Appenzell Ausserrhoden: Wie die «Haus-Analyse» zum Erfolgsmodell wurde

Was im Jahr 2006 in einer Initiative des Bundesamtes für Wohnungswesen BWO seinen Ursprung hatte, gilt heute im Kanton Appenzell Ausserrhoden als Erfolgsmodell. Ein standardisiertes Verfahren zur Analyse von Liegenschaften hilft den Eigentümern ihre Häuser zu beurteilen. Vom Kanton unterstützt, schafft die heute im Baugesetz verankerte, sogenannte «Haus-Analyse» Klarheit bei der Sanierung alter Liegenschaften. Die Gebäude in Ausserrhoden gehören schweizweit zu den ältesten. Die Nachfrage ist entsprechend gross.
David Steiner, Geograf

Die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Beispiel:

  • Eine Haus-Analyse gibt Aufschluss über den Zeitwert einer Liegenschaft
  • Mit der Haus-Analyse wird ein Konzept entwickelt, das die Ansprüche der Eigentümer berücksichtigt
  • Das Instrument der Haus-Analyse konnte in Appenzell Ausserrhoden politisch verankert werden
  • Das Einbinden einer Geschäftsstelle als Anlauf- und Koordinationsstelle hat sich in Appenzell Ausserrhoden etabliert
  • Die Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege ist wichtig und trägt stark zum Erfolg des Instruments bei
  • Ein regelmässiger Erfahrungsaustausch unter den Architekten fördert die Qualität

Was sich gerade draussen abspielt, böte besten Stoff für einen Werbefilm. Es ist Spätsommer, kurz vor Mittag. Der Himmel wolkenlos. Die Sonne hat nicht mehr die gleiche Kraft wie noch vor wenigen Tagen. Minim der Unterschied, die Veränderung ist dennoch spürbar. Bald schon wird der Sommer die Bühne dem Herbst überlassen. Warme Farbtöne mässigen das grelle Sommerlicht. Ungeachtet dieser Veränderungen grasen in Mitten der wunderschönen Hügellandschaft Kühe sattes Grün, in einer ansteckenden Gemütlichkeit, wie dies nur Kühen gelingt. Geduldig, stolz, stoisch.

Der Blick bleibt an einzelnen, freistehenden Bauernhäusern hängen, die allesamt die gleiche Architektursprache sprechen. Imposante Fronten mit breiten, symmetrischen Bandfenstern, versenkten Fensterläden und bunt gefassten Fassaden. Balkone sucht man vergebens. Der Ökonomieteil steht quer zum Wohngebäude, das nach Süden ausgerichtet ist. Der Kreuzfirst vereint beides zu einem stimmigen Ganzen – dem für die Region typischen «Kreuzfirsthaus». Zwischen diesen Gehöften ist viel Grünraum. Die Gebäude stehen meist allein, selten in losen Gruppen zu zweien oder dreien. Auch das ist eine für diese Region typische Eigenschaft. Ich befinde mich mitten im Appenzellischen, auf der Fahrt mit der gleichnamigen Bahn irgendwo zwischen Herisau und Bühler, meinem Reiseziel. Die Halbkantonsgrenzen werde ich auf der Fahrt zweimal passieren, der Szenerie draussen wird dies keinen Abbruch tun. Im Gegenteil: Die Fahrt bestätigt das, was ich eigentlich schon vorher wusste. Die Appenzeller Hügellandschaft und ihre beeindruckende Baukultur sind einzigartig.

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Appenzell: Sanfte Hügellandschaft und markante Architektur. Foto: B. Jud, EspaceSuisse

Ankunft in Bühler: Das kleine Bahnhofbuffet, eine Mischung aus Kiosk, Shop für Pendler und Café, ist geschlossen. Es ist Mittagszeit und nicht viel los am Bahnhof. Einen Steinwurf vom Bahnhof entfernt steht an der Dorfstrasse 82 das Fabrikantenhaus der Unternehmerfamilie Tischhauser. Die schöne Liegenschaft ist im Besitz der Firma Tisca Tischhauser AG. Ich bin mit Herrn Tischhauser verabredet. Grund für meinen Besuch ist nicht die Hügellandschaft, sondern die Appenzeller Baukultur und eine Herzensangelegenheit. Das markante Gebäude Tischhausers wurde vor wenigen Jahren saniert und erstrahlt heute in neuem Glanz. Dieser Metamorphose vorausgegangen ist eine «Haus-Analyse». Mehr dazu später.

Die Liegenschaft an der Dorfstrasse 82 in Bühler wurde umfassend saniert. Basis dazu lieferte die Haus-Analyse. Foto: D. Steiner.

Hoher Sanierungsbedarf

Neben der Landschaft und der besonderen Architektursprache ist auch der Anteil der Altbausubstanz in Appenzell Ausserrhoden schweizweit einmalig. Von den rund 24'000 Gebäuden wurden 47 Prozent, also rund 11'000 Objekte, vor über hundert Jahren errichtet. Zum Vergleich: Der Schweizer Durchschnitt an alten Gebäuden liegt bei 18 Prozent. Es erstaunt deshalb nicht, dass der Sanierungsbedarf einzelner Ausserrhodener Gebäude gross ist. Wurde der Unterhalt in den letzten Jahren und Jahrzehnten vernachlässigt oder gar komplett «vergessen», drohen aufwendige Sanierungen, im seltenen Fall gar der Abriss. Nicht so in Bühler an der Dorfstrasse 82, dem stattlichen, dreigeschossigen Herrschaftshaus aus den Anfängen des 19. Jahrhunderts.

Früh genug hat die Unternehmerfamilie Tischhauser erkannt, dass sie in den Erhalt der Liegenschaft investieren muss. Urs Tischhauser, der einstige Patron der weit über die Kantonsgrenzen hinaus bekannten Textilfabrik «Tisca», gibt stolz Auskunft. Die operative Leitung der Firma habe er schon länger an seine drei Söhne abgegeben. Im Büro sei er aber nach wie vor fast täglich anzutreffen. «Es ist schön, dass die Familientradition weitergeführt und die Übergabe an die nächste Generation erfolgen durfte.» Er selber habe den Betrieb damals von seinem Vater übernommen. Heute ist Tisca eine weltweit tätige Firmengruppe mit knapp 400 Angestellten an unterschiedlichen Standorten. So war denn auch die Erwartung von Urs Tischhauser an die Sanierung der Liegenschaft an der Dorfstrasse 82 nicht unbescheiden. «Wir wollten es schon richtig machen», betont er mit einem Augenzwinkern.

Hilfe für die Sanierung hat sich Tischhauser bei der Kantonalen Denkmalpflege geholt. Von Fredi Altherr, dem damaligen Denkmalpfleger, hat Tischhauser erfahren, dass in Appenzell Ausserrhoden die Möglichkeit besteht, für «dorfbildbestimmende» Altbauten eine «Haus-Analyse» durch Baufachleute durchführen zu lassen. Dabei handelt es sich um eine professionelle Beurteilung von Liegenschaften vor deren Kauf, Verkauf, Umbau oder Umnutzung. Beschrieben werden der Unterhaltsbedarf, der energetische Standard, Veränderungsmöglichkeiten und die Wirtschaftlichkeit der Liegenschaft zum Zeitpunkt der Beurteilung sowie nach den Renovations- oder Umbauarbeiten.

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Schrägansicht vor der Sanierung. Foto: bm architekten eth sia
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Das alte Haus in neuem Glanz und mit modernen inneren Werten. Foto: D. Steiner.

Vom «Immocheck» zur «Haus-Analyse»

Fredi Altherr hat entscheidend dazu beigetragen, dass das Instrument der Haus-Analyse in Appenzell Ausserrhoden heute so erfolgreich verankert ist. Früh schon unterhielt Altherr Kontakte zu Urs Brülisauer, dem Mitgründer des Kompetenzzentrums «Netzwerk Altstadt» und Miterfinder der «Haus-Analyse», in den Anfängen «Immocheck» genannt. Was 2006 als Forschungsarbeit des Bundesamts für Wohnungswesen BWO begann, mauserte sich in den folgenden Jahren zu einem erfolgreichen Instrument zur Beurteilung von Liegenschaften. Die «Haus-Analyse» wurde laufend verfeinert, optimiert und am Objekt getestet. Heute ist die «Haus-Analyse» gar im Ausserrhodener Baugesetz verankert. Der Artikel im Baugesetz dient als Grundlage zur Förderung der Haus-Analyse durch den Kanton. Zuvor war die Haus-Analyse Bestandteil der letzten beiden kantonalen Regierungsprogramme «Bauen und Wohnen». Dem Kanton ist es ein grosses Anliegen, die Gebäudesubstanz zu schützen. Er übernimmt einen Drittel der 6000 Franken, die eine Haus-Analyse kostet, und leistet so einen Beitrag zum Erhalt der einzigartigen Baukultur.

Der ehemalige Denkmalpfleger, Fredi Altherr, hat die Haus-Analyse in Appenzell Ausserrhoden stark geprägt. Foto: Erich Brassel, Herisau

Trägerschaft ist Basis für die Zusammenarbeit

Das «Netzwerk Altstadt» ist mittlerweile bei EspaceSuisse angesiedelt. Unser Verband hat mit regionalen oder kantonalen Trägerschaften Verträge abgeschlossen, so auch mit Appenzell Ausserrhoden (siehe Infobox «Das Instrument der Haus-Analyse»). Denn nur wenn eine Trägerschaft besteht, darf das Instrument «Haus-Analyse» vor Ort angewendet werden. Die Architekten, die die Analyse im Auftrag der Trägerschaft durchführen, werden von den Experten von EspaceSuisse geschult. So stellt EspaceSuisse sicher, dass die geforderte Qualität eingehalten und das Werkzeug korrekt eingesetzt wird.

Die richtigen Fachleute sind entscheidend

Was in Tischhausers Kopf als energetische Sanierung begann – Auslöser des Projekts an der Dorfstrasse 82 waren die alten, undichten Fenster – wurde rasch mehr. Gottlob, wenn man das Gebäude heute sieht. Urs Tischhauser vergab den Auftrag für die Analyse an den Architekten Beat Müller aus Herisau. Müller hat in den letzten Jahren viele Haus-Analysen begleitet und bringt Erfahrung mit. Für ihn war rasch klar, dass die kulturhistorisch wertvolle Liegenschaft viele Qualitäten aufweist, die mit entsprechender Sorgfalt erhalten oder gar neu in Wert gesetzt werden können. Gerade bei ökologischen Wärmesanierungen sieht Müller die Gefahr, dass die Fassade verändert und dadurch die Architektur des Gebäudes zerstört wird. «In ländlichen Gegenden erfolgen vier von fünf Sanierungen ohne die richtigen Fachleute», sagt Müller kritisch. Die Folge sei eine «Flickensanierung» mit zum Teil weitreichenden negativen Folgen. Oft seien die Eigentümer schlicht überfordert. «Die Haus-Analyse hingegen liefert für wenig Geld eine umfassende, auf den Eigentümer abgestimmte Grundlage.» Das sei ein grosser Mehrwert.

So war es denn auch Müller, der zusammen mit der Kantonalen Denkmalpflege verhindern konnte, dass an der Dorfstrasse 82 die historische Holzschindelfassade durch eine Eternitverkleidung ersetzt wurde. «Der Schaden für das Gebäude wäre immens gewesen.»

Vor dem Umbau waren die Bäder in den Küchen «integriert», es war eng und ungemütlich. Müllers Konzept sah vor, Bäder und Küchen zu trennen und auf Kosten eines Zimmers je eine Wohnküche zu realisieren. Es entstanden drei moderne, grosszügige 2,5-Zimmerwohnungen. Aufgedoppelte Deckenbeläge verbessern den Schallschutz, neue Fenster, die innwändig angebrachte Isolation, die Dach- und Kellerbodensanierung verringern den Energiebedarf. Die Liegenschaft wurde an den lokalen Wärmeverbund angeschlossen, die Heizwärme entsteht heute CO2-neutral. Auf dem rückseitig angelegten Carport deckt eine grosszügige Terrasse nicht nur Autos ab, sondern auch Mieterbedürfnisse. Entstanden ist ein gemütlicher Aussenraum, der wegen der balkonlosen Appenzeller Architektur für die Mieter einen grossen Mehrwert darstellt.

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Anlass und Auslöser für das Projekt waren die alten, undichten Fenster. Foto: bm architekten eth sia
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Der Clou an den Fenstern: Die Einteilung der Fenster wurde so verändert, dass sich heute nur die oberen Flügel öffnen lassen. Die aktuellen Sicherheitsbestimmungen betreffend Absturzgefahr konnten erfüllt werden, ohne dass zusätzliche Einrichtungen notwendig waren. Foto: D. Steiner.

Reine Renditeüberlegungen greifen zu kurz

Als «Schmuckstücke» bezeichnen Müller wie auch Tischhauser die Holzparkettböden. Diese kamen im Zuge der Sanierung zum Vorschein und überraschten alle. «Selbst wir als Textilproduzenten und Teppichhersteller mussten eingestehen, dass es schade wäre, die schönen Holzböden erneut zu überdecken», gesteht Tischhauser schmunzelnd ein.

Bei der Frage nach den Gesamtkosten wird Tischhauser dann wieder ernst: «Natürlich haben wir in der Strategie die Wirtschaftlichkeit berücksichtigt. Letztendlich steckt aber viel Liebhaberei in solchen Objekten. Wenn wir reine Renditeüberlegungen ins Zentrum gestellt hätten, wäre das nicht das richtige Objekt für solche Investitionen gewesen. Aber um die Liegenschaft zu erhalten, war es absolut richtig, dies zu tun. Sie passt gut ins Gesamtbild. Es war uns eine Herzensangelegenheit, das Gebäude zu erhalten. Es ist wirklich schön geworden.» Am Vorgehen, so Tischhauser, würde er nichts ändern, ausser: «Ein Zimmer mehr wäre schon toll. Aber ansonsten würde ich jedem eine solche Haus-Analyse empfehlen.»

Das Instrument der «Haus-Analyse»

Die Haus-Analyse ist ein Beurteilungsinstrument für Liegenschaften. Sie wird von speziell geschulten Architektinnen und Architekten erstellt. Sie umfasst einen Kurzbeschrieb des Gebäudes und von dessen baulichem Zustand und enthält Empfehlungen, wie der Eigentümer sein Gebäude modernisieren kann bzw. wie die künftige Nutzung aussehen könnte. Mit Aussagen zu den Kosten und der zu erwartenden Rendite werden zudem Entwicklungsperspektiven aufgezeigt. Aber Achtung: Die Haus-Analyse ist kein fertiges Bauprojekt, sie dient als strategische Standortbestimmung einer Liegenschaft.

Die Trägerschaft

Die «Haus-Analyse» ist in sogenannten Trägerschaften organisiert. Meist sind dies Regionalverbände, Kantone, selten einzelne Städte. Durchgeführt wird die Haus-Analyse von Profis aus der Region. Dies sind lokal verankerte Architektinnen und Architekten, die den Markt vor Ort kennen. Eine Haus-Analyse ist nicht gratis zu haben, sie kostet rund 6000 Franken. Im Kanton Appenzell Ausserrhoden beteiligen sich Hauseigentümer, die Mehrheit der Gemeinden und der Kanton zu je einem Drittel an den Kosten.

Entwickelt wurde das Instrument «Haus-Analyse» vom Experten-Team «Netzwerk Altstadt», das heute bei EspaceSuisse angesiedelt ist. EspaceSuisse schliesst mit den Trägerschaften Verträge ab, schult die Architektinnen und Architekten und sorgt für die Qualitätskontrolle. Mit den Verträgen verpflichten sich die Trägerschaften, die «Haus-Analyse» nach den Vorgaben von EspaceSuisse als Lizenzgeberin durchzuführen. Zurzeit unterhält EspaceSuisse Verträge mit folgenden Trägerschaften:

  • Kanton Appenzell Ausserrhoden
  • Stadt Lichtensteig SG
  • Kanton Uri
  • Region Toggenburg SG
  • Stadt Biel-Bienne BE
  • Kanton Thurgau
  • Stadt Porrentruy JU

Im Interview mit Dölf Biasotto

«Unser Geheimrezept war es, die Haus-Analyse an ein Regierungsprogramm anzubinden»
Dölf Biasotto
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Dölf Biasotto ist Bauingenieur ETH und ehemaliger Bauunternehmer. In den letzten 15 Jahren war er als Projektentwickler, Bauherrenberater und Wirtschaftsmediator tätig. Seit 2017 ist er Regierungsrat im Kanton Appenzell Ausserrhoden und Direktor des Departements Bau und Volkswirtschaft. Foto: J. Spengler

Nirgends in der Schweiz werden so viele Haus-Analysen durchgeführt wie in Appenzell Ausserrhoden. Wie erklären Sie sich das?
Dölf Biasotto: Ausgehend von einer im Jahr 2006 angestossenen Initiative des Bundesamtes für Wohnungswesen BWO konnten wir das von Netzwerk Altstadt entwickelte Instrument übernehmen, für uns anpassen und «verappenzellisieren». Es ist uns gelungen, die Haus-Analyse voll und ganz auf die Bedürfnisse der hiesigen Eigentümer auszurichten. Bereits 2007 waren Fredi Altherr, der damalige Denkmalpfleger des Kantons, und Christof Simmler, der Gemeindebaumeister von Herisau, zusammen mit der Stiftung «Dorfbild Herisau» aktiv. Es ging ihnen stets um die Frage, wie man die alte Bausubstanz in Wert setzen und erhalten kann. Es gab intensive Kontakte zum «Netzwerk Altstadt», das den «Immocheck» entwickelt hat. Gemeinsam konnten Pilotprojekte umgesetzt werden. Hervorgegangen aus dieser Zusammenarbeit ist das heutige Instrument der «Haus-Analyse».

Wann waren Sie involviert und was war Ihre Rolle?
Im Rahmen der Regierungsprogramme «Bauen und Wohnen» 2007-2011 und 2012-2015 hatte ich mit meiner damaligen Firma, der Biasotto AG, das Mandat für die Projektleitung «Bauen und Wohnen». Ein Teilprojekt davon war die Haus-Analyse. Ich kam 2008 dazu und konnte in meiner Funktion als Vertreter des Kantons die Umsetzung der Haus-Analyse begleiten.

Was zeichnet Appenzell Ausserrhoden aus?
Wir haben eine überdurchschnittlich hohe Zahl an Altbausubstanz. In allen 20 Gemeinden gibt es Häuser mit zum Teil grossem Sanierungsbedarf. Wegschauen ist keine Lösung. Es muss unser Ziel sein, unsere einmalige Baukultur zu erhalten.

Wie ging es nach der Pilotphase weiter?
Die Haus-Analyse hat sich von Beginn weg gut etabliert. Wir haben kaum Werbung gemacht dafür. Einzig einen Flyer haben wir produziert, den wir im Übrigen bis heute kaum verändert haben. Wir hatten eher Angst, dass wir mit Anfragen überrannt werden. Aufgrund der alten Gebäudestruktur ist der Sanierungsbedarf vielerorts gross. Dank des Beitrags aus dem Regierungsprogramm bezahlt der Eigentümer nur einen Drittel der Kosten. Die anderen beiden Drittel übernehmen der Kanton und die Standortgemeinde. So günstig kommen Sie als Eigentümer sonst zu keiner so aussagekräftigen Analyse über Ihre Liegenschaft.

Wie hat der Kanton auf die grosse Nachfrage reagiert?
Wir haben beschlossen, dass wir ausschliesslich Objekte unterstützen, die in der Bauzone stehen und einen «orts- oder dorfbildprägenden» Charakter aufweisen, also eine besondere Bedeutung für den jeweiligen Ort haben. Seit dem Jahr 2010 – die Pilotprojekte nicht mitgezählt – konnten wir 128 Haus-Analysen erfolgreich durchführen, sieben weitere befinden sich aktuell in Bearbeitung. Das ist schweizweit einmalig.

Das tönt fast nach einem Selbstläufer...
Das ist es aber nicht. Wir sind bemüht, das Instrument weiterzuentwickeln. So veranstalten wir jährlich einen Erfahrungsaustausch mit den Architekten, die das Instrument anwenden. Dabei diskutieren wir Verbesserungsmöglichkeiten und passen dort an, wo es angezeigt ist. Selbstverständlich erfolgt dies immer unter Einbezug der Urheber und Lizenzgeber der Haus-Analyse. Mit ihnen haben wir eine Vereinbarung. Auch laden wir immer wieder Behörden aus anderen Städten und Regionen ein und pflegen so einen interkantonalen Austausch. Weiter machen wir Umfragen bei den Eigentümern, die eine Haus-Analyse haben durchführen lassen. So erhalten wir wichtige Rückmeldungen zum Instrument als solches, aber auch zu den Einzelobjekten und den geplanten oder durchgeführten Sanierungen.

Warum ist die Zahl der Analysen in anderen Regionen unerreicht?
Unser Geheimrezept war es, die Haus-Analyse an ein Regierungsprogramm anzubinden, das Wohnraum fördert und entwickelt. So war das Instrument politisch verankert und stets im Gespräch.

Im aktuellen Regierungsprogramm ist die Haus-Analyse aber nicht mehr enthalten...
Ja richtig. Sie wurde aber 2016 nach einem kurzen und intensiven Gesetzgebungsprozess ins kantonale Baugesetz integriert. So haben wir heute einen Artikel, der Arealentwicklungen wie auch Haus-Analysen über das Baugesetz fördert und unterstützt. Uns stehen jährlich je 50'000 Franken an Fördergeldern zur Verfügung.

Gab es Widerstand, die Haus-Analyse in das Baugesetz aufzunehmen?
Nein, überhaupt nicht. Die Erfahrungen und die Akzeptanz bei der Bevölkerung, dem Gewerbeverband, den Hauseigentümern und den Gemeinden waren bereits so gross, dass die Anpassung vom Kantonsrat mit nur einer Gegenstimme fast einstimmig angenommen wurde.

«Es ist uns gelungen, die Haus-Analyse politisch zu verankern»
Dölf Biasotto

Warum denken Sie, findet die Haus-Analyse bei Eigentümern so grosse Akzeptanz?
Ein wichtiger Aspekt der Haus-Analyse ist das Aufzeigen der richtigen Sanierungsschritte. Nur mit einer Koordination der Arbeiten – abgestimmt auf das Budget des Eigentümers – können bauphysikalische Fehler verhindert werden. Was wir auch beobachten, ist ein «Nachahmereffekt». Nach der Sanierung einer einzelnen Liegenschaft ziehen nicht selten die Eigentümer der angrenzenden Liegenschaften nach. In Urnäsch war in den letzten fünf Jahren zu beobachten, dass eine ganze Häuserzeile mit fünf oder sechs Häusern sukzessive saniert wurde. Das wiederum wertet das Ortsbild stark auf.

Was hat die Haus-Analyse sonst noch bewirkt?
Ich stelle eine gewisse Wahrnehmungsveränderung und Sensibilisierung hinsichtlich der Werte unserer Baukultur fest. Plötzlich hat man mit den Bürgern über Identität gesprochen, das wäre ohne die Haus-Analyse nicht passiert. Zudem: Der volkswirtschaftliche Nutzen solcher Analysen ist enorm. Der Multiplikationsfaktor ist riesig. Ich kenne keine andere Subvention mit einem nur annähernd so grossen Effekt. Die Umfrage von 2016 hat gezeigt, dass seit 2010 ein Investitionsvolumen von 21 Millionen Franken ausgelöst wurde. Zusätzlich mitberücksichtigen müsste man auch den Effekt der neu geschaffenen Wohnungen und die damit verbunden zusätzlichen Steuereinnahmen.

Wo liegen aus Ihrer Sicht die Grenzen oder gar Gefahren der Haus-Analyse?
Ein Problem stellen gewisse Immobilienmakler dar. Die Haus-Analyse gibt Aufschluss über den Zeitwert der Liegenschaft, dies unter Einbezug aller sanierungsbedürftigen Elemente. Dieser Wert kann je nach Sanierungsbedarf tief oder gar negativ ausfallen. Dies kann die Eigentümer verunsichern, insbesondere dann, wenn beispielsweise die Übergabe an die nächste Generation noch nicht geregelt ist. Nicht selten versuchen Makler diese Verunsicherung auszunutzen und bieten einen günstigen Kaufpreis. Ihr Ziel ist es, nach einer Minimalsanierung das Maximum an Rendite aus der Liegenschaft herauszuholen. Im Falle eines Weiterverkaufs machen sie dann das in der Haus-Analyse aufgezeigte Potenzial geltend, obschon die gemäss Analyse vorgeschlagene Sanierung gar nie stattgefunden hat. Das ist der Grund, weshalb die Haus-Analyse vertraulich behandelt wird.

Was ist aus Ihrer Sicht das Erfolgsrezept der Haus-Analyse in Appenzell Ausserrhoden?
In erster Linie die Organisationsstruktur, die wir gewählt haben. Wir konnten in der Verwaltung eine Geschäftsstelle einrichten, die sich als Anlauf- und Koordinationsstelle rasch etabliert hat. Daneben muss man die gesetzliche Abstützung, also die Legitimation erwähnen. Es ist uns gelungen, die Haus-Analyse politisch zu verankern.

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Die Rückansicht zeigt: Carport und Terrasse wurden vereint. Foto: D. Steiner.
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Die Terrasse bietet attraktiven Aussenraum. Foto: D. Steiner.

Weiter haben wir es geschafft, die Haus-Analyse auf die jeweiligen Kundenbedürfnisse anzupassen. Die Diskussionen zur Strategieentwicklung mit den Eigentümern sind aus meiner Sicht entscheidend. Es gilt herauszufinden, was der Eigentümer mit der Liegenschaft vorhat. Ist eine Übergabe an die nächste Generation geplant? Welche finanziellen Mittel stehen in welchem Lebensabschnitt zur Verfügung? Wie sieht die Familienplanung aus? All das sind Faktoren, die es zwingend zu berücksichtigen gilt. Mit der Haus-Analyse soll ein Konzept entwickelt werden, das die Ansprüche der Eigentümer berücksichtigt. Im Rahmen meines Mandats konnte ich mich diesen Fragen widmen. Ich plädiere stark für eine «kundenorientierte Haus-Analyse», und weiche mit dieser Ansicht von der ursprünglichen, rein objektiven Beurteilung einer Liegenschaft etwas ab. Es braucht aus meiner Sicht eine Betreuung der Besitzer. Geld zu sprechen allein reicht nicht.

Daneben ist auch die Zusammenarbeit mit der Kantonalen Denkmalpflege entscheidend. Treibende Kraft bei uns war ganz klar Fredi Altherr. Zudem: Die Experten müssen eng mit der Denkmalpflege zusammenarbeiten können und ein Verständnis für die hiesige Baukultur aufbringen.

Interview: David Steiner, Geograf.

Inforaum 4/2018: «Haus-Analyse» in Appenzell Ausserrhoden

Quelle/Erstpublikation: INFORAUM 4/2018, Magazin für Raumentwicklung (Hrsg: EspaceSuisse)

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