Birsstadt BL/SO: die einzige Stadt, die ein Verein ist

Zehn Gemeinden, zwei Kantone, ein gemeinsamer Raum: die Birsstadt. Überkommunale Zusammenarbeit braucht viel Koordination – und angesichts der bestehenden Gemeindeautonomie auch viel Vertrauen. Einblicke in die Entstehungsgeschichte und den Planungsalltag der Wakkerpreisträgerin 2024.
Florian Inneman Geograf und Raumplaner, Team Siedlungsberatung EspaceSuisse

2007 machte das Fachmagazin «Hochparterre» eine Idee publik, die in regionalen Fachkreisen schon länger herumschwirrte: Sieben Gemeinden der Agglomeration Basel sind baulich derart zusammengewachsen, dass sie eigentlich eine Stadt bilden: die Birsstadt. Die Birs durchfliesst auf den letzten Kilometern den Raum der Birsstadt und mündet bei Birsfelden in den Rhein. Die Gemeinden sind baulich derart zusammengewachsen, dass man von aussen vielerorts kaum mehr nachvollziehen kann, wo die Grenzen liegen. Die Frage, ob es sinnvoll ist, wenn jede Gemeinde für sich plant, beantwortete «Hochparterre» damals ohne Umschweife mit «Nein»: «Räumlich betrachtet sind die sieben Gemeinden eine Stadt.
 

Die Birs als fliessende Grenze: links Birsstadt, rechts Basel-Stadt. Foto: Verein Birsstadt
Planung ohne Abstimmung über die Gemeindegrenzen hinweg ist in den letzten Jahren undenkbar geworden.
Melchior Buchs, Gemeindepräsident von Reinach BL

Gemeinsam statt einsam
Rund 17 Jahre später zeigt sich: Die Idee wird zur Realität – Schritt für Schritt. Die Birsstadt ist heute ein Verein mit zehn Gemeinden unterschiedlicher Grösse – von rund 1600 bis 20’000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Neun Gemeinden liegen im Kanton Basel Landschaft, eine (Dornach) gehört zum Kanton Solothurn.

«Planung ohne Abstimmung über die Gemeindegrenzenhinweg ist in den letzten Jahren undenkbar geworden», sagt Melchior Buchs, Gemeindepräsident von Reinach BL und derzeit Präsident der Birsstadt. Den gemeinsamen Blick auf den Raum gewährleisten drei ständige Arbeitsgruppen: die Regionalplanungsgruppe (RPLG) Birsstadt, die Birspark Landschaft (BiLa) und die Energieregion. Sie erarbeiten die gemeinsamen Planungsgrundlagen sowie Stellungnahmen. Die Zusammenarbeit ermöglicht es, Schnittstellen zwischen den Gemeinden sinnvoll zu bearbeiten. Zudem ist aus Sicht von Buchs auch der Erfahrungsaustausch sehr wichtig: In der Birsstadt hat es auf
den einzelnen Verwaltungen viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die beispielsweise spezialisiert sind auf Raumplanung, Mobilität oder Landschaft. «Weil wir die Dinge gemeinsam angehen, können wir auf viel mehr Ressourcen zurückgreifen.» In dieser Zusammenarbeit stecke ein grosser qualitativer Mehrwert, ist Buchs überzeugt.

In den letzten Jahren entstanden ein regionales Raumkonzept, ein Aktionsplan für den Birsraum («Birspark Landschaft»), ein Leitfaden für Mobilitätsgutachten, Musterformulierungen für Quartierplanreglemente und vieles mehr. Die neuesten Produkte sind ein Mobilitätskonzept sowie ein Konzept zur Klimaadaption. Der Verein legt den Schwerpunkt bewusst auf raumplanerische Themen.

Die intensive gemeindeübergreifende Zusammenarbeit hat auch die Aufmerksamkeit der Kommission für den Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes auf sich gezogen. Doch wie wurde die Idee der Birsstadt Realität?
 

Vereinsorganisation
Die Regionalplanungsgruppe (RPLG) Birsstadt ist eine von drei Arbeitsgruppen der Birsstadt. Jede Arbeitsgruppe hat ein Präsidium sowie eine Koordinationsstelle. Das Präsidium wechselt periodisch, die Koordinationsstelle bleibt in der Regel konstant bei einer Gemeinde Jede Arbeitsgruppe berichtet zuhanden des Vereinsvorstands. Dieser setzt sich aus den Präsidien der zehn Birsstadt-Gemeinden zusammen. Das Vereinspräsidium rotiert jährlich. Hier und auch in den Arbeitsgruppen spielt die unterschiedliche Gemeindegrösse keine Rolle: Man
agiert auf Augenhöhe. Finanziert wird der Verein durch Beiträge der Gemeinden, die im Verhältnis zur Einwohnerzahl stehen.
 

Dass die Bezeichnung Birsstadt nicht aus der Luft gegriffen ist, zeigt sich nicht nur auf dem Freilagerplatz in Münchenstein … Foto: Verein Birsstadt

Dort anfangen, wo es nicht wehtut

Am Anfang der gemeinsamen Zusammenarbeit stand der Freiraum: Im Rahmen eines Modellvorhabens «Nachhaltige Raumentwicklung» des Bundes wurde für die Birsstadt ein Freiraumkonzept erarbeitet. Auftraggeber war der Kanton BaselLandschaft. Mit diesem Projekt brachte der Kanton die Gemeinden an einen Tisch. Aus dem Freiraumkonzept Birsstadt (2009) entstand ein erstes gemeinsames Projekt in Form des Birsuferwegs (Einweihung 2014). Das Freiraumkonzept veränderte den Blick auf die Birs: Aus der Perspektive der einzelnen Gemeinden hat die Birs meist eine Randlage. Das Freiraumkonzept jedoch brachte den Fluss ins Zentrum und zeigte das räumliche Potenzial auf. Nur: Wie sollte der Birsraum genutzt werden? In einem dicht besiedelten Raum, wie es die Birsstadt ist, bestehen vielfältige Ansprüche. Interessenkonflikte sind da vorprogrammiert.

Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung IBA Basel 2020 erfolgte 2011 ein Projektaufruf. Die Gemeinden Muttenz und Münchenstein sowie das Goetheanum in Dornach reichten unabhängig voneinander Projekte zum Birsraum ein. Die IBA trug dazu bei, die drei Projekte zusammenzuführen. Die unabhängige Projekteingabe verdeutlicht, dass die beim Freiraumkonzept entstandene Zusammenarbeit noch nicht etabliert war. Aus dem Freiraumkonzept heraus und begünstigt durch die IBA entstand die Arbeitsgruppe Birspark Landschaft. Die AG BiLa liess nun den Aktionsplan für den Birsraum erarbeiten. Dies geschah partizipativ mit Akteurinnen und Akteuren aus dem Natur- und Freiraumbereich. Schutz und Nutzung des Birsraums sollten – so gut wie möglich – in Einklang gebracht werden. 2016 wurde der Aktionsplan verabschiedet – zeitgleich mit dem Raumkonzept Birsstadt 2035.
 

Abstimmung von Siedlung und Verkehr
Parallel zur AG BiLa bildete sich 2013 die Regionalplanungsgruppe Birsstadt. Hier stand das Bedürfnis nach der überkommunalen Abstimmung von Siedlung und Verkehr im Mittelpunkt. Am Tisch sassen die für die räumliche Entwicklung zuständigen Gemeinderätinnen und Raumplaner. Gemeinsam mit einem Fachbüro wurde das Raumkonzept Birsstadt 2035 erarbeitet. Dieses zeigt die räumliche Strategie und den Abstimmungsbedarf für den Raum der Birsstadt-Gemeinden auf. Das Raumkonzept zeigte zum ersten Mal in einer Gesamtübersicht alle vorgesehenen Arealentwicklungen der einzelnen Gemeinden mit den zusätzlich zu erwartenden Einwohnerinnen und Einwohnern sowie Arbeitsplätzen. Dadurch wurde offensichtlich: Wenn jede Gemeinde ihre Arealentwicklungen ohne gemeinsame Mobilitätsstrategie forciert, werden sich die bereits bestehenden Verkehrsprobleme massiv verschärfen
 

Zweckverband oder Verein?
Die Zusammenarbeit der Birsstadt-Gemeinden wurde zunehmend selbstverständlicher. Es fehlte allerdings eine übergeordnete Ebene,  welche die Fäden zusammenhält. So entstanden Raumkonzept und Aktionsplan Birspark Landschaft weitgehend unabhängig voneinander. Weiter waren die Lasten einseitig verteilt: Manche Gemeinden stellten mehr Ressourcen für die Birsstadt zur Verfügung als andere – dies sorgte zuweilen für Gesprächsstoff. Lange Zeit bestand im Kanton Basel-Landschaft keine rechtliche Grundlage für die Zusammenarbeit auf regionaler Ebene. Als das entsprechende Gemeinderegionengesetz in Bearbeitung war, unternahmen die Birsstadt-Gemeinden einen ersten Anlauf, ihrer Zusammenarbeit einen institutionellen Rahmen zu geben. Ein Zweckverband sollte es sein. Dies misslang: Die Gemeindeversammlung von Münchenstein sah die Gemeindeautonomie gefährdet; der Zweckverband wurde als undemokratisch empfunden. Weiter scheiterte 2017 auch das Gemeinderegionengesetz im Kantonsparlament. Mangels Alternativen entschieden sich die Birsstadt-Gemeinden für die Vereinsform.

Mit der Vereinsgründung 2018 wurde die bestehende Zusammenarbeit strukturierter. Sämtliche Gemeinden der Birsstadt sind Mitglied des Vereins. «Wir sind die einzige Stadt, die ein Verein ist», meint Melchior Buchs verschmitzt und erläutert den Hauptvorteil gegenüber dem System Zweckverband: «Der Verein zwingt uns, konsensorientiert zu arbeiten.» Da die einzelnen Gemeinden in der Birsstadt nach wie vor ihre Autonomie haben, braucht es viel gegenseitiges Vertrauen. Die Zusammenarbeit der letzten Jahre hat dieses gefördert. In der Birsstadt können sich die Gemeinden flexibel entscheiden, wie stark und wo sie sich einbringen. So fällt beim Betrachten des Raumkonzepts und des Aktionsplans BiLa auf, dass je nach Arbeitsgruppe unterschiedliche Gemeinden involviert waren. Das mag planerisch nicht optimal sein, da die verschiedenen Konzepte in der Konsequenz unterschiedliche Perimeter haben. Diese Flexibilität hat aber dabei geholfen, die Zusammenarbeit in heutiger Form zu etablieren. Und sie ist wichtig, da grössen- und ressourcenmässig sehr unterschiedliche Gemeinden beteiligt sind.

Da der Verein kaum Kompetenzen hat, müssen die Gemeinden mit ihren Organen die jeweiligen Instrumente verabschieden. Dass dies nicht immer ganz einfach ist, zeigt sich anhand des Mobilitätskonzepts
 

… sondern auch beim Blick über Reinach BL, der grössten Birsstadt-Gemeinde. Foto: Erich Meyer

Wie verbindlich soll’s denn sein?
Das Mobilitätskonzept muss – nach der erfolgten Freigabe durch den Vorstand der Birsstadt – von den jeweiligen Gemeinderäten (Exekutive) verabschiedet werden. Geplant war, diesen Prozess bis Ende August 2023 abzuschliessen.Stand Dezember 2023 war es noch immer in einer Gemeinde hängig. Auch wenn es einst alle verabschiedet haben werden: Die Nagelprobe kommt erst noch. Entscheidend wird sein, ob und wie die Gemeinden die definierten Massnahmen vorantreiben. Da die Birsstadt ein Verein und kein Zweckverband ist,
sind die verschiedenen Konzepte nicht behördenverbindlich. Eine höhere Verbindlichkeit hätte zum Beispiel ein regionaler Richtplan. Ein solcher ist in Baselland derzeit aber ohne Zweckverband nicht möglich. Diese Regelung wurde 2020, neben weiteren Bestimmungen zur regionalen Zusammenarbeit, im kantonalen Raumplanungs- und Baugesetz eingeführt.

Melchior Buchs ist überzeugt, dass die Gemeinden das Konzept umsetzen wollen. Dennoch wäre es aus seiner Sicht wünschenswert, dass der Kanton die Vereine den Zweckverbänden gleichstellt – zumal im Kanton im Planungsbereich bisher alle Regionen als Verein organisiert sind. Organisieren sich Gemeinden als Zweckverband, erhalten sie eine Anschubfinanzierung durch den Kanton – für Vereine gilt dies nicht.

Unabhängig von der gesetzlichen Lage: Für Buchs ist klar, dass es ein Controlling für die Umsetzung des Mobilitätskonzepts braucht. Es sei regelmässig zu prüfen, wo die Gemeinden stünden. Die Regionalplanungsgruppe hat hierfür eine kleine Gruppe zusammengesetzt, die bereits aktiv ist.
 

Mit rund 92’000 Einwohnerinnen und Einwohnern wäre die Birsstadt die siebtgrösste Stadt der Schweiz. Foto: Verein Birsstadt

Koordination hinter den Kulissen
Instrumente mit unterschiedlichen Inhalten, unterschiedlichen Perimetern und unterschiedlichen personellen Zuständigkeiten: Das erfordert Koordination. Und dies nicht zu wenig. Mittlerweile besteht eine jährliche Koordinationssitzung der Arbeitsgruppen – was am Anfang fehlte. Auch wenn der Austausch nun besser abgestimmt ist: «Personelle Wechsel in Politik und Verwaltung bleiben eine Herausforderung», meint Benjamin Kobler, Co-Leiter Raum & Umwelt der Gemeinde Münchenstein und Mitglied der RPLG. Koordination braucht es aber nicht nur innerhalb der Birsstadt, sondern auch mit den Kantonen. Diese sitzen ebenfalls am Tisch: mal mehr, mal weniger, je nach Thema. So ist beispielsweise Basel-Stadt als Nichtmitglied ebenfalls zu den Sitzungen der Regionalplanungsgruppe eingeladen. Sowohl beim Raum- als auch beim Mobilitätskonzept war der Nachbarkanton sehr präsent. 

Auch wenn die Zusammenarbeit der Gemeinden mittlerweile Alltag geworden ist: Für die Bevölkerung ist die Birsstadt meist noch wenig greifbar. «Es läuft viel in der Birsstadt, aber die Bevölkerung bekommt es kaum mit», hält Kobler von der Gemeinde Münchenstein fest. Auch Birsstadt-Präsident Buchs und Kantonsplaner Thomas Waltert teilen diese Einschätzung. Die allgemeine Sichtbarkeit der Birsstadt braucht noch Zeit, und auch entsprechende Gefässe. Vielleicht aber auch ein gemeinsames Ortsschild?
 

Ein bisschen Träumen zum Abschluss
Ohne Gemeindegrenzen wäre die Birsstadt mit rund 92’000 Einwohnerinnen und Einwohnern die siebtgrösste Stadt der Schweiz – hinter Winterthur und vor Luzern. Eine Gemeindefusion ist gemäss Buchs derzeit aber eine Utopie. Er verweist auf die emotionalen Bindungen zu den einzelnen Gemeinden, hinzu kommen noch die Bürgergemeinden. «Sinnvoll wäre es trotzdem», fügt er an. Denn als grössere Stadt hätte der Kanton ein anderes Gegenüber. «Manchmal habe ich den Eindruck, dass der Kanton auf politischer Ebene die Vorgaben macht und die Gemeinden zu gehorchen haben.» Planerische Beispiele für diesen Eindruck gibt es in der Tat: der langwierige Streit um die Mehrwertabgabe zwischen dem Kanton und der Gemeinde Münchenstein oder das jahrelange Festhalten an einer starren Anzahl von Pflichtparkplätzen – trotz nicht ausgelasteter Einstellhallen in den stadtnahen Agglomerationsgemeinden. Buchs erwähnt – ganz präsidial – diese Episoden nicht selbst, sondern verweist darauf, dass sich auf der Fachebene in den letzten Jahren eine gute Zusammenarbeit auf Augenhöhe entwickelt habe.
 

Projekte verbinden die Gemeinden und führen zu mehr Zusammenarbeit. Grafik: Kaspar Allenbach, EspaceSuisse

Im Interview: Thomas Waltert, Kantonsplaner des Kantons Basel-Landschaft seit drei Jahren. 

Regionalplanung ist gut, wenn man nicht zu lieb miteinander ist.
Thomas Waltert

Was macht Regionalplanung aus?
Der Kanton Basel-Landschaft ist in seinen geografischen Räumen relativ gut ablesbar. Es bestehen funktionale Räume – da ist es sinnvoll, über die Gemeindegrenzen hinaus zusammenzuarbeiten. Die klassischen Raumplanungsaufgaben – Abstimmung von Siedlung und Verkehr, die Planung der Landschaft, der Arbeitsplatzgebiete etc. – muss man gemeinsam lösen. Die Aufgaben unterscheiden sich aber je nach Raum. Im ländlichen Baselbiet, wo die Dörfer eine grössere Distanz zueinander haben, geht es um andere funktionale Themen als in der Agglomeration, wo die ursprünglichen Dörfer zu grossen Gebieten zusammengewachsen sind und man sich praktisch den gleichen Lebensraum teilt.
 

Und was macht eine gute Regionalplanung aus?
Sie ist gut, wenn man nicht zu lieb miteinander ist. Daran muss man zuerst arbeiten, um gegenseitiges Vertrauen aufzubauen und eine konstruktive Streitkultur zu entwickeln. Oft wird ein gemeinsamer Plan erarbeitet, und es schaut dann doch jede Gemeinde nur für sich. Spannend wird es, wenn zum Beispiel Arbeitsplatzgebiete zusammengelegt oder die Mobilitätsmassnahmen gemeinsam festgelegt werden. Oder wenn man verbindende Räume zusammen denkt, indem man einen Flussraum gemeinsam plant. Sehr wirksam ist auch, wenn Ressourcen gebündelt werden und beispielsweise eine gemeinsame Bauverwaltung lanciert wird.
 

Und wie steht es um die gute Regionalplanung im Kanton Basel-Landschaft?
Wir haben eine Region, die ganz klar eine Vorreiterrolle einnimmt: Das ist die Birsstadt. Bezeichnend ist übrigens, dass
sich die Region nicht Verein Birstalgemeinden, sondern Birsstadt nennt. Diese hat vor mehr als 15 Jahren mit der Zusammenarbeit begonnen – früher als die anderen. Die anderen Baselbieter Planungsregionen – Laufental, Leimental Plus, Liestal Frenkentäler Plus und das Oberbaselbiet – haben später zusammengefunden und entsprechend noch nicht gleich viel Erfahrung gesammelt. Es gab auch lange kein Gesetz auf kantonaler Ebene, um die Zusammenarbeit zu fördern
 

Regionale Zusammenarbeit ist dann gut, wenn es anfängt, wehzutun: Ist dies in der Birsstadt der Fall?
Ja, ich glaube, dass man jetzt an diesem Punkt ist. Wobei «wehtun» im übertragenen Sinn zu verstehen ist, als natürlicher Prozess der langjährigen Zusammenarbeit. Man wird kritikfähiger und lässt zu, dass die anderen Gemeinden sich zu Projekten kritisch äussern. Ist diese Offenheit vorhanden, zeigt sich ein anderer Effekt: Man profitiert, da sich ganz andere Aspekte bemerkbar machen, wenn etwas gemeinsam angegangen wird.
 

Wo macht sich dies in der Birsstadt bemerkbar?
Bei der Diskussion um das Mobilitätskonzept zum Beispiel. Man hatte den Mut zu sagen: Wir wachsen zwar bezüglich Bevölkerungs- und Arbeitsplatzzahl, aber nicht beim Anteil des motorisierten Individualverkehrs. Das war ein Prozess, bis man an diesem Punkt war. Parallel und unabhängig von der Erarbeitung des Mobilitätskonzepts gab es eine Diskussion um den Autobahnzubringer Dornach. Die Gemeinden Aesch und Dornach stritten um die richtige Lage – man war in eine Sackgasse gelangt. Die Kantone Basel-Landschaft und Solothurn haben
dann gemeinsam mit den beiden Gemeinden eine Lösung gesucht. Erst als man nicht nur über den Zubringer, sondern über den gemeinsamen Lebensraum sprach, kam man auf eine für alle Parteien gute Lösung. Wichtig war dabei auch der Einbezug der Bevölkerung und der relevanten Grundeigentümer. Das gemeinsame Planen und Diskutieren führte zu einem enormen Erkenntnisgewinn.
 

Als die Gemeinden über den gemeinsamen Lebensraum sprachen, kam man auf eine gute Lösung.
Thomas Waltert

Die Episode mit dem Zubringer klingt nach Nachbarschaftsstreit. Welche Rolle spielte dabei die Birsstadt als Ganzes?
Eine indirekte, aber zentrale Rolle: Aufgrund der Arbeiten der Birsstadt hat man nicht bei null angefangen. Es gab bereits Erfahrungen in der Zusammenarbeit. Und es waren fachliche Grundlagen vorhanden, zum Beispiel das Raumkonzept oder der Aktionsplan «Birspark Landschaft». Es bestehen entsprechend regional ausgehandelte Absichten und somit mehr als lediglich kommunale Sichtweisen oder der kantonale Richtplan. Das war sehr hilfreich. Ohne dies wäre der Prozess in dieser Form nicht möglich gewesen. 
 

Verein Birsstadt vs. Gemeindeautonomie: In den Grenzräumen wird sich akzentuiert zeigen, ob man «zu lieb miteinander ist». Foto: Verein Birsstadt

Wie sieht es mit Gemeinden aus, die noch nicht zusammenarbeiten: Kann man regionale Zusammenarbeit verordnen?
Ich bin überzeugt, dass man Zusammenarbeit nicht verordnen kann. Es braucht ein «Zusammenspiel auf Augenhöhe» zwischen Kanton und Gemeinden. Der Kanton und die Gemeinden müssen dafür bereit sein. Wenn es nur einer von beiden ist, funktioniert es nicht. Der Kanton kann eine entscheidende Rolle spielen, indem er Gemeinden einlädt, gemeinsam an Projekten zu arbeiten. Durch die Zusammenarbeit entstehen integrale Sichtweisen und bessere Lösungen. Es muss nicht die ganze Region sein, die sich beteiligt, es können auch nur zwei, drei Gemeinden sein. Modellhafte Projekte unterstützt der Kanton finanziell.
 

Regionale Zusammenarbeit kann man nicht verordnen.
Thomas Waltert
Die Birs hat viele Gesichter: Mancherorts lädt sie zum Verweilen ein …… anderorts fliesst sie unscheinbar «versteckt» hinter Gewerbearealen durch. Foto: Verein Birsstadt

Wie sieht dies konkret aus?
Derzeit läuft ein Prozess in den Gemeinden Frenkendorf, Füllinsdorf und Liestal im Schönthal. Der Gebietsname hat etwas: Es könnte dort sehr schön sein. Allerdings ist einiges, was dort gebaut wurde, weniger schön. Der Kanton hat dazu eine Auslegeordnung erarbeitet und die Gemeinden einbezogen. Nach diesem Grundlagenprozess stand die Frage im Raum, ob wir – Gemeinden und Kanton zusammen – die städtebauliche Zukunftsperspektive gemeinsam weiterbearbeiten würden. Alle drei haben umgehend zugesagt. Ich freue mich sehr auf diesen gemeinsamen Prozess und bin überzeugt, dass wir am Ende ein ganz anderes Verständnis und eine Umsetzungsagenda über das Schönthal haben werden.
 

Wir haben viele bauliche Sünden im Kanton.
Thomas Waltert

Gibt es im Kanton Basel-Landschaft auch Gemeinden, die keiner Region zugehörig sind?
Ja, diese gibt es vereinzelt. Es gibt immer Gemeinden, die zunächst einmal abwarten. Und dann gibt es noch solche, die lagebedingt zu keiner spezifischen Region gehören, da sie an einer Scharnierstelle liegen. Pratteln ist so ein Fall. Da ist es vielleicht auch richtig, dass sie nicht fix Teil einer Region sind. Im Raumplanungsbereich sind wir auf gutem Weg. Was mir Sorgen bereitet, sind die verschiedenen Themen ausserhalb der Raumplanung.
 

Können Sie das konkretisieren?
Jenseits der unmittelbaren raumplanerischen Zusammenarbeit gibt es Schulregionen, Altersregionen etc. Je nach Gremium sind unterschiedliche Gemeinden beteiligt. Dies funktioniert auf die Länge nicht, wenn raumrelevante Themen auf den Tisch
kommen. Und je länger auf diese Weise gearbeitet wird, desto grösser ist die Gefahr, dass es zu Widersprüchen in der Planung kommt. Zudem ist die Bündelung der Ressourcen enorm erschwert.
 

Was wäre für Sie eine logische Weiterentwicklung der regionalen Zusammenarbeit?

Bei der Birsstadt habe ich den Eindruck, dass die übergeordneten Planungen mehr oder weniger abgeschlossen sind. Den Fokus in den nächsten Jahren sehe ich in den grenzüberschreitenden Entwicklungsgebieten wie in Dornach-Aesch oder in Münchenstein-Arlesheim. Aus meiner Sicht können räumlich konkretere Perspektiven für die Grenzräume der Gemeinden eine sinnvolle Ergänzung der bestehenden Konzeptarbeiten sein. Daneben steckt die grosse Herausforderung im Umgang mit dem baulichen Bestand – ein Thema, das vielerorts
vernachlässigt wurde. Dabei geht es auch um eine stärkere Auseinandersetzung mit baulichen Qualitäten. Wir haben viele bauliche Sünden im Kanton. Innenentwicklung funktioniert nur dann, wenn man auf Qualität setzt – beim Bauen, Um- und Weiterbauen, aber auch bei den Grün- und Freiräumen. Manch grössere Gemeinde hat eine Baukommission. Ein nächster Zusammenarbeitsschritt auf regionaler Ebene könnte sein, dass mehrere Gemeinden gemeinsam eine solche Kommission einrichten. Hat eine Gemeinde ein grösseres Projekt, könnte sie
dann die regionale Kommission angehen. Eine solche Kommission wäre ein mutiger Schritt für eine Region und ein wertvoller Beitrag für die Innenentwicklung und die Baukultur.
 

Was wäre anders in der Birsstadt ohne regionale Zusammenarbeit?
Die Birsstadt wäre keine Stadt, sondern man hätte zehn einzelne Gemeinden, die sich selbstzufrieden im eigenen Saft drehen würden. Man wäre auf jeden Fall einsamer, denn die Gemeinden können voneinander profitieren und zusammen mehr bewirken. Es hat eine gewisse Logik, dass man im funktionalen Raum zusammenarbeitet – wie mit der Nachbarschaft im Wohnumfeld: Es ist einem doch wohler, wenn man mit den Nachbarn gut auskommt und vielleicht sogar den Grill teilt.
 

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