Wie Arbeitszonen an Qualität gewinnen

Das Ortsbild von Rüti bei Büren ist von nationaler Bedeutung. Das sagt das ISOS, das Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz. Keine Laudatio erhält dagegen das unschöne Industrie­ und Gewerbegebiet Archmatte: Im nördlichen Teil der Gemeinde findet in kurzer Distanz zum schützenswerten Dorfkern eine intensive Entwicklung statt. Trotzdem sind bisher keine Konflikte entstanden, denn ein Masterplan und eine Überbauungsordnung sorgen für eine qualitativ hochstehende Bebauung.
Rémy Rieder, Geograf

Es ist schön hier. Rüti bei Büren BE liegt im Berner Seeland, südlich von Grenchen SO, am Südufer der Aare. Zwei Buslinien bedienen die beiden Haltestellen im Stundentakt, um Mitternacht ist Schluss. Im Dorfkern plätschert der renaturierte Rütibach. Ihn säumen mehrheitlich gut unterhaltene historische Gebäude. Ein Blick ins ISOS, das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz, bestätigt den positiven Eindruck: «In der Region seltenes Beispiel eines Bachdorfes», steht da. Ihm und seinem «bäuerlichen Dorfkern» bescheinigt das Inventar besondere räumliche und architektonische Qualitäten und das höchste Erhaltungsziel A.

Natürlich hat auch Rüti weniger schöne, aber wirtschaftlich notwendige Ecken. Zu ihnen zählt das Industrie- und Gewerbegebiet Archmatte, das sich etwas nördlich des Dorfkerns befindet. Dazwischen liegt ein grünes Band Kulturland. Diese Fruchtfolgefläche hält den Blick auf das Dorf frei. Auch dazu äussert sich das ISOS: Es sei von grosser Bedeutung für das äussere Ortsbild, dass dieses Band frei bleibe. Keinesfalls dürften die Industrieanlagen näher an die Siedlung heranrücken. Zwar störten sie aufgrund ihrer Lage weniger das Ortsbild, «dafür die weitgehend intakte Aareebene».

Caption
Das Ortsbild von Rüti bei Büren ist laut ISOS von nationaler Bedeutung.
Foto: R. Rieder, EspaceSuisse
Caption
Zwischen dem Ortskern und der Industrie- und Gewerbezone Archmatte liegt ein Grüngürtel, der laut ISOS von Bauten freizuhalten ist.
Foto: R. Rieder, EspaceSuisse

Auf der Archmatte tut sich etwas

Die ISOS-Einträge stammen von 1994. Nur eine Handvoll Betriebe hatte damals ihren Standort auf der Archmatte, mitten im Landwirtschaftsland. Auf die industrielle Nutzung liess vor allem ein Grosstanklager für Heizöl schliessen, geführt von drei lokalen Unternehmen. Deren Ansprüche an das Betriebsgelände hatten zur Folge, dass die baurechtliche Grundordnung der Archmatte über die Jahre mehrmals angepasst werden musste. 1994 galten auf dem Areal des Tanklagers noch zwei Arbeitszonen (A2, A3), beide mit eigenen Bestimmungen zur Höhe und Länge der Gebäude, zu deren Ausrichtung oder der Anzahl Geschosse. Für eine grosse unbebaute Parzelle hatte die Gemeinde zudem eine Zone mit Planungspflicht erlassen. Eine Überbauungsordnung (ÜO, Sondernutzungsplan) regelte schliesslich die Erschliessung für die gesamte Industrie- und Gewerbezone.

Trotz dieser komplexen Rahmenbedingungen gedieh eines der Unternehmen, die das Tanklager betrieben, ganz gut: die Thommen AG. «Wir hatten am Anfang ein paar schwierige Jahre», erinnert sich Franz Christ, CEO der heutigen Thommen-Furler AG. «Doch unsere Strategie ging voll auf.» (siehe auch «Im Interview» unten). Statt Heizöl zu verkaufen, hatte die Firma um das Jahr 1990 begonnen, Chemikalien zu konfektionieren und damit zu handeln sowie Industrie- und Sonderabfälle zu rezyklieren. Das tut sie noch heute. Dazu beschäftigt sie allein am Standort Rüti bei Büren mittlerweile 275 Personen. Diese Entwicklung hat die Archmatte wesentlich geprägt.

Die Arbeitszone Archmatte liegt etwas abseits nördlich des ISOS-Dorfkerns. Quelle: Bundesamt für Landestopografie swisstopo

Der Erfolg des Unternehmens zog mehr Platzbedarf nach sich. Die Geschäftsleitung integrierte darum sukzessive benachbarte Firmen und Grundstücke ins eigene Unternehmen, arrondierte so das Betriebsgelände und entwickelte dieses nach Bedarf. 2010 umfasste das Areal der Thommen-Furler AG mit gut 53’000 Quadratmetern die gesamte Archmatte nordöstlich der Industriestrasse. Was jedoch fehlte, war eine gesamthafte Vision, wie das ehemalige Tanklager baurechtskonform und flexibel in einen modernen Grossbetrieb überführt werden sollte.

Der Masterplan: Zukunft planen und bauen 

Ende 2010 mandatierte der Verwaltungsrat daher die Planergemeinschaft Lanz Architekten, Bauzeit Architekten und Panorama AG, ein für die Firma wegweisendes und strategisches Steuerungsinstrument auszuarbeiten. Das Ziel: die betrieblichen Abläufe neu konzeptionieren und die künftige Entwicklung des Betriebs auf die baurechtlichen Rahmenbedingungen abstimmen. Das Resultat: ein Masterplan. Die Aufgabe war anspruchsvoll. Der Masterplan sollte raumplanerische Werte sichern, die künftigen Ausbauetappen veranschaulichen, flexible Entscheide ermöglichen und dafür sorgen, dass die Entwicklung in die sich abzeichnende Ortsplanungsrevision einfliesst.

Der ursprüngliche Masterplan sah die Parkierung des voll ausgebauten Betriebsgeländes auf einer neu eingezonten Fruchtfolgefläche vor (rote Fläche). Quelle: Thommen-Furler AG

Besonders die baurechtliche Grundordnung erwies sich als Knacknuss. «Die sehr unterschiedlichen Bestimmungen liessen keine gesamthafte Neukonzeption des Betriebs zu», beschreibt Kevin Stucki, Raumplaner der Panorama AG, die komplizierte Ausgangssituation. Daher sollte der Masterplan zunächst Ordnung schaffen. «Wir legten den Masterplan von Beginn weg so aus, dass er die wichtigsten Grundsätze festlegte und als Basis für eine ordentliche und langfristige Überbauungsordnung dienen konnte.» Entsprechend detailliert fiel sein Inhalt aus. Er berücksichtigte bestehende Planungsinstrumente und machte Vorschläge für den etappierten Ausbau des Betriebs. Zudem legte er bereits Gestaltungsgrundsätze fest zur Bepflanzung des Areals sowie zur Ausrichtung, Materialisierung und Farbgebung und zu den Bauten und ihrer Einordnung in das Landschaftsbild. Und: Er zeigte auf, dass zur optimalen Entwicklung des Betriebs die Parkierung ausgelagert und zusätzliches Bauland eingezont werden müsste, zwischen den bestehenden Betriebsgebäuden und der Solothurnstrasse. Also just auf der Fruchtfolgefläche (FFF), die laut ISOS freizuhalten war.

Caption
Theodor Bösiger ist seit 2013 im Gemeinderat von Rüti bei Büren, die letzten drei Jahre als Gemeindepräsident. Er hat die Ausarbeitung der Überbauungsordnung bis zur Genehmigung begleitet. Foto: R. Rieder, EspaceSuiss

Die Gemeinde kommt ins Spiel

2012 präsentierten Franz Christ und die Planergemeinschaft den fertigen Masterplan erstmals dem Rüttiger Gemeinderat. Die Entwicklungsabsichten stiessen auf offene Ohren. Für Gemeindepräsident Theodor Bösiger steht heute fest: «Es war ein riesiger Vorteil für die Gemeinde, dass sich die Firma derart weitreichende Gedanken über ihre Zukunft und ihre Entwicklung gemacht hatte.» Die klaren Vorstellungen und Ziele hätten die Arbeit für die Gemeinde erleichtert. «Diese Ausgangslage hat nicht jeder», freut sich der Gemeindepräsident.

Unter den gegebenen Umständen war der Gemeinderat gerne bereit, die Entwicklung mitzutragen. Im August 2013 mandatierte er als verantwortliche Planungsbehörde die Planergemeinschaft, auf Basis des Masterplans die ordentliche Überbauungsordnung Industrie Ost auszuarbeiten.

Im überarbeiteten Masterplan wurde die Parkierung in die geplanten Neubauten integriert und der Einzonungsbedarf massiv reduziert. Quelle: Thommen-Furler AG

Um das grosse Vorhaben breit abzustützen, suchten die Planungsbeauftragen noch im selben Jahr den Dialog mit den relevanten Akteuren. Sie klärten mit dem Amt für Gemeinden und Raumordnung des Kantons Bern (AGR) die Anforderungen an die Planung und das Verfahren ab und liessen die Planungskommission, kantonale Fachstellen, Vereine und Naturschutzverbände sowie betroffene Grundeigentümer die aus ihrer Sicht wichtigsten Aspekte in einem Workshop einbringen. Die Gemeinde schliesslich organisierte regelmässig Anlässe, um die Bevölkerung zu informieren und mehrfach mitwirken zu lassen. Alles in allem ein vorbildlicher Prozess.

RPG 1 ändert die Regeln

Am 1. Mai 2014 trat die erste Revisionsetappe des Raumplanungsgesetzes (RPG 1) in Kraft und warf die Planung zur ÜO Industrie Ost zurück: So verhinderte das Bauzonenmoratorium, dass neues Bauland eingezont werden konnte, solange der kantonale Richtplan nicht revidiert und das kantonale Baugesetz nicht um eine Regelung zum Mehrwertausgleich ergänzt war.

Der Kanton Bern gehörte 2016 zu den ersten Kantonen mit einem RPG-konformen Richtplan. Gemeindepräsident Bösiger erinnert sich: «Nach dem Moratorium waren wir mehrmals mit dem Entwurf der ÜO beim Kanton. Aber da stiessen wir auf Beton.» Die Krux: Ohne bedeutenden Grund durften FFF nicht mehr eingezont werden. Und falls doch, verlangte das Gebot der Siedlungsentwicklung nach innen neu einen gleichwertigen Ersatz (Realersatz) und eine hohe Nutzungsdichte. Die im Masterplan vorgesehene Einzonung von FFF zur Ausdehnung der Arbeitszone erwies sich daher zunächst als unmöglich, da die Arbeitszone ausserhalb der kantonalen Entwicklungsschwerpunkte lag und nicht angemessen an den öffentlichen Verkehr (öV) angeschlossen war. Zudem fehlte der Nachweis für eine regional abgestimmte Bewirtschaftung. Auch die Verwendung als Parkfläche war planerisch nicht länger zu rechtfertigen. Damit stand fest: Der Masterplan und das Grobkonzept der ÜO mussten revidiert, die angedachte Entwicklung flächensparender werden.

Caption
Für Neubauten gelten verbindliche Gestaltungsvorgaben bezüglich Grösse, Ausrichtung, Materialisierung und Farbgebung. Sie sind auch gut in die Landschaft der Aareebene einzupassen. Foto: Thommen-Furler AG

Etwas Spielraum und viel Lehrgeld ermöglichen Lösungen

Im überarbeiteten Masterplan und in der angepassten Überbauungsordnung konnte ein grosser Teil der Parkierung für Privatfahrzeuge sodann in der bestehenden Arbeitszone untergebracht werden, im Erdgeschoss der künftigen Verwaltungsgebäude. Das reduzierte den Bedarf an zusätzlichem Bauland stark. Trotzdem fiel eine minimale Vergrösserung der Arbeitszone an – und mit ihr die Einzonung von FFF. Beides erforderte detaillierte Bedarfsnachweise, für die damals noch keine Arbeitshilfen des Kantons existierten. «Wir waren oftmals die Ersten mit unseren Fragen.» Theodor Bösiger schaut versöhnlich zurück: «Teilweise hatten wir keine Ideen mehr, wie es überhaupt weitergehen könnte. Aber der Kanton erkannte, dass ein gewisser Spielraum notwendig war, um gute Lösungen zu finden, und hat uns sehr unterstützt.»

So war beispielsweise Realersatz für die beanspruchte Fruchtfolgefläche zu leisten, der in Rüti aber fehlte. Via Standortförderung des Kantons erfuhr der Rüttiger Gemeinderat, dass die Seeländer Gemeinde Bellmund kurz zuvor qualitativ wertvolles Ackerland kompensationslos aus der Bauzone entlassen hatte. Der Gemeinderat erwarb davon 12’000 Quadratmeter, liess einen Nachweis zur Bodenqualität erbringen und verschaffte sich mit der überkommunalen FFF-Kompensation Realersatz für die Einzonung. Damit war es möglich, das Betriebsgelände in der überarbeiteten ÜO Richtung Solothurnstrasse zu erweitern, was gleichzeitig die Anbindung an den öV verbesserte und die Vergrösserung der Arbeitszone legitimierte. 
 

Die Überbauungsordnung Industrie Ost hält die Inhalte des Masterplans eigentümerverbindlich fest. Eine Pflichtbaulinie an der Parzellengrenze im Südosten (rote Linie bei S IV) sorgt dafür, dass die Neubauten einen klaren Abschluss des Firmenareals bilden, sodass die Sicht auf den Dorfkern frei bleibt.
Quelle: Gemeinde Rüti bei Büren

Überdies berücksichtigt die revidierte ÜO auch das ISOS stärker. So sieht sie eine Pflichtbaulinie gegen Südosten vor, die sich an den Bestandesbauten ausserhalb des Firmengeländes orientiert. Die Fassaden der Neubauten, die entlang der Pflichtbaulinie erstellt werden, sind exakt an der Linie auszurichten, um einen klaren Abschluss des Firmenareals zu bilden und die Sicht auf das Dorf freizuhalten. Ausserdem sorgt Artikel 15 der Überbauungsordnung dafür, dass sämtliche Bauvorhaben einem Beurteilungsgremium vorzulegen sind. Das fünfköpfige Gremium prüft ihre Qualität und stellt sicher, dass alle Bauten in die Aareebene passen. Ein aus planerischer Sicht sehr wertvoller Artikel, der in Anbetracht der überwundenen Herausforderungen fast unterzugehen droht. Er sichert die gute Gestaltung, die schon der Masterplan anstrebte. Schon jetzt zeugen die Bauten, die gemäss Masterplan erstellt wurden, von einer hohen baulichen Qualität. Beispiele dafür sind das schlichte Verwaltungsgebäude (G01), die Lager- und Recyclinghalle (G07) oder etwa das moderne Tanklager (G11) (siehe Bilder oben). Die Zukunft stimmt zuversichtlich.
 

«Es war es ein riesiger Vorteil für die Gemeinde, dass sich die Firma derart weitreichende Gedanken über ihre Zukunft und ihre Entwicklung gemacht hatte.»
Theodor Bösiger, Gemeindepräsident Rüti bei Büren

Seit Ende 2020 ist die Überbauungsordnung Industrie Ost in Kraft. Ihre Ausarbeitung nahm zehn Jahre in Anspruch, erforderte unzählige Besprechungen und Sitzungen, löste zwei öffentliche Mitwirkungsveranstaltungen aus und machte ebenso viele kantonale Vorprüfungen nötig. Doch der Aufwand hat sich für alle gelohnt. «Wir sind sehr zufrieden mit dem Erreichten», lautet denn auch Theodor Bösigers Fazit. Die Gemeindeversammlung nahm die Überbauungsordnung deutlich an; auch der Kanton genehmigte sie anstandslos. «Alle mussten schwierige Phasen bewältigen. Das hat immer wieder Nerven gekostet! Und alle haben viel Lehrgeld bezahlt», so tönt es von allen Seiten. Wer weiss: Vielleicht mausert sich auch Rüti bei Büren – wie zuvor schon Rüti ZH – zu einem in Fachkreisen weitum bekannten Beispiel. Dafür, wie Arbeitszonen an Qualität gewinnen – auch dank des ISOS.

Im Interview mit Franz Christ 

Caption
Franz Christ ist seit 1990 CEO der Thommen-Furler AG. Der ehemalige Ingenieur hat seine Firma, die unter anderem Chemikalien konfektioniert und mit diesen handelt sowie Industrie- und Sonderabfälle rezykliert, vom Kleinbetrieb zu einem schweizweit tätigen Unternehmen mit 375 Mitarbeitenden entwickelt.

Franz Christ, Rüti b. Büren ist nicht wirklich bekannt als Gewerbe­ und Industriemekka. Warum sind Sie mit Ihrer Firma trotzdem hier?

Ausländischen Gästen erkläre ich das immer so: Die Schweiz verfügt über eine sogenannte «Wirtschaftsbanane», die am Bodensee beginnt und bis zum Genfersee verläuft. Darin spielt sich die wirtschaftliche Aktivität des Landes ab. Von Rüti bei Büren sind es jeweils rund 200 Kilometer an den Bodensee und an den Genfersee. Wir sind also im Zentrum der Wirtschaftsbanane. Das ist eine ausgezeichnete Lage!

Sie entwickeln Ihren Betrieb seit knapp zehn Jahren auf der Grundlage eines Masterplans. Das ist ein ungewöhnliches Vorgehen. Warum diese selbstauferlegte Planung?

Unser Betriebsareal am Standort Rüti bei Büren misst fast 80’000 Quadratmeter. Bei einer solchen Fläche drängte es sich auf, früh klare Rahmenbedingungen festzulegen. Ausserdem mussten wir unsere Zukunft absichern. Wir leben davon, dass unsere Kunden uns vertrauen. Darum ist es wichtig, dass wir wachsen können. Eine Firma, die ihr Wachstum nicht aufzeigen kann, hat langfristig keine Zukunft. Mit dem Masterplan konnten wir zum ersten Mal fundiert kommunizieren, wie wir den Standort und den Betrieb entwickeln möchten und an welchen Rahmenbedingungen wir uns dabei orientieren. Das gab den Kunden sofort Vertrauen.
 

Schon der Masterplan enthielt klare Gestaltungsvorgaben zur Farbgebung, Materialisierung und Umgebungsgestaltung. Quelle: Thommen-Furler AG

Der Masterplan ist nicht eigentümerverbindlich. Weshalb setzen Sie ihn trotzdem um?

Der Masterplan ist für uns ein internes Grundlagen- und Planungsinstrument. Viele Firmen erstellen primär markt- und betriebswirtschaftliche Planungen, also Businesspläne. Aber ein guter Businessplan muss auf einem Masterplan basieren, denn dieser ist das wesentliche Instrument, um die betrieblichen, räumlichen und logistischen Ressourcen zeitlich und unter Berücksichtigung von übergeordneten Planungen aufeinander abzustimmen. Wir sind nicht allein hier: An unseren Standorten müssen wir uns an Richt-, Zonen- und Erschliessungsplänen
sowie Überbauungsordnungen (ÜO) orientieren.

Ein Businessplan kann erst dann zum Tragen kommen, wenn er auf einem
Masterplan fundiert, der aufzeigt, wie sich die im Businessplan vorgesehenen Projekte zeitlich realisieren lassen. So lässt sich auch der Investitionsbedarf ableiten, was gleichzeitig zu Investitionssicherheit führt. Wenn die planerischen Rahmenbedingungen fehlen, manifestiert der Businessplan eine gute Absicht, obschon ihm die Planungssicherheit fehlt. Die absolute Planungssicherheit gibt es nie. Aber je sicherer die Rahmenbedingungen sind, desto weniger Probleme entstehen bei der Umsetzung von Detailprojekten.

«Ein guter Businessplan muss auf einem Masterplan basieren.»
Franz Christ, CEO der Thommen-Furler AG

Seit Ende 2020 besteht nun eine eigentümerverbindliche ÜO, eine Überbauungsordnung. Was bedeutet dies für die Entwicklung Ihres Betriebs?

Der Masterplan ist wie gesagt ein strategisches Planungsinstrument, das uns zeigt, wie wir unsere Zukunft gestalten wollen. Die Überbauungsordnung gibt den rechtlich verbindlichen Rahmen vor. Gleichzeitig besagt sie, dass der Masterplan diesem Rahmen entspricht und die darin vorgesehenen Projekte grundsätzlich realisierbar sind. Das gibt unserem Betrieb Rechtssicherheit.

Mussten Sie aufgrund der ÜO Einschränkungen hinnehmen?

Der massivste Stopper im Prozess war die Volksabstimmung zum Raumplanungsgesetz, zu RPG 1, und das damit verbundene Einzonungsmoratorium. Die Revision hat uns drei bis vier Jahre gekostet. Danach gab es viele Kämpfe auszutragen. Einer war, dass der Kanton in seinem Richtplan mehrere Entwicklungsschwerpunkte definierte. Ausserhalb davon – also auch in Rüti – wurden Einzonungen und zusätzliche Erschliessungen sehr erschwert. Für einen systemrelevanten Betrieb wie den unseren war diese Situation schwierig. Wir mussten das Einzonungsbegehren reduzieren und die oberirdisch geplanten Parkplätze in ein Gebäude integrieren. Das ist alles grundsätzlich nicht negativ, aber es war ein Paradigmenwechsel, und dieser floss in die ÜO ein. Wir rechnen deswegen mit Mehrkosten von 3,5 bis 4 Millionen Franken. Aber so what? Verteilt auf die nächsten zwanzig Jahre ist das verkraftbar. Ansonsten sehe ich nicht, dass wir Einschränkungen erlitten hätten.

Auch Arbeitszonen können qualitätsvoll entwickelt werden: Neubauten im Industrie- und Gewerbegebiet Archmatte. Foto: R. Rieder, EspaceSuisse

Auch nicht bezüglich der qualitätssichernden Massnahmen, die gemäss ÜO vorgeschrieben sind? Artikel 15 sieht zum Beispiel ein unabhängiges Beurteilungsgremium vor, das sämtliche Bauvorhaben «auf ihre ästhetische Wirkung, Gestaltung und ihre landschaftliche Einpassung beurteilt».

Ich bitte Sie – das war sogar unser Vorschlag! Der Masterplan zeigte bereits auf, wie wir uns die Höhenabstufung und Ausrichtung der Gebäude vorstellen oder wie sich ihre farbliche Gestaltung an den Jura im Hintergrund anzupassen hat. Solche qualitätssichernden Elemente waren von Anfang an Bestandteil des Masterplans. 

Sie haben diese Elemente also aus freien Stücken in den Masterplan integriert?

Darüber kann man sich vielleicht streiten. So oder so: Der Masterplan sah bereits etwas in dieser Richtung vor. Jetzt haben wir das Beurteilungsgremium einfach zusätzlich noch in der ÜO verankert. Wir machen das auch, weil ich ästhetische Gebäude mag. Auch Industriegebäude müssen ästhetisch sein. Am Ende müssen die Gebäude so gestaltet sein, dass sie sich harmonisch ins Ganze einfügen. Die Gebäude sollen auch ein Bekenntnis sein – zur Verwendung von Holz zum Beispiel oder zur Anpassung an die Umgebung! Mit kleinen Massnahmen und relativ wenig Geld lassen sich Verbesserungen herbeiführen, die sich mehrfach auszahlen. Was den Leuten gefällt, schauen sie auch anders an. Die Gestaltung leistet somit auch einen Beitrag an die Vertrauensbildung und an den Vertrauenserhalt.

Wie war die Zusammenarbeit mit der Gemeinde?

Der Dialog mit der Gemeinde fand immer statt. Wir sind relativ stark in das Dorf integriert und reden auch mit den Leuten, wenn kein Masterplan und keine ÜO anstehen. Aber ich erinnere mich: Im Nachgang zum Unglück von Schweizerhalle gab es in der Bevölkerung grosse Vorbehalte gegen Chemiestandorte. Anfang der 90er-Jahre hatten wir deshalb mit massiven Widerständen zu kämpfen. Es gab eine regelrechte Bewegung gegen uns. Trotzdem liessen wir den Dialog nie abbrechen. Das hat die Situation über die Jahre massgeblich verbessert. Ich sage immer: Wir sind in Rüti, wir bleiben in Rüti, wir sind Bestandteil von Rüti. Entsprechend muss man sich verhalten. Wenn zum Beispiel ein Verein Unterstützung braucht, dann unterstützen wir ihn, solange wir uns das wirtschaftlich erlauben können – und bis jetzt konnten wir das.

Aber am Ende des Tages muss die Rechnung auch für ein Unternehmen Ihrer Grösse aufgehen. Tut sie das?

Jeder Betrieb muss genau auf seine Zahlen schauen. Seit 2006 haben wir rund 130 Millionen Franken investiert – nicht nur in Bauten, sondern auch in Fahrzeuge, Akquisen und Erneuerungen. Bis 2030 sind nochmals fast 100 Millionen an Investitionen geplant, rund 60 davon für den Neu- und Ausbau. Das geht nur dank der Planungssicherheit aufgrund des Masterplans und der ÜO. Die ersten Bauten nach der neuen ÜO sollen bis 2023 stehen. Dann feiern wir nämlich unser 100-jähriges Jubiläum.
 

«Die Gebäude müssen so gestaltet sein, dass sie sich harmonisch ins Ganze einfügen.»
Franz Christ, CEO der Thommen-Furler AG

Das wäre ein schönes Schlusswort. Aber wir sind noch nicht ganz am Ende. Worauf sind Sie heute besonders stolz?

Stolz ist das falsche Wort. Zufrieden bin ich, weil keine Seite aufgegeben hat, trotz neuem Raumplanungsgesetz. Die Gemeinde suchte nach Lösungen. Wir hätten auch aufhören können, aber wie blieben dran. Viel Freude bereitete mir auch, dass die Gemeinde unsere Pläne sehr positiv aufgenommen hat. Auch die Bevölkerung brachte sich an öffentlichen Anlässen immer konstruktiv ein. Diese positive Stimmung fusst auch darauf, dass wir Gutes tun und uns anständig verhalten. Aber es braucht auch eine Gemeindebehörde, die einen solchen Prozess unterstützt und die Bevölkerung mitwirken lässt. Auch die personelle Kontinuität in den Behörden – ich denke an den Gemeindepräsidenten und an die Gemeindeschreiberin – war sehr positiv und wertvoll.

Empfehlen Sie ein solches Vorgehen weiter, beispielsweise auch kleineren Betrieben?

Wer einen Betrieb entwickeln will, soll nicht nur an den Businessplan denken, sondern auch an den Masterplan. Ich empfehle allen, Masterpläne zu erstellen und sie fortzuschreiben, ihre Businesspläne anzupassen und sie zur Kommunikation zu nutzen. Das interessiert auch die Kunden!

Interview: Rémy Rieder

Inforaum 2/2021: z.B. Rüti bei Büren BE

Anmerkungen und Anregungen?
Kontaktieren Sie uns