Das Mehrgenerationenhaus «Im Dorf»: ein Ausblick auf zukünftiges Wohnen

Eine Grundeigentümerschaft baute 2016 am südlichen Ortseingang der Gemeinde Schenkon das Mehrgenerationenhaus «Im Dorf». Der 160 Meter lange Neubau besteht aus 46 Wohnungen und zeichnet sich durch vielfältige Aussenbereiche aus, wie einen Pavillon mit Grillstelle, Nutzgärten oder Spielplätze mit Sicht auf den Sempachersee. Daneben fördern ein Fitnessraum und Hobbyräume Begegnungen und das Zusammenleben. Vermutlich erlaubt dieses für das dörfliche Umfeld mutige Wohnexperiment einen Ausblick auf zukünftiges Wohnen.
Der Baukörper erstreckt sich entlang der Dorfstrasse. Foto: Imagestudio Philipp Koch

Ausgangslage

Die Gemeinde Schenkon liegt am nördlichen Ufer des Sempachersees angrenzend an Sursee und zählt knapp 3’000 Einwohnerinnen und Einwohner. Was bereits 1994 als Vision begonnen hatte, wurde im Jahr 2016 – nach einer Bauzeit von rund zwei Jahren – fertiggestellt: Die Wohnüberbauung «Im Dorf», die Menschen mehrerer Generationen, mit und ohne Behinderung, eine Heimat bietet.

Im Fokus stand, eine Wohnsiedlung zu entwickeln, in dem der Lebens- und Wohnraum gemeinsam gestaltet werden kann und verschiedene Generationen sich begegnen können  – nach dem Motto: «Zusammen leben, gemeinsam gestalten.». Besonders der privaten Grundeigentümerschaft, welche die Vision über viele Jahre entwickelt hat, lag dieses Projekt am Herzen. Und sie war es auch, die die Gemeinde dazu brachte, den Prozess für die Wohnüberbauung zu initiieren.

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Das Mehrgenerationenhaus «Im Dorf» in Schenkon bewertet von EspaceSuisse nach der Methode «IRAP Kompass Innenentwicklung».

Kennziffern

  • Einwohnerzahl Schenkon: 2’939 (2018)
  • Wohneinheiten WE: 46
  • Arealgrösse: ca. 12'000 m2
  • Ausnützungsziffer AZ: 0,4
  • Anrechenbare Geschossfläche: 5’030 m2
  • Investitionskosten: ca. 24,1 Mio. CHF
  • ÖV-Güteklassen: D - geringe Erschliessung / teilweise ausserhalb der Güteklasseangaben
  • Parkplatzkoeffizient: 1,7 PP / WE
  • Gemeindetyp BFS: Städtische Gemeinde einer kleinen oder ausserhalb einer Agglomeration

Bewertung

Lage

Die Wohnüberbauung «Im Dorf» befindet sich im südöstlichen Teil der Gemeinde, in Hanglage, unmittelbar neben dem unscheinbaren historischen Ortskern. Sie ist für den Individualverkehr gut erschlossen: Der nächste Anschluss an die A2 liegt in rund 3,5 Kilometern Entfernung. Im Gegensatz dazu schneidet die Erschliessung mit dem ÖV nicht gut ab. Die Überbauung liegt in der ÖV-Güteklasse D (geringe Erschliessung) und teilweise gar ausserhalb der Güteklassenangaben.

Die nächste Bushaltestelle ist aber in 4 Gehminuten erreichbar und wird alle 30 Minuten durch ein Postauto bedient. Die Fahrt zum Bahnhof Sursee dauert rund 10 Minuten. Kindergarten und die Primarschule sind zu Fuss in 10 Minuten erreichbar. Die Oberstufe und die Kantonsschule befinden sich dagegen in Sursee. Einkaufsmöglichkeiten sind zu Fuss gar nur in rund 20 Minuten erreichbar.

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Quelle: Bundesamt für Landestopographie swisstopo

Gemeinde

Das Bau- und Zonenreglement und der Zonenplan von Schenkon stammen aus dem Jahr 2012. Entsprechend wird darin kaum auf das Thema Innenentwicklung eingegangen. Allerdings wurde die Parzelle des vorliegenden Beispiels schon damals der speziellen Dorfzone zugewiesen, wo eine Gestaltungsplanpflicht gilt und Nutzungsboni vergeben werden können.

Zurzeit überarbeitet die Gemeinde Schenkon ihre Ortsplanung. Als Basis dafür nutzt sie ihr räumliches Entwicklungskonzept (REK) von 2019, das Potenziale für Verdichtung diverser Gebiete entlang wichtiger Dorfachsen vorsieht. Damit kann die Überbauung «Im Dorf» als eines der ersten umgesetzten Verdichtungsprojekte entlang dieses zentralen Strassenraums gesehen werden. Besondere Unterstützungs- oder Fördermassnahmen erhielt das Projekt von der Gemeinde jedoch keine.

Eigentum

Die heute bebaute Parzelle war bereits vor ihrer Einzonung in Privatbesitz. Die engagierten Grundeigentümer, eine Bauökonomin und ein Landwirt, hegten dafür seit 1994 eine Vision: Auf der Parzelle sollte ein Mehrgenerationenquartier entstehen, dessen Bewohner «gemeinsam statt einsam» leben sollten. Nach einer langen und sorgfältigen Planungsphase wurde der Bau in 18 Monaten realisiert.

Die Vermietung und Verwaltung der 46 Wohnungen liefen bis Ende 2019 über eine Immobilienfirma, die ab dem Jahr 2020 von einer einzelnen interessierten Bewohnerin des Neubaus übernommen wurde. Gemäss Aussage der Eigentümerschaft wiegen ihre ideellen Wertvorstellungen schwerer als die materiellen Vorteile. So war es für sie wichtig, für mehrere Generationen bzw. für eine breite Bevölkerungsschicht hochwertigen Wohnraum mit vielen öffentlichen und halböffentlichen Bereichen zu schaffen.

Die vielfältig gestalteten halböffentlichen Räume richten sich nach den zahlreichen Wünschen und Bedürfnissen der Gemeinschaft. Foto: L. Buchmann, OST

Prozess

Ab Herbst 2009 begann sich die Vision zu konkretisieren. Die Gemeinde lancierte zunächst die Testplanung Dorf Schenkon, welche die Aufwertung des historischen Ortskerns zum Ziel hatte. Auch die umliegenden Areale wurden miteinbezogen. Die Testplanung ergab, dass idealerweise ein einzelner Baukörper entlang der Hangkante und parallel zur Dorfstrasse entstehen sollte. Im Dezember 2010 reichten die Eigentümer bei der Gemeinde ein Überbauungskonzept für ihre Parzelle ein, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingezont war.

Das Bau- und Zonenreglement setzte ein derartiges Konzept für eine allfällige Einzonung voraus. Gleichzeitig diente es als Grundlage der anschliessenden Gestaltungsplanung (Sondernutzungsplanung). In der Folge wurde das Areal 2012 eingezont und der Dorfzone mit Gestaltungsplanpflicht zugewiesen. Um den Gestaltungsplan zu erarbeiten schuf die Eigentümerschaft eine intergenerative Diskussionsgruppe, welche die Details der Überbauung und der Umgebung erarbeitete. Parallel dazu wurden die Nachbarn und die Öffentlichkeit an Gemeindeversammlungen, Informationsveranstaltungen und via das Amtsblatt regelmässig über das Projekt informiert.

Im November 2013 wurde der Gestaltungsplan Dorf-Süd sowie das Baugesuch bei der Gemeinde eingegeben. Der transparenten Kommunikation ist es zu verdanken, dass keine einzige Einsprache gegen das Baugesuch einging, und die Baubewilligung ohne Verzögerung 2014 gesprochen werden konnte. Nach einer rund 18-monatigen Bauzeit konnten die ersten Wohnungen im August 2016 bezogen werden.

Akzeptanz

Die Nachbarschaft profitiert doppelt von der neuen Wohnüberbauung: Einerseits schirmt der 160 Meter lange Baukörper die dahinterliegenden Bauten vor Lärmimmissionen der Dorfstrasse ab, andererseits steht es den Nachbarn offen, an gewissen Aktivitäten der Siedlung – wie beispielsweise an Pilates-Lektionen im Gemeinschaftsraum – teilzunehmen. Mindestens einmal jährlich findet eine grosse Quartiersitzung statt, an der sich alle Bewohnerinnen und Bewohner einbringen können. Seit Juli 2019 gibt es in der Siedlung ein «Quartierbüro».

Ohnehin bringt die Wohnüberbauung «Im Dorf» durch ihren konzeptionellen Ansatz des Zusammenlebens mehrerer Generationen einen Mehrwert für alle Bevölkerungsgruppen, die nach einer solchen Wohnform suchen. Nebst einer vielfältigen Mieterschaft zogen auch vier Personen mit Behinderung aus der Stiftung Brändi ein, und zusammen mit dem Schweizer Paraplegiker-Zentrum bietet die Verwaltung zwei «ParaWGs» an, wo junge Erwachsene mit körperlichen Beeinträchtigungen eng betreut und begleitet werden und lernen, sich in den eigenen vier Wänden zurechtzufinden.

Der Grundriss- und Umgebungsplan lässt die Dimensionen der Grün- und Freiräume sichtbar werden. Gut erkennbar ist auch der runde Pavillon auf der Rückseite des Gebäudes. Er dient als Treffpunkt und wird durch einen Erlebnispfad ergänzt. Quelle: I. Steiner-Molenaar

Dichte

Das der Bebauung zugrundeliegende Konzept legt besonderen Wert auf eine zeitgemässe und an diesem Ort angemessene Dichte. Sowohl die bauliche wie auch die soziale Dichte wurden deutlich erhöht, war das Areal doch vor seiner Einzonung noch unbebaut. Die Ausnützungsziffer beträgt heute 0,4. Das entspricht der maximal zulässigen Ausnützung in der speziellen Dorfzone. Dank des Sondernutzungsplans werden aber 5 Prozent der Geschossfläche nicht angerechnet, weil der Neubau über ein Minergie-Zertifikat verfügt. Die tatsächliche Ausnützung liegt also etwas über dem Wert, den die Rahmennutzungsordnung erlauben würde.

Die verschiedenen Wohnungsgrössen von 2,5- bis zu 5,5-Zimmern sprechen ein breites Publikum und zahlreiche Generationen an. Die soziale Dichte und Durchmischung sind sich als entsprechend hoch. Dafür sorgen auch klare Belegungsvorgaben: für eine 4,5-Zimmerwohnung gilt eine Belegung von mindestens drei und maximal fünf Personen. Die funktionale Dichte wird nicht erhöht, da es sich beim Mehrgenerationenhaus um eine reine Wohnüberbauung handelt.

Qualität

Der Baukörper markiert den südöstlichen Dorfeingang und fällt durch seine zweifach abgewinkelte Form und seine markante Struktur auf. Trotz seiner Dimensionen nimmt er sich so weit zurück, dass genügend Abstand zu den kleinmassstäblicheren Bauten der Nachbarschaft entsteht. Eine generationendurchmischte Wohnstruktur, die viele Interaktionen zulässt, wurde von Beginn weg angestrebt. Frei nutzbare Räume wie die Bibliothek, der Mehrzweck‑ oder der Fitnessraum sowie der Pavillon mit Küche und Feuerstelle schaffen gute Voraussetzungen für gemeinsame Aktivitäten. Seit Sommer 2020 steht ein siedlungseigenes E-Mobility-Fahrzeug zur Verfügung.

Auch das grosszügige Wohnumfeld bietet Raum für Begegnungen. Seine konkrete Nutzung legten die Bewohnerinnen und Bewohner selbst fest. Als Grundlage diente ihnen ein Gestaltungskonzept für den Freiraum, das aus einem einstufigen Studienauftrag mit drei Landschaftsarchitekturbüros hervorgegangen war. Die Rasenflächen, Hartbeläge und Spielplätze sind autofrei gehalten und mit 9'000 m2 deutlich grösser, als es das Planungs- und Baugesetz für Freiflächen in Gestaltungsplänen verlangt (20 Prozent der anrechenbaren Geschossflächen).
 

Grosszügige Laubengänge dienen der Erschliessung und ermöglichen Begegnungen zwischen den Nachbarn. Foto: B. Steiner-Molenaar

Wirtschaftlichkeit

Die Mietwohnungen wurden alle beinahe gleichzeitig fertiggestellt (August bis Dezember 2016) und auf den Markt gebracht. Sie erfreu(t)en sich grosser Beliebtheit: Bereits Ende August 2016 waren 30 der 46 Wohnungen vermietet. Trotz des für Schenkoner Verhältnisse gehobenen Mietwohnungsstandards sind die Mietpreise eher moderat. Möglich ist das, weil «Im Dorf» keine Renditeerwartungen erfüllen muss. Stattdessen fliessen die Mieteinnahmen in einen Erneuerungsfonds.

Zu gegebener Zeit werden daraus anfallende Unterhaltsarbeiten finanziert sowie sinnvolle oder notwendige Investitionen getätigt werden – wie z.B. das E-Mobility-Fahrzeug. Ein Vorteil dabei: Im Gebäude wurde soweit als möglich das Prinzip der Systemtrennung umgesetzt, damit allfällige Erneuerungen ohne Eingriff in den festen Baukörper erfolgen können. Das schont den Erneuerungsfonds.

Zusammenfassung

Das Projekt Mehrgenerationenhaus «Im Dorf» zeichnet sich durch ein professionelles planerisches Vorgehen aus, bei dem insbesondere die Bevölkerung gut informiert und sensibilisiert und auch die unmittelbare Nachbarschaft miteinbezogen wurde. Als Schlüsselpersonen können die Eigentümer genannt werden, die für die Planung, die Umsetzung und das Gelingen ihres Projektes massgeblich verantwortlich waren. Das effektive intergenerative Zusammenleben wurde erst durch die günstige Zusammensetzung der Bewohnerschaft möglich.

Im Mehrgenerationenhaus wird tatsächlich zusammengelebt. Die rund vierjährigen Erfahrungen der in der Siedlung lebenden Menschen sind positiv. Dazu trägt auch bei, dass die Aussenräume, von den Bewohnerinnen und Bewohnern mitgestaltet und gemeinsam genutzt werden. Dass sich sowohl die Stiftung Brändi als auch das Schweizer Paraplegiker-Zentrum im Mehrgenerationenhaus einmieteten, bzw. einbringen, ist ein weiteres Indiz dafür, dass das Projekt überzeugt.

Dass die 46 Wohnungen gleichzeitig auf den Markt gebracht werden konnten, ohne dass Leerstände entstanden, belegt die grosse Nachfrage für diese Wohnform – und zeigt das Bedürfnis der Bevölkerung an zeitgemässen Mehrgenerationenhäuser. Neben all diesen positiven Aspekten, die am vorliegenden Beispiel beleuchtet werden konnten, darf nicht vergessen werden, dass dieses Projekt auf der grünen Wiese entstand – wenn auch angrenzend an den historischen Ortskern und noch vor der Revision des Raumplanungsgesetzes.

Besondere Stärken aus Sicht von EspaceSuisse

  • In einer Testplanung wurden die Entwicklungsmöglichkeiten um den alten Ortskern geprüft und eine sinnvolle bauliche Entwicklung in die Wege geleitet.
  • Die Vision eines vielseitigen Mehrgenerationenhauses im ländlichen Raum wurde über Jahre akribisch entwickelt und stark partizipativ umgesetzt.
  • Die Frei- und Aussenräume sind weit grosszügiger gestaltet als erforderlich und werden kontinuierlich durch die Bewohnerinnen und Bewohner mitgestaltet.
  • Der Neubau ist qualitätsvoll ausgestaltet und weist eine für den dörflichen Kontext angemessene Dichte auf.

Weiterführende Informationen

  • 2010. Begleitete Testplanung Dorf Schenkon. Bericht des Begleitgremiums. Planteam S. Schenkon.
  • 2012. Generationenübergreifende Wohnnutzung innerhalb eines Quartiers — Projekt «Dorf Schenkon». Masterarbeit. Steiner-Molenaar Inge. Schenkon.
  • 2013. Planungsbericht zum Gestaltungsplan Dorf-Süd. Hunkeler Partner Architekten AG. Sursee.
  • 2016. Sonderbauvorschriften Gestaltungsplan Dorf-Süd (Rechtskräftige Version). Gemeinde Schenkon. Schenkon.
  • 2017. Blickwinkel N°1 – Zusammen ist man weniger allein. Generationen Akademie. Zürich.
  • 2019. Schriftliches Interview mit Inge Steiner-Moolenaar vom 23.12.2019 (Ergänzungen vom Januar 2020). Rapperswil-Jona.
  • 2019. Mietvertrag für Wohnungen (Mustervertrag). Truvag. Schenkon.

Stand der Bewertung durch EspaceSuisse: September 2020

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