Ein langer Atem für eine gezielte Impulsentwicklung am Schlossbergplatz

Der Schlossbergplatz in Baden zeigt, wie sich ein ehemaliger Verkehrsknoten in einen belebten öffentlichen Raum und eine attraktive Stadtverbindung transformieren kann. Die ehemalige Strassenunterführung, die das Stadtzentrum mit dem früheren Industriegelände verbindet, dient heute als beliebter, witterungsgeschützter Aufenthaltsraum für Clubbesucher und Nachtschwärmer. Verschiedene neue Läden und Gastronomielokale im «Blinddarm», wie die Unterführung abwertend genannt wurde, profitieren von der Platzgestaltung und dem Wegfall des motorisierten Verkehrs. Auch die zahlreichen Busse werden durch den Ersatzneubau und unter dem Schlossberg hindurchgeführt. Der neu gestaltete Schlossbergplatz ist ein wichtiges Element der innerstädtischen Vernetzung mit Fokus auf den Fussgänger- und Fahrradverkehr. Er dient auch als Impuls für die Inwertsetzung und massvolle Entwicklung weiterer Bauten in der Innenstadt.
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Das Beispiel Schlossbergsplatz bewertet von EspaceSuisse nach der Methode «IRAP Kompass Innenentwicklung».
Die Qualität des alten Schlossbergplatzes (im Hintergrund) als öffentlicher Raum war vor der Sanierung gering. Die Unterführung (Vordergrund), der ehemalige «Blinddarm», war lange die einzige Zufahrt in die Altstadt. Foto: Stadt Baden

Ausgangslage

Der Schlossbergplatz liegt an der Schnittstelle zwischen der historischen Altstadt und den Quartieren Gstühl und Martinsberg auf der anderen Seite der Bahngeleise. Über eine triste Bahnunterführung gelangte der motorisierte Verkehr in die Altstadt. Der Schossbergplatz wurde als Strassenkreuzung wahrgenommen. Obwohl der Verkehr aufgrund verschiedener Massnahmen in den letzten Jahrzehnten reduziert werden konnte, behielt die Unterführung ihren abwertenden Namen «Blinddarm». Bei der Neugestaltung der oberen Altstadt ab 2004 wurde die Gestaltung dieses Orts zu einem der Schlüsselprojekte, um die Qualität des Aussenraums zu verbessern.

Kennziffern

  • Einwohnerzahl Baden: 19'168 (2017)
  • Einwohnerdichte: 1'455 Einwohner/km2 (2017)
  • Arealgrösse: ca. 4'600 m2
  • Investitionskosten Neubau Schossberg: 11,5 Mio. CHF
  • Wohneinheiten Neubau: 8 Maisonette-, 3 Etagenwohnungen
  • Gewerbe-, Ladenfläche: 216 m2, 112 m2 (Lager)
  • ÖV-Güterklasse: A - sehr gute Erschliessung
  • Gemeindetyp BFS: Städtische Gemeinde einer mittelgrossen Agglomeration
Übersicht über die Teilprojekte. Quelle: E. van der Werf, EspaceSuisse

Bewertung

Lage

Der Schlossbergplatz liegt zwischen dem Stadtturm und den Bahngeleisen. Lange Zeit war er die zentrale Drehscheibe für den motorisierten Verkehr in der Badener Altstadt. Die SBB-Unterführung bzw. der ehemalige «Blinddarm» ist jener Teil des Schossbergplatzes, der die obere Altstadt mit dem alten, heute transformierten Industrieareal und dem übergeordneten Strassennetz verband. Heute ist der Schlossbergplatz mit seiner Unterführung ein Durchgangs- und Aufenthaltsraum für Fussgängerinnen und Fussgänger sowie für Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer, die mit dem Velo oder den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind. Alltägliche Bedürfnisse wie Einkaufen, Wohnen, Bildung, Erholung und Mobilität kommen hier zusammen.

Das Areal weist verschiedene Nutzungsebenen auf und ist mit dem öffentlichen Verkehr bestens erschlossen. Es weist aufgrund seiner Lage ideale Bedingungen auf, um unterschiedliche städtische Angebote und die Vernetzungsfunktion optimal miteinander zu koordinieren.

Die strategischen Planungs- und Führungsinstrumente der Gemeinde sind in einer Gesamtstruktur zusammengefasst. Inhaltlich sind die Instrumente aufeinander abgestimmt. Quelle: Website Stadt Baden

Gemeinde

Seit über 40 Jahren gestaltet die Stadt Baden aktiv ihre Zukunft. Früher standen Bau und Verkehr im Vordergrund. Ab 1998, mit dem Planungsleitbild, wurde die Stadtentwicklung zu einem wichtigen Thema. Das aktuelle Planungsleitbild 2026 umfasst ein Zukunftsleitbild. Zu verschiedenen Themen und Herausforderungen wurden Ziele definiert, die alle 12 Jahre überprüft und erneuert werden. Mit diesem strategischen Instrument lenkt die Stadt ihre Entwicklung und definiert ihre Identität. Auch die Verdichtung, Mehrfachnutzungen und Synergien zwischen verschiedene Nutzungen werden koordiniert.

Um Nutzungs- und Nachbarschaftskonflikte zu lösen, arbeitet Baden aktiv mit den Instrumenten der Mitwirkung und der Partizipation, speziell wenn es um Verdichtungsaufgaben geht. Für die Umgestaltung des Schlossbergplatzes organisierte die Stadt einen offenen Wettbewerb. Begleitet wurde dieser Prozess von einer Kommission, in der Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Wirtschaft sowie aus den Quartiervereinen und Anwohnerinnen und Anwohner Einsitz nahmen. Die Bevölkerung wurde mittels einer Abstimmungszeitung umfassend informiert. Bei der Baustelle wurden auf Informationstafeln die aktuellen Projektfortschritte dargestellt. Mit Flyern wurden die angrenzen Anwohnerinnen und Ladenbesitzer regelmässig über den aktuellen Stand der Bauarbeiten informiert.

Eigentum

Eine aktive Immobilienstrategie und Bodenpolitik ermöglicht der Gemeinde Flexibilität im Planungsprozess und sichert ihr den notwendigen Handlungsspielraum. Die Zusammenarbeit mit einem lokalen privaten Investor am Schlossberg war für beide Parteien von Nutzen. Die Gemeinde entwickelte und finanzierte den Aussenraum, der Investor Teile des Ersatzneubaus sowie die darunterliegenden Gastronomieflächen entlang der Unterführung. Das Schnellrestaurant MacDonald’s plant als Folge eines Flächenabtausches an den Schlossbergplatz umzuziehen. Die Gemeinde hat die Hoffnung, dass es dort eine Magnetfunktion erfüllen wird.  Die Handänderung des heutigen Einkaufszentrums Manor am Schlossbergplatz im Jahr 2006 nützte die Stadt, um ihre Interessen einzubringen und durchzusetzen. Erst mit der neuen Eigentümerschaft des Gebäudes konnten die Resultate des Wettbewerbs zur Platzgestaltung aus dem Jahr 2003 umgesetzt werden.

Prozess

Die etappenweise Umgestaltung der innerstädtischen öffentlichen Räume in Baden wurde als langfristiges Projekt angelegt und verlangt von den Planungsbehörden einen langen Atem. Die Gestaltung des verkehrsarmen Schlossbergplatzes war jedoch das Schlüsselprojekt des Erschliessungs- und Verkehrsberuhigungskonzepts. Im Jahr 2003 wurden im Rahmen eines Wettbewerbs Gestaltungvorschläge zur Aufwertung des gesamten Platzes gesucht.

Das Projekt konnte nicht in Angriff genommen werden, weil der Grundeigentümer einer Schlüsselparzelle sich dagegenstellte. Ein Eigentümerwechsel veränderte die festgefahrene Situation. Der neue Eigentümer nahm mit der Stadt Kontakt auf und zeigte sein Interesse an einer Umsetzung des Wettbewerbsresultats von 2003.

2007 wurde der Baukredit in einer Volksabstimmung bewilligt, im Jahr darauf wurde der Umbau des Platzes in Angriff genommen. Die Eröffnung wurde 2009 gefeiert. Der Bau des Ersatzneubaus Schlossberg startete, unter anderem infolge Einsprachen, erst neun Jahre später.

Akzeptanz

Die Bevölkerung hat die Umgestaltung des Platzes positiv aufgenommen. Es brauchte jedoch etwas Zeit, bis sich die Fussgängerinnen und Velofahrer an die Linienführung – den sogenannten «Shared Space» – gewöhnt hatten. Heute wird dieser Raum als wertvoll empfunden, denn hier können verschiedenste Veranstaltungen und Anlässe stattfinden. Ein Knackpunkt ist heute noch der Schleichverkehr: Trotz Verbot wird der ehemalige «Blinddarm» weiterhin als kürzester Weg aus der Altstadt benutzt.

Ein tolles, unvorhergesehenes Extra ist das Aufleben des Nachtlebens in der Unterführung. Witterungsgeschützt können die Besucherinnen und Besucher der verschiedenen Bars und Clubs in der Unterführung feiern. Schalldämmende Massnahmen schützen die Nachbarquartiere. Für die lokale Bevölkerung hat die Attraktivität Badens merklich zugenommen.

Dichte

Da der Schlossbergplatz ein öffentlicher Raum ist, ist die bauliche Dichte hier kein Thema. Mit dem Ersatzneubau und den neuen Laden- und Gastronomieflächen hat die Nutzungsdichte um den Platz herum und auf dem Platz selber zugenommen.

Auch die funktionale Dichte, welche die Vielfalt der unterschiedlichen Nutzungen bezeichnet, hat zugenommen. Kurze Wege und ein breites Angebot erhöhen die Lebendigkeit des Platzes. Dadurch steigert sich auch die soziale Dichte, das heisst die Intensität der Beziehungen in diesem Raum. Arbeiten, Wohnen und Erholung sind gut aufeinander abgestimmt. Die Gestaltung des Platzes lädt zu informellen, spontanen Begegnungen ein.

Qualität

Durch die Neugestaltung hat der Schlossbergplatz  eine Identität und eine angenehme Atmosphäre erhalten. Dazu beigetragen haben auch die Renovation des historischen Stadtturms, die neu gestaltete, verglaste Fassade des Einkaufszentrums Manor sowie die bauliche Qualität des Ersatzneubaus. Die Aufenthaltsqualität auf dem Platz ist heute hoch. Die Begegnungszone wurde nach dem «Shared-Space»-Prinzip gestaltet: Die Mischverkehrsfläche wird von verschiedenen Benutzerinnen, Fussgängern, Velofahrerinnen und vereinzelten Bussen genutzt. Märkte und Feste auf dem Schlossbergplatz sind beliebte Treffpunkte für die regionale Bevölkerung. Kunst, ein Brunn, eine punktuelle Begrünung, Sitzelemente sowie die Gastronomie und die Läden in den Sockeln der Gebäude tragen dazu bei, dass die Besucherinnen und Besucher auf dem Platz verweilen können.

Wirtschaftlichkeit

Ein durchdachter Aussenraum ist eine wertvolle Investition, wenn er dazu beiträgt, Quartiere zu vernetzten und Nutzungsvielfalt und Lebendigkeit zu fördern. Welche Rendite der neu gestaltete Platz abwirft, ist kaum messbar. Ein positiver Effekt zeigt sich aber daran, dass sich oft viele Menschen auf dem Platz aufhalten und dass entlang der beliebten, unterirdischen Passage neue Gastronomieangebote entstehen. Die Fläche mit dem zusätzlich nutzbaren, bedeckten Raum hat sich verdoppelt. Für die Läden erweist es sich aber als schwierig, an diesem Ort längerfristig bestehen zu können.

Die finanziellen Risiken der Umgestaltung waren für die Stadt überschaubar, da diese in verschiedenen Teilprojekten gestaffelt erfolgte; gleichzeitig konnten notwendige Reparaturen durchgeführt werden und private Investoren übernahmen Teile der Kosten. Auch Manor trug mit seinem Umbau im Jahr 2005 zur Attraktivität des Platzes bei. Zudem vergrösserte das Geschäft seine Verkaufsfläche um zehn Prozent. MacDonald’s, der an den Schlossbergplatz umziehen wird, könnte weitere Kundinnen und Kunden anziehen.

Leider konnten nicht alle Betriebe, die an den Schlossbergplatz anstossen, in das Projekt einbezogen werden. So bricht die Neugestaltung auf der anderen Seite – in den Quartieren Gstühl und Martinsberg – abrupt ab. Hier gäbe es noch ein Potenzial zur Aufwertung. Ein zentraler Fokus ist zudem auf die zukünftige Entwicklung des Detailhandels (Nutzung der Erdgeschosse) zu richten, um auch längerfristig einen attraktiven Platz zu garantieren.

Zusammenfassung

Innenentwicklungsprojekte – dazu gehören auch innerstädtische öffentliche Räume – brauchen einen langen Atem. Die Transformation eines ehemaligen Verkehrsknotens in einen Platz mit Aufenthaltsqualität kommt nur zustande, wenn alle am gleichen Strick ziehen: Die Politik, die Verwaltung, aber auch die privaten Grundstücksanlieger.

Die Vorteile der Kooperation mit den privaten Investoren liegen in den entstandenen Synergien und Mehrfachnutzungen. Erfolgreiche Verdichtungsimpulse erfordern eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Stadtrat und der Verwaltung. Dafür braucht es als wichtige Voraussetzungen eine offene Haltung und eine intensive Kommunikation.

Besondere Stärken aus Sicht von EspaceSuisse 

  • Die Ziele des Planungsleitbilds wurden von der Stadt aktiv umgesetzt
  • Die Wettbewerbsresultate wurden konsequent ausgeführt
  • Es fand eine sinnvolle Etappierung der Umsetzung statt.
  • Das Projekt ist ein sichtbarer Beweis, dass mit unkonventionellen Ideen aus unwirtlichen Verkehrsknoten Aufenthaltsräume geschaffen werden können.

Weiterführende Informationen

  • 2018. Führung vor Ort, Herr Zolliker, Stadt Baden (11.09.2018).
  • 2018. https://www.baden.ch/ (06.09.2018).
  • 2018. https://www.ag.ch/ (23.08.2018).
  • 2018. https://www.schlossbergbaden.ch/ (23.08.2018).
  • 2014. Planungsleitbild 2026 (2014), Stadt Baden. Baden.
  • 2014. Planungsbericht 2014 (2014), Stadt Baden. Baden.
  • 2010. Hochparterre 1–2/2010, Operation am Blinddarm. Zürich.
  • 2007. Hochparterre 6–7/2007, Beilage «Baden: Kleine Stadt auf grosser Fahrt». Zürich.
  • 2007. Baden ist. Abstimmung 22. Oktober (2007), Stadt Baden. Baden.

Stand der Bewertung durch EspaceSuisse: Juli 2019

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