Gebietsentwicklung Widmi - Bauen mit der grünen Wiese

In der Widmi, einer 9,1 Hektaren grossen eingezonten Wiese südlich der Lenzburger Altstadt, entstand qualitativ hochstehender Wohnraum. Das «Freiraumkonzept Lenzburg Süd» diente als Basis der Gebietsentwicklung. Es ging aus einem Studienauftrag hervor, den die Stadt im Jahr 2003 initiiert hatte. Unkonventionellerweise dachte das Konzept die Siedlungsentwicklung vom Freiraum her: Mitten im Areal definierte es eine grosszügige parkartige Allmend, welche die Identität der Widmi bewahrte und den Bewohnerinnen und Bewohnern der umliegenden Quartiere Naherholungsraum bietet. Eingefasst wird die Allmend von vier Baubereichen. Im Jahr 2008 wurden sämtliche Freiräume und Baubereiche in einem Gestaltungsplan festgelegt. Obwohl für die vier Baubereiche unabhängige Wettbewerbe durchgeführt wurden, entstand ein einheitliches und qualitätsvolles Siedlungsbild.
Wie eine grüne Lunge schiebt sich der Widmi-Park zwischen die Neubauten im Westen und den noch freien Baubereich im Osten des Widmi-Areals (stand Sommer 2019). Foto: L. Buchmann, HSR
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Das Beispiel der Widmi bewertet durch EspaceSuisse nach der Methode «IRAP Kompass Innenentwicklung».

Ausgangslage

Das Gebiet Widmi, das im Bauzonenplan schon länger der Wohnzone zugeteilt war, wurde 1998 mit einer Gestaltungsplanpflicht belegt. 2001 wurde die Arbeit an einem privaten Gestaltungsplan eingestellt. Teile der Bevölkerung hatten das Vorhaben im Vorfeld der Mitwirkung heftig kritisiert. Sie bemängelten unter anderem, dass die Planung bei weitem nicht genügend Grünflächen für die Quartierbevölkerung vorsah. Neue Ideen brachte ein Studienauftrag des Stadtbauamts. Es beauftragte 2003 vier Büros für Landschaftsplanung damit, für das Areal Widmi einen identitätsstiftenden, öffentlichen Freiraum zu entwickeln, der optimal in die umliegenden bestehenden und zu entwickelnden Wohnquartiere eingebunden werden sollte. Diese Studien bildeten die Grundlage für das «Freiraumkonzept Lenzburg Süd», auf dem der Gestaltungsplan Widmi fusst.

Kennziffern

  • Einwohnerzahl Lenzburg: 10’572 (2018)
  • Arealgrösse: 91’000 m²
  • Parkgrösse: 45’336 m²
  • Investitionskosten: rund 130 Millionen CHF
  • Ausnützungsziffer AZ: zwischen 0,7 und 1,0
  • Wohneinheiten: 363 WE (443 WE bei Vollausbau)
  • Bruttogeschossfläche BGF: 42’757 m²
  • Anzahl Parkplätze: Total 719 PP
  • Parkplatzkoeffizient: 1.62 PP/WE
  • ÖV-Güteklasse: D – geringe Erschliessung
  • Gemeindetypologie BFS: Städtische Gemeinde einer kleinen oder ausserhalb einer Agglomeration

Bewertung

Lage

Die Widmi liegt gut 500 Meter südlich des Stadtzentrums und etwas über einen Kilometer vom Bahnhof entfernt. Zu den Stosszeiten verkehrt der Bus im Halbstundentakt von der Widmi aus durch das Stadtzentrum an den Bahnhof. In der übrigen Zeit verkehrt er lediglich im Stundentakt, weshalb das Widmi-Areal in der Beurteilung der ÖV-Güteklassen nicht über die Klasse D (geringe Erschliessung) hinauskommt. Ein höherer Takt wäre wünschenswert, denn auf dem Widmi-Areal ist zwar ein Kindergarten angesiedelt. Angebote wie Schulen, Einkaufsmöglichkeiten und weitere Dienstleitungen fehlen dagegen in den umliegenden Quartieren.

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Lage der Widmi.
Quelle: Bundesamt für Landestopografie swisstopo

Prozess

Die Bauherrschaften brauchten von der ersten Besichtigung bis zum Spatenstich einen langen Atem. Dank der Stadt verlief der Prozess jedoch strukturiert und die Grundeigentümer wurde bei den einzelnen Etappen stets eingebunden. 1998 wurde das bereits länger eingezonte Areal mit einer Gestaltungsplanpflicht belegt.

Bis 2004 wurde ein Freiraumkonzept erstellt und 2008 wurde der Gestaltungsplan beschlossen. Dieser verlangte für jeden der vier Baubereiche einen Architekturwettbewerb mit mindestens vier Teams. Für die Freiraumplanung waren zusätzlich Landschaftsarchitekten beizuziehen. Ausserdem brachte sich die Stadt einerseits als öffentliche Hand und andererseits als Grundeigentümerin punktuell in den Prozess ein.

Die langjährige Projektphase hat sich gelohnt: Durch den Einsatz der erwähnten Instrumente konnten die unter den Beteiligten vereinbarten Ziele zielstrebig verfolgt und grösstenteils auch erreicht werden.

Gemeinde

Die Stadt Lenzburg verfügt seit 2014 über eine räumliche Entwicklungsstrategie (RES). Diese dient dem Gesamtstadtrat zur vorausschauenden Planung der Siedlungs-, Landschafts- und Freiraumentwicklung bis 2030 und als Grundlage für die Totalrevision der Nutzungsplanung. Die Entwicklung auf der Widmi nahm allerdings schon 1998 ihren Lauf. In weiser Voraussicht legte die Stadt damals für das gesamte Areal eine Gestaltungsplanpflicht fest.

Der erste Anlauf einer Beplanung wurde 2001 aufgegeben, worauf die Stadt in die Bresche sprang. Unter ihrer Leitung schlossen die betroffenen Grundeigentümer 2004 einen Vertrag ab, der die rechtliche und finanzielle Beteiligung aller an den Planungsarbeiten regelt. Darin verpflichtete sich die Stadt, aus öffentlichem Interesse rund ein Viertel der Planungskosten zu übernehmen. So sicherte sie die Fortführung der Planung. Dafür erhielt sie als Ausgleich für den Planungsmehrwert 22’278 QuadratmeterLand.

Eigentum

An der Gebietsentwicklung waren neben der Stadt insgesamt sechs weitere Grundeigentümer beteiligt, wobei ein privater Eigentümer rund 80 Prozent der Gesamtfläche besass. Um den öffentlichen Freiraum zu sichern, verpflichteten sich die Grundeigentümer vertraglich, rund je ein Viertel ihrer Grundstücksflächen unentgeltlich an die Stadt abzutreten. Im Gegenzug zur Landumlegung durften die betroffenen Landbesitzer ihrer Grundstücke intensiver nutzen – sofern diese im Gestaltungsplan als Baubereiche ausgeschieden waren.

Der Widmi-Park: Die grüne Allmend zwischen den Baubereichen bildet das Herz der Widmi. Die Neubauten am Westrand schirmen sie vom Verkehrslärm ab. Dafür haben deren Bewohnerinnen und Bewohner den Blick frei auf die Lenzburg. Quelle: Gestaltungsplan Widmi, Stadt Lenzburg

Akzeptanz

Die Entwicklung auf der Widmi war nicht immer einfach. Die erste Gestaltungsplanung musste im Jahr 2001 sistiert werden. Die Bevölkerung hatte sich heftig dagegen gewehrt, nicht nur die Wiese, sondern auch die Sicht auf das Schloss zu verlieren. Das führte bei den Planungsbeteiligten zu einem Perspektivenwechsel.

Fortan stand die Bewahrung einer grosszügigen Grünfläche im Zentrum der Gebietsentwicklung. Diese Entscheidung erwies sich als richtig. Während der öffentlichen Auflage des neuen Gestaltungsplans wurden nur zwei Einsprachen eingereicht – und später wieder zurückgezogen.

Heute erinnert die parkartige Allmend noch immer an die ehemalige grosse Wiese. Der Widmi-Park stiftet aber nicht nur Identität, sondern deckt auch die Naherholungsbedürfnisse der Bevölkerung der benachbarten Quartiere ab. Die oberirdisch autofreie Widmi zeigt sich durch den integrierten Kindergarten und die Aussenräume, die sich die Bewohnerinnen und Bewohner aneignen können, ohnehin familienfreundlich und offen. Damit stösst die Widmi auf breite Akzeptanz.

Dichte

In der Widmi entstand Wohnraum für rund 900 Einwohnerinnen und Einwohner. Lenzburg wächst hier also um fast 10 Prozent seiner Gesamtbevölkerung. Betrachtet man die gesamte Widmi, beträgt die Ausnützung dennoch nur 0,62. Pro Baubereich liegt die effektive Ausnützung allerdings zwischen 0,7 und 1,0 – und bei rund 200 Personen pro Hektare. Diese doch relativ hohe Dichte war nur möglich, weil gleichzeitig hochwertiger Freiraum realisiert wurde.

Die parkartige Allmend schafft gute Voraussetzungen für Begegnungen und trägt somit zur Steigerung der sozialen Dichte (Interaktionsdichte) bei. So wurden die bauliche Dichte wie auch die Nutzungsdichte massiv erhöht.

Die unterschiedlichen Gebäudetypen, die in den verschiedenen Bauetappen entstanden, prägen das Gesicht der Widmi. Die Frei- und Grünräume dominieren und ermöglichen tiefe Sichtachsen. Foto: L. Buchmann, HSR

Qualität

Das augenfälligste Merkmal der Widmi ist der zentrale gleichnamige Park: Dieses identitätsstiftende Stück Land – das einer Allmend ähnelt – erinnert an die ursprüngliche Landschaft. Der Park dient den Nachbarn als erweitertes Wohnumfeld und den übrigen Lenzburgerinnen und Lenzburgern als naturnaher und weiter Erholungsraum, der zugleich die Biodiversität fördert. Der Begegnungsort wird besonders am Abend und an den Wochenenden zum rege genutzten Treffpunkt. Im Übergang zwischen Allmend und Wohnüberbauung befinden sich Spiel- sowie Sitzmöglichkeiten. Die Wege dorthin sind dank der Tiefgarage autofrei.

Nicht nur der Freiraum lockt Leute an: Die vielseitigen Wohnungen mit 1,5 bis 5,5 Zimmern sprechen diverse Nutzergruppen an. Mit Ausnahme des Kindergartens wurde auf dem Areal bisher ausschliesslich Wohnraum geschaffen. Entsprechend monofunktional werden die Neubauten genutzt. Immerhin sorgte die im Gestaltungsplan vorgeschriebene Pflicht für Architekturwettbewerbe dafür, dass die Neubauten der Widmi ein prägendes Gesicht verleihen.

Wirtschaftlichkeit

In den fünf bisher realisierten Neubauten sind sowohl Eigentumswohnungen wie auch Mietwohnungen vorhanden. Erstere wurden allesamt verkauft. Aber auch die zahlreich vorhandenen Mietwohnungen sind fast alle vermietet. Zur hohen Vermietungsquote trug auch der Umstand bei, dass die Bauten in mehreren Etappen erstellt wurden und sämtliche Wohnungen des Widmi-Areals über dieselbe Homepage vermarktet werden konnten. Das kumulierte Investitionsvolumen der ersten drei Bauprojekte beträgt rund 130 Millionen Franken.

Zusammenfassung

Die Wohnüberbauungen und die Allmend in der Widmi zeigen, dass es möglich ist, Gebietsentwicklungen vom Freiraum her zu denken. Durch das sorgfältige Vorgehen wurden identitätsstiftende Qualitäten bewahrt und neue geschaffen. Insbesondere die rege genutzten Grün- und Freiflächen, die den Bewohnerinnen und Bewohnern zur freien Verfügung stehen, überzeugen. Der tiefe Wohnungsleerstand im Neubauquartier deutet zudem auf eine hohe Wohnqualität, tragbare Kosten und eine gelungene Etappierung hin. Zurückzuführen ist der Erfolg auf die zeitaufwändige, aber essentielle Planung – via Freiraumkonzept, Gestaltungsplan und Wettbewerbsverfahren für die einzelnen Baubereiche. Von ebenso grosser Wichtigkeit war, dass die Bauherren miteinbezogen und die Reaktionen aus der Bevölkerung berücksichtigt wurden.

Besondere Stärken aus Sicht von EspaceSuisse 

  • Der kluge Einsatz formeller und informeller Planungsinstrumente (Freiraumkonzept, Gestaltungsplan) ermöglichte eine koordinierte Entwicklung.
  • Der Ansatz, eine Arealentwicklung vom Frei- und Grünraum aus zu denken, erwies sich als überzeugend.
  • Die bauliche Qualität wurde durch die Wettbewerbspflicht der Sondernutzungsvorschriften gewährleistet.
  • Indem der Stadt Land abgetreten wurde, konnte der planungsbedingte Mehrwert ausgeglichen werden. Auf diesem Land kann die Stadt die Verdichtung qualitätsvoll kompensieren.

Weiterführende Informationen

  • 2003. Dokumentation Freiraumkonzept Lenzburg Süd. Lenzburg.
  • 2007. Planungsbericht zum Gestaltungsplan Widmi. Lenzburg.
  • 2008. Sondernutzungsvorschriften Gestaltungsplan Widmi. Lenzburg.
  • 2012. Das Gebiet Widmi in Lenzburg füllt sich langsam mit Leben. In: Aargauer Zeitung. Aarau.
  • 2013. Wohnen im aufgebrochenen Stein. Baureportage Widmi 1 Lenzburg. In: Aargauer Zeitung. Aarau.

Stand der Bewertung durch EspaceSuisse: Juli 2019

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