichen. Er staffelt die Bauhöhen, damit der Durch- und Ausblick Richtung See offenbleibt. Neu sind auch Flachdächer mit Dachterrassen zugelassen, womit die nutzbare Wohnfläche deutlich steigt und zusätzliche, begehrte Aussenräume geschaffen werden können.  

Hat die Stadt nun ihr wichtiges Ziel erreicht, zusätzliche Wohnungen für ein Generationenwohnen zu ermöglichen? Erfahrungsgemäss dauert es nach einer Planänderung einige Jahre, bis die ersten Projekte nach den neuen Regeln entstehen. So wurden in der Feldmatt in den vergangenen sechs Jahren ein Einfamilienhaus durch ein Dreifamilienhaus ersetzt sowie ein Doppelhaus mit vier Wohnungen zu einem 6-Familienhaus aufgestockt. Zwei Bauvorhaben für den Ersatz von benachbarten Einfamilienhäusern zu je drei Wohnungen sind aktuell in Umsetzung. Nach den Worten von Ulrike Sturm zeigt dies, dass mit der Planänderung «der Durchbruch zum quartierverträglichen Mehrfamilienhaus oder Generationenhaus geschafft ist.» 

Um die auch von den Eigentümern geschätzte Qualität im Quartier zu erhalten, enthält das Reglement des Bebauungsplans einen Artikel zur Qualitätssicherung. Dieser verlangt, dass bei der Gestaltung von Bauten und Freiräumen verschiedenen Aspekten besondere Beachtung zu schenken sind: der Platzierung der Gebäude, den Proportionen und Materialien sowie der Farbgebung. Auf diesen (etwas vagen) Artikel kann sich die Baubewilligungsbehörde im Einzelfall berufen. 

Die Bemühungen der Beteiligten wurden honoriert: Im Jahr 2017 erhielt Sempach den Wakkerpreis. Der Schweizer Heimatschutz würdigte speziell auch die «angedachte Verdichtung der Einfamilienhausquartiere mit ihren beträchtlichen Baureserven». Der engagierte und vorausblickende Einsatz der Stadt könne dazu beitragen, dass das Modell der Partizipation und Diskussionskultur Schule mache. 

«Die angedachte Verdichtung der Einfamilienhausquartiere mit ihren beträchtlichen Baureserven wurde gewürdigt.»
Heidi Haag, Raumplanerin MAS ETH

… aber die qualitätsvolle Umsetzung ist schwierig 

Die ersten Bauvorhaben zeigen, dass es trotz Qualitätsartikel schwierig ist, Qualitäten einzufordern und zu erreichen. Erfreulicherweise nehmen die Bauwilligen heute frühzeitig Kontakt auf mit der Gemeinde. Die Begleitung der Projekte gestaltet sich jedoch als höchst zeitaufwendig und anspruchsvoll. Die Ortsbildkommission, zu der auch Mary Sidler gehört, beurteilt jedes Projekt in der Feldmatt. «Wir geben Empfehlungen für gestalterische Nachbesserungen.» Die Stadträtin zeigt sich jedoch nur mässig zufrieden mit der umgesetzten Architektur. Ein aktuelles Beispiel zeigt, welch’ grossen Wert die Stadt dem Aussenraum beimisst: Zwei benachbarte Baugesuchsteller erhielten von der Ortsbildkommission den Auftrag, von einer Landschaftsarchitektin eine parzellenübergreifende Gartenplanung ausarbeiten zu lassen. Der Übergang zwischen den Grundstücken soll sich harmonisch in das Gelände einfügen und nicht, wie geplant, durch eine Mauer abgegrenzt werden. 

Aus einer Distanz von mehreren Jahren gestehen sowohl Mary Sidler als auch Ulrike Sturm ein, dass der neue Bebauungsplan für das Feldmatt-Quartier in Bezug auf den Aussen- und Strassenraum zu wenig griffig ist. «Das ist aber nicht verloren und kann in einem späteren Schritt nachgeholt werden», so Sidler. 

Die Quartiere Feldmatt und Feld liegen an leicht erhöhter Lage über dem Sempachersee. Im Hintergrund das historische Städtli Sempach. Foto: René Haag

Lehren für die Nutzungsplanung 

Mit Blick auf eine qualitätsvolle Innenentwicklung liess es Sempach nicht bei einzelnen Quartieren bewenden. 2018 beschloss der Stadtrat das Räumliche Entwicklungskonzept REK 2045. Dieses verpflichtet die Behörden explizit, bei der Siedlungsentwicklung und dem Wohnungsbau qualitative Grundsätze zu verfolgen. 

Im Anschluss an das REK packte Sempach die Revision der Nutzungsplanung an. «Wichtige Erfahrungen aus dem partizipativen Prozess in der Feldmatt haben wir mitgenommen», erklärt Sidler. So fand ein halbtägiger Workshop in Zusammenarbeit mit dem Ortsplaner und einem Städteplanungsbüro in verschiedenen weiteren EFH-Quartieren statt. «Auch hier haben wir die Quartiere vorgängig analysiert, der Bevölkerung mögliche Entwicklungsszenarien vorgestellt und diese mitsamt den dafür notwendigen Regelungen gemeinsam diskutiert.» Mit einer geschickten Architektur soll es möglich sein, auf jeder Parzelle mindestens eine zusätzliche Wohneinheit zu schaffen – ohne nachbarschaftliche Beeinträchtigung. 

Der Fokus liegt verstärkt auch auf dem öffentlichen Raum und dem Strassenraum, denn davon profitiert das ganze Quartier. Ziel der Stadt ist es, auch in den EFH-Quartieren den Strassenraum besser zu beleben und gestalterisch aufzuwerten. Dafür sollen die Häuser gegen die Strasse hin geöffnet sein oder auch am Hang Wohnraum im Parterre geschaffen werden, anstatt die ganze Parzellenlänge nur für Parkplätze/-garagen zu verwenden. Als Anreiz bietet das neue Bau- und Zonenreglement in ausgewählten EFH-Quartieren an Hanglagen einen Nutzungsbonus für Wohnraum im Sockelgeschoss. 

Die Gemeindeversammlung hat den revidierten Zonenplan und das dazugehörige Reglement im April 2022 beschlossen. Es wird aber nochmals einige Jahre dauern, bis qualitätsvolle Innenentwicklungsprojekte umgesetzt sein werden. So oder so hat sich das Städtchen Sempach mutig an die schwierige Auseinandersetzung mit seinen EFH-Quartieren gewagt – und in dieser Königsdisziplin schon viel gewonnen. 

«Geschickte Architektur soll ermöglichen, auf jeder Parzelle mindestens eine zusätzliche Wohneinheit zu schaffen.»
Heidi Haag, Raumplanerin MAS ETH
Ein Kernelement des Bebauungsplans sind die asymmetrischen Freihaltebereiche (grün schraffiert). Diese Grünkorridore verbinden die Quartiere mit dem See und erlauben den Blick Richtung Wasser.
Quelle: Planteam S

EFH-Quartiere verdichten in aller Kürze 

Einfamilienhausquartiere tragen zur qualitätsvollen Innenentwicklung bei, wenn: 

– die Gemeinde, wie Sempach, wenig unbebaute Bauzonen und geringes Aussenentwicklungspotenzial hat; 

– die Zonen- oder Sondernutzungspläne sowie die Zonenreglemente dies zulassen, respektive begünstigen; 

– die Hauseigentümerschaften ihre Entwicklungsmöglichkeiten kennen und aktiv von der Gemeinde unterstützt werden; 

– zusätzliche Wohneinheiten und nicht nur Hauserweiterungen entstehen; 

– Qualitäten nicht nur gefordert, sondern auch beharrlich umgesetzt werden; 

– viel Gewicht auf den Grün- und attraktive Strassenräume gelegt wird. 

Weiterführende Informationen  

Modellvorhaben des Bundes : Netzwerk kooperative Umsetzung der Innenentwicklung (LU, BL) 

Ein Themenschwerpunkt des Modellvorhabens Nachhaltige Raumentwicklung des Bundes 2014–2018: Siedlungsentwicklung nach innen umsetzen. An zahlreichen Fallbeispielen (u. a. Sempach LU, Aesch BL, vgl. unten) erprobte die Hochschule Luzern kooperative Planungsprozesse. 
are.admin.ch 

 

Fallbeispiel Aesch BL 

In Aesch, eine andere Testgemeinde des Modellvorhabens, erarbeitete die Hochschule Luzern zusammen mit der Eigentümerschaft eines Reihenhausquartiers die Prinzipien möglicher baulicher Erweiterungen (eine «Gestaltungsfibel»). Ein Prozess zeigt auf, wie das Reihenhausquartier aus dem bestehenden unflexiblen Quartierplan (Sondernutzungsplan) herausgelöst und ein zeitgemässer Quartierplan erarbeitet werden kann. 

rawi.lu.ch 

 

Leitfaden ko-evolutive Innenentwicklungs-Prozesse 

Die Hochschule Luzern veröffentlichte 2023 die Evaluation verschiedener partizipativer Prozesse zur Innenentwicklung. Diese zeigt, dass jedes Verdichtungsprojekt speziell ist, sich aber gewisse Vorgehen bewähren. Zudem bestätigte sich, dass für komplexe Vorhaben wie in der Feldmatt in Sempach drei partizipative Veranstaltungen unumgänglich sind. 

hslu.ch 

 

Städte und Gemeinden bauen: Bedingungen für hohe Baukultur 

Die 2023 von der Hochschule Luzern veröffentlichte Publikation basiert auf einer Analyse von Städten und Gemeinden, die in den letzten 50 Jahren den Wakkerpreis erhielten. 

hslu.ch 

Im Interview Mariette Beyeler: «Grundsätzlich eignet sich jedes Einfamilienhaus für eine
Verdichtung» 
 

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Mariette Beyeler ist auf die Innenentwicklung von EFH-Siedlungen spezialisiert. Die Architektin ist Initiantin des Projekts MetamorpHouse.

Mariette Beyeler, Sie wohnen mitten in Lausanne in einem Mehrfamilienhaus, beschäftigen sich aber seit Jahren mit Einfamilienhausquartieren. Woher kommt diese Faszination? 

In Einfamilienhäusern steckt ein riesiges Weiterbaupotenzial. Dabei werden diese EFH-Quartiere fachlich vernachlässigt und städtebaulich unterschätzt. Für mich sind sie ein Rohstoff, den die Eigentümerinnen und Eigentümer je nach Lebensphase an ihre Bedürfnisse anpassen können. Diesen Spielraum auszuloten, interessiert mich. Das Kleinmassstäbliche, Kleinkörnige und facettenreiche Arbeitsgebiet fordert mich heraus. 

EFH-Quartiere haben viel Verdichtungspotenzial, da sie meist locker bebaut sind. Was ist wichtig für eine erfolgreiche, qualitätsvolle Weiterentwicklung? 

Für mich ist eine Verdichtung dann erfolgreich, wenn sie qualitätsvoll und sanft umgesetzt wird. Das bedeutet, dass an den bestehenden Gebäuden weitergebaut, der Massstab des Quartiers berücksichtigt und etwas stimmiges Ganzes geschaffen wird. Dafür braucht es aber Rahmenbedingungen und Regeln. Erfolgreich ist eine Verdichtung oft, wenn sie von den Eigentümern getragen wird, die im Quartier wohnen. Unsere Erfahrung zeigt: Wenn Eigentümer selbst bauen, entstehen Wohnungen für unterschiedliche Bedürfnisse: für neue Familien, für Ältere, für Alleinstehende. Mit dieser Diversifizierung wohnen dann mehrere Generationen gleichzeitig in einem Haus, und nicht nacheinander, wie das in Einfamilienhäusern üblich ist. Eher nachteilig wirkt sich für ein Quartier aus, wenn externe Investoren Häuser kaufen und neue Reihen- oder Mehrfamilienhäuser bauen. Denn damit entstehen meist monofunktionale Familienwohnungen. 

Eignet sich jedes EFH-Quartier für eine Verdichtung? 

Ja, grundsätzlich jedes. Natürlich eignen sich jene Quartiere besser, die auch gut mit dem öffentlichen Verkehr erschlossen sind. Aber bauliche Reserven, auch kleine, gibt es fast überall, und damit ist eine Verdichtung möglich. Da die Opposition der Bewohnerinnen und Bewohner gegen Mehrverkehr und grössere Volumen in EFH-Quartieren oft gross ist, braucht es aber begleitende Massnahmen. In bestehenden Zonenvorschriften gibt es Regeln zur Giebelform, zur Dachbedeckung oder zur Materialisierung der Häuser. Heute – mit dem Klimawandel – brauchen wir Regeln gegen die Versiegelung und Versteinerung des Bodens sowie zur Bepflanzung der Freiräume. In jedem Quartier könnten die Bäume Partner einer guten Innenentwicklung sein, denn sie schwächen die Dominanz grosser Baukörper ab. 

«Eher nachteilig wirkt sich für ein Quartier aus, wenn externe Investoren Häuser kaufen.»
Mariette Beyeler, Architektin

Welche Rolle spielt die Architektur im EFH-Quartier? 

Weil diese Quartiere schon früher meistens heterogen waren, ist die Architektur – auch wenn ich das als Architektin sage – eher sekundär. Fundamental sind die Bezüge der Häuser zur Strasse sowie die öffentlichen und privaten Aussen- und Grünräume. Eine hohe Bedeutung kommt dem Strassenraum zu. Heute sind auch Quartierstrassen hauptsächlich Fahrbahn und Manövrierraum für Autos. Aus Furcht vor zusätzlichem Autoverkehr wehrt sich die Bevölkerung vieler EFH-Quartiere gegen eine Verdichtung. Deshalb fokussiert eine qualitätsvolle Innenentwicklung auf einen gemeinsam und vielfältig nutzbaren Strassenraum, wo zum Beispiel Velos abgestellt sind, Kinder spielen oder Menschen sitzen können. Wenn die Strasse Aufenthaltsqualitäten erhält und zum Lebensraum wird, erhöht das die Akzeptanz für die Innenentwicklung. 

Mit der Revision des Raumplanungsgesetzes vor zehn Jahren wurde innere Verdichtung zum Gebot der Stunde. Dennoch werden EFH-Quartiere von Raumplanern und Architektinnen verschmäht. Wo orten Sie die grössten Schwierigkeiten? 

Obwohl viele Architekten und Raumplanerinnen in Einfamilienhäusern wohnen, besteht zwischen ihnen keine Liebesbeziehung. Ortsplaner zonten jahrelang im Auftrag der Gemeinde grossflächig EFH-Zonen ein, Architektinnen überbauten diese, und man war lange der Meinung, sich nicht mehr mit diesen Quartieren beschäftigen zu müssen. Vielleicht lag es auch daran, dass sich die Gemeinden nach der RPG-Revision zuerst um die Zentrumslagen und grösseren Entwicklungsgebiete gekümmert haben. Aber heute ist das anders: Wir haben eine Million Einfamilienhäuser in der Schweiz. Diese sind kein Nischenthema, sie prägen unsere Landschaft. In der Architekturausbildung sind heute Kreislaufwirtschaft, graue Energie sowie Bauen im Bestand wichtige Themen. Somit sollte in Zukunft ein Haus auf sein Weiterbaupotenzial untersucht werden und nicht mehr vorschnell ein Abreissen im Zentrum stehen. Das Ziel muss sein, Neues kompakt ins Bestehende einzufügen und die Qualitäten des Gartens und den alten Baumbestand zu bewahren. 

«Laissez-faire im EFH-Quartier ist heute keine Option mehr.»
Mariette Beyeler, Architektin

Wer müsste mithelfen, EFH-Quartiere qualitätsvoll weiterzuentwickeln?  

Die wichtigste Rolle hat die Gemeinde. Sie definiert mit ihren Planungsinstrumenten die Rahmenbedingungen. Laissez-faire im EFH-Quartier ist heute keine Option mehr. Aufgabe der Gemeinde ist es, die vielen Einzelinteressen in ein kohärentes Ganzes zu überführen. Aber dafür braucht sie eine Vorstellung, wie sich diese Quartiere entwickeln sollen. Die Gemeinde muss sich intensiv mit ihren Quartiertypen auseinandersetzen, so wie es Sempach gemacht hat. Dann die Hauseigentümerinnen und -eigentümer: Sie haben oft eine starke Beziehung zu ihrem Haus. Dennoch braucht es eine Sensibilisierung und attraktive Vorschläge für den sanften Weiterbau. An uns Architekten schliesslich ist es, den Hauseigentümern Potenziale aufzuzeigen und Lösungsvorschläge zu unterbreiten. So kann zum Beispiel eine Eigentümerin ein Potenzial von 20 Quadratmetern geschickt für eine Kleinwohnung nutzen, wenn sie das Treppenhaus auslagert und die Wohnung dadurch entflechtet. Auch die Energiesanierung wäre ein Hebel für die Innenentwicklung. Diese Gelegenheit wird jedoch oft verpasst: So werde – gerade vor der Rente, wenn Einkommen und Steuern hoch sind – EFH energetisch saniert, ohne eine Erweiterung zu prüfen oder die Nutzung in Frage zu stellen. Auch werden Photovoltaikanlagen auf stark unternutzte EFH installiert, das ist Unsinn. 

Wie motiviert man die Eigentümerinnen und Eigentümer zur Innenentwicklung? 

Wie das Beispiel von Sempach und auch unsere Erfahrung zeigen, können Eigentümer durch gute Information und eine Beteiligung ins Boot geholt werden. Es nützt nichts, wenn die Gemeinde «Innenentwicklung» auf der Agenda hat, dies allein interessiert Hauseigentümer nicht. Wichtig ist, ihnen aufzuzeigen, welche Vorteile und Möglichkeiten sie selbst durch einen Weiterbau an ihrem Haus erhalten: Eine oder zwei zusätzliche Wohnungen können die Tragbarkeit der Liegenschaft verbessern oder mithelfen, die energetische Sanierung zu finanzieren. Es müsste auch im Interesse der Gemeinde sein, wenn Eigentümer mit Bezug zum Quartier das Heft in der Hand behalten und ihr Haus und Garten mit Herzblut weiterentwickeln, anstatt einem externen Immobilienbüro zu verkaufen, das Eigentumswohnungen erstellt und eine weitere Fragmentierung der Besitzverhältnisse vornimmt. Natürlich brauchen auch Gemeinden Informationen und Unterstützung von Fachleuten, wenn sie Hauseigentümer für die qualitätsvolle Innenentwicklung motivieren und gemeinsam mit ihnen eine Vision für das Quartier entwickeln will. 

Interview:  
Heidi Haag, Raumplanerin MAS ETH 

MetamorpHouse 

Die Website richtet sich insbesondere an Gemeinden sowie an Eigentümerinnen und Eigentümer von Einfamilienhäusern. Sie liefert Inhalte, um Hausbesitzende von der Machbarkeit, den Möglichkeiten und den Chancen des Weiterbauens zu überzeugen und sie dadurch aktiv in Innenentwicklungs-Prozesse einzubeziehen. 

In den Video-Reportagen von realisierten Weiterbauprojekten stehen die Erfahrungen der Eigentümerinnen und Eigentümern im Mittelpunkt. Video-Animationen mit konkreten Beispielen behandeln kurz und prägnant wichtige Themen, die sich beim Umbau eines EFH in mehrere Wohnungen stellen: architektonische Möglichkeiten, die Bedeutung der Hauseingänge, energetische Sanierung, Finanzierung und Tragbarkeit oder Vor- und Nachteile verschiedener Eigentumsformen. 
metamorphouse.ch 

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