Lagerplatz: Zwischennutzung 1991–2009

Auf dem riesigen Sulzer-Areal in Winterthur ZH konzentrierte sich die Zwischennutzung auf den so genannten Lagerplatz. Die idealen Raumstrukturen und der optimale Mietermix ermöglichten eine permanente Belebung, welche den Lagerplatz zum erfolgreichsten Teil des Umnutzungsvorhabens Sulzer-Areal machten. Durch den Verkauf an eine Stiftung konnte das Teilareal nachhaltig weiterentwickelt werden.

Eckdaten der Zwischennutzung auf dem Lagerplatz in Winterthur

  • Adresse: Lagerplatz, Zur Kesselschmiede, Tössfeldstrasse  8400 Winterthur.
  • Eigentümerin: Bis 2008 Sulzer Immobilien AG / Schweizerische Post. Ab 2009: Pensionskasse Stiftung Abendrot.
  • Verwaltung: Technische Verwaltung durch die Vivo Immobilien AG. Administrative Verwaltung: Abendrot Immobilien AG.
  • Lage: Grossstädtisch, zentral, 600m vom Bahnhof entfernt, Karte
  • Arealfläche: 4.6 ha, entspricht ca. 1/6 des Sulzerareals.
  • Nutzfläche: Zwischennutzung: 37'000 m2, Umnutzung max. möglich: 92'700 m2.
  • Struktur: Diverse grosse und mittlere Gebäude (20 Objekte, gebaut 1894 bis 1954): Produktionshallen, Werkstätten, Laborgebäude, Magazine.
  • Nutzung ehemals: Produktion und Logistik der Maschinenfabrik.
  • Zwischennutzungen: Hochschule/ Bildung, Therapien, Büro, Dienstleistungen, Handwerk, Handel, Verkaufsläden, Kultur- und Kunstschaffende, Trendsport, Gastronomie (über 100 Mieter).
  • Dauer: Seit Anfang der 1990er Jahre bis 2009.
  • Transformation: Diverse Gestaltungspläne, Verstetigung der Zwischennutzung mit nachhaltigem Wachstum.
  • Besonderes: Starke Belebung und Identitätsbildung schufen eine gute Ausgangslage für den Verkauf des Areals; die sanfte Weiterentwicklung erfolgte in Kooperation mit dem Arealverein.
  • Entstehung der Zwischennutzung: Ausstellung zur 700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft lockte Interessenten an.

Das ehemalige Industrieareal, benannt nach dem Winterthurer Sulzer-Konzern, liegt südwestlich des Bahnhofs. Ende der 1980er-Jahre wurde das Sulzerareal und damit auch der Lagerplatz als Produktionsstandort aufgegeben. Es wurde in der Folge zu einem der wichtigsten Entwicklungsgebiete der Stadt (zur Geschichte hier und hier.)

Schwierige Planungsgeschichte

Was die Grösse und das Potenzial für die Stadtentwicklung betrifft, ist das Sulzerareal in der Stadtmitte von Winterthur vergleichbar mit den Arealen der ABB in Baden AG oder im Zentrum Zürich-Nord. Der grosse Unterschied: Sulzer wollte die nicht mehr für Produktion gebrauchten Immobilien direkt verwerten, das heisst an Dritte veräussern, während an den ABB-Standorten auch ein Eigenbedarf gedeckt wurde. Für das rund 27 Hektaren grosse Sulzerareal fanden sich aber lange weder befriedigende planerische Lösungen noch Investoren. Mehrere Projektplanungen, Wettbewerbe, Testplanungen und öffentliche Foren brachten keine direkt umsetzbaren Ergebnisse. Selbst dem vom Stararchitekten Jean Nouvel konzipierten Grossprojekt «Megalou» war trotz erteilter Baubewilligung kein Erfolg beschieden.

Winterthur, Lagerplatz Zwischennutzung durch Hochschule
1990/91 wurde die ehemalige Kesselschmiede auf dem Lagerplatz-Areal zur Architekturhochschule der Hochschule ZHAW umgebaut. Foto: Vanessa Püntener

Zwischennutzung startete als Nebenschauplatz

Fast im Verborgenen begannen sich 1991 nach einer Ausstellung zum 700-Jahre-Jubiläum der Eidgenossenschaft auf dem 4,6 Hektaren grossen und kompakten Teilgelände «Lagerplatz» direkt an der Bahnlinie einzelne Künstler und Gewerbler für mietbare Räume zu interessieren. Der Lagerplatz wies eine ideale, gemischte Raumstruktur mit kleinen und mittleren Raumeinheiten sowie Hallen auf. Die Verwaltung strebte nicht gezielt einen Nutzermix an, sondern reagierte auf die Nachfrage, die durch Mund-zu-Mund-Propoganda entstand.

Innert weniger Jahren führte die Nachfrage zu einer fast vollständigen Vermietung des Leerstandes. Wenn in einem Gebäude alle Räume vermietet waren, folgte das nächste. Die Mietverträge wurden befristet auf jeweils fünf Jahre abgeschlossen, mit der Option auf eine Verlängerung. Auf dem Gelände nisteten sich Kreativwirtschaft, innovative Gewerbe, Kultur- und Gastrobetriebe sowie Akteure des Trendsports und der Soziokultur ein; ausserdem mieteten namhafte Bildungsinstitutionen wie die Rudolf-Steiner-Schule und die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaft (ZHAW) Räume.

Erstaunlich ist, dass ohne Vermietungskonzept ein tragfähiger Nutzungsmix mit grosser Ausstrahlung entstanden ist. Die Trümpfe des Areals für die rund 100 Mieter und Mieterinnen mit rund 350 Arbeitsplätzen waren die günstigen Konditionen, die Möglichkeit der sozialen Kontakte und die attraktive, wenn auch etwas heruntergekommene  Bausubstanz.

Winterthur, Lagerplatz Zwischennutzung Kraftfeld-Gastrobetrieb
Das Kraftfeld: seit 1996 ein gastrokultureller Betrieb, der den Geist des Lagerplatzes verkörpert. Foto: Vanessa Püntener

Endlich Stadt

Investitionen zur Verbesserung der Vermietbarkeit wurden von der damaligen Eigentümerin, der Sulzer-Immobilien AG, nur minimal vorgenommen. Ausnahmen bildeten der ZHAW- und der NW-Bereich, wo 1999 mit 1,3 Millionen Franken einige Gebäude zu Büros und Geschäftsräumen für KMUs umgebaut wurden. Der Lagerplatz entwickelte sich dennoch zum lebendigsten und erfolgreichsten Teil des Umnutzungsvorhabens auf dem Sulzer-Areal.

Für die Sulzer-Immobilien war der Lagerplatz wichtig, weil er für eine hohe Präsenz und eine permanente Belebung des Areals sorgte. Die Nutzungen und kreative Atmosphäre strahlte auf die ganze Stadt Winterthur aus. Vermehrt befriedigen Zwischennutzende sowie Publikum ihre Wohnbedürfnisse in der näheren Umgebung des Areals (Töss-Quartier). Überdies sagen Stadtkenner, dass sich Winterthur erst mit dem Lagerplatz zu einer richtig urbanen Stadt entwickelt habe, denn es sind Nutzungsangebote entstanden, die man in Winterthur zuvor vermisst hat.

Die Behörden nahmen die positiven Wirkungen der Zwischennutzung erst relativ spät wahr. Doch dann attestierte ein Stadtpräsident dem Lagerplatz, einer der spannendsten Orte Winterthurs zu sein und eine positive Ausstrahlung auf die gesamte Stadt auszuüben.

Winterthur, Zwischennutzung auf dem Lagerplatz im Jahr 2006
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Der Eingangsbereich zum Lagerplatz Richtung Süden im Jahr 2006 während der Zwischennutzung.
Foto: Stephan HayozFoto: Stephan Hayoz
Winterthur, Lagerplatz 2014
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Der Eingangsbereich zum Lagerplatz 2014 nach der Zwischennutzungsphase und während der Transformation. Man entdecke die Veränderungen!
Foto: Vanessa Püntener

Erfolgreiche Eigeninitiative der Mietenden

Als die Eigentümer 2006/07 eine weitere Testplanung für die Umnutzung des Lagerplatzes ausschrieben und einen Käufer für das Areal suchten, ahnte die Mieterschaft Schlimmes und begann sich intern zu organisieren. Die rund 100 provisorischen Mieter- und Mieterinnen schlossen sich im ArealVerein Lagerplatz zusammen. Sie begannen Visionen zu entwickeln, wie sich ein sanftes und nachhaltiges Wachstum dieses einzigartigen Lebensraumes mittels Selbstverwaltung verwirklichen liesse. Der Verein knüpfte selbst Kontakte mit möglichen Investoren.

Nach zweijährigen Verhandlungen übernahm die Pensionskasse «Stiftung Abendrot» 2009 das Lagerplatzareal von der Sulzer Immobilien AG und der Schweizerischen Post. Mit dem Kauf ging die Zeit der Zwischennutzung dem Ende entgegen. Die Stiftung plant eine langfristige, nachhaltige Entwicklung des Lagerplatzes. Im Kaufabschluss eingepreist wurde die Sanierung der Altlasten. Abendrot übernahm zudem – mit einigen Anpassungen – den aus der Testplanung hervorgegangenen Gestaltungsplan und verlängerte alle Mietverhältnisse um fünf Jahre.

Nachhaltige Transformation

Die Stiftung Abendrot übernahm ein durchmischtes und funktionierendes Areal. Um die Bedürfnisse der Mietenden und Anwohner abzuholen, organisierte sie 2009 eine Zukunftskonferenz. Danach folgten schrittweise und behutsam Sanierungen, Rückbauten und Neubauten, ein Energiekonzept und ein Aussenraumkonzept (vgl. Winterthur Glossar). Als vorerst letzte Erweiterung entsteht am Südrand des Lagerplatzes ein Neubau mit 80 Wohnungen, Gemeinschaftseinrichtungen, Hochschulräumen und einem Café mit Laden (Bau 141).

Mit dem Bau wird die Nutzfläche fast verdoppelt, von 37'000 auf 66'000 m2 (maximal möglich gemäss Gestaltungsplan: 92'700m2). 

Winterthur, Lagerplatz Neubau 141 als Illustration gezeigt
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Visualisierung des Neubaus 141 im Süden des Lagerplatz-Areals. Hier entstehen 80 Wohnungen, Gemeinschaftseinrichtungen, Hochschulräume und ein Café mit Laden.
Foto: Beat Rothen Architektur GmbH

Zentral für das Gelingen waren die Mitsprachemöglichkeiten und der regelmässige Austausch zwischen der Projektorganisation und dem Arealverein, der seit 2009 sechs bis acht Mal jährlich stattfindet. Zwar mussten sich die Nutzenden vom Wunsch nach Selbstverwaltung verabschieden, doch wäre dies ohnehin eine schwierige Aufgabe gewesen. Geblieben ist das Anliegen des Vereins, dass der Lagerplatz aufgrund der Erweiterung der Hochschulflächen nicht zu einem Studiencampus mutiert.

Wichtiger als formelle Verfahren waren für die Entwicklung des Areals die Aushandlungsprozesse – auch mit der Öffentlichkeit. Damit ist der Lagerplatz mit seinen heutigen urbanen Qualitäten ein nachahmenswertes Beispiel der Innenentwicklung.

Winterthur, Lagerplatz Plan der Nutzungen 2019
Übersichtsplan aller Gebäude auf dem Lagerplatz-Areal in Winterthur. Diesen Plan und die Liste der Mieter finden sich hier: www.lagerplatz.ch/mieter

Pläne zum Lagerplatz

Zwischennutzung
Der Begriff Zwischennutzung kam im Diskurs über Freiräume in der 68er-Bewegung auf. Später entwickelten sich Kooperationen zwischen Nutzenden und Eigentümern. Heute ist der Begriff auch in der Immobilienbranche salonfähig.
Zwischennutzung
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