Wie ein kleines Dorf seine Zukunft plant

Die Aargauer Gemeinde Münchwilen revidiert ihre Ortsplanung. Wohin die Reise gehen soll, hielt sie in einem räumlichen Entwicklungsleitbild fest. Dieses erstellte die Gemeinde nicht hinter verschlossener Tür. Im Gegenteil: Sie lud ein Planungsbüro mit Aussenblick ein, liess das lokale Wissen der Bevölkerung einfliessen und engagierte einen externen Gemeindeberater. Entstanden ist ein klar gestaltetes und verständliches Leitbild.
Rémy Rieder Geograf, EspaceSuisse

In der Schweiz gibt es zwei Münchwilen. Eines findet sich im Kanton Thurgau. Das zweite liegt im Aargauer Fricktal, am Fuss des Eikerbergs. Das frühere Ackerbaudorf zählte Ende 2019 rund 950 Personen. Damals war Bruno Tüscher seit einem Jahr Gemeindeammann. Zuvor war er bereits vier Jahre im Gemeinderat. Das räumliche Entwicklungsleitbild (REL), das er mit seiner Gemeinde erarbeitet hat, führt der Kanton als gutes Beispiel auf seiner Webseite auf. Bruno Tüscher erklärt, wie das gelungen ist.
 

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Bruno Tüscher ist seit 2018 Gemeindeammann (Gemeindepräsident) von Münchwilen AG. Von 2016 bis 2019 erarbeitete er zusammen mit seiner Gemeinde das räumliche Entwicklungsleitbild. Alle Fotos: R. Rieder, EspaceSuisse

«Wir sind ein klassisches Wohndorf»

Der Gemeindeammann kennt seine Gemeinde. «Wir sind ein klassisches Wohndorf», sagt er und meint damit vor allem den südlichen Ortsteil. «Sonst passiert hier nicht viel.» Die räumliche Struktur ist klassisch für eine Wohngemeinde: Der historische Ortsteil konzentriert sich entlang des Dorfbachs, der vom Kloster am Waldrand ob dem Dorf nach Norden fliesst. Der Hang Richtung Osten ist geprägt von Einfamilienhäusern: Das Siedlungsgebiet breitete sich dorthin aus, wo sich eine gute Aussicht bietet. Zwischen den Wohnhäusern gibt’s noch viel Grün. Ob Auszonungen nötig werden? Eher nicht, schätzt Tüscher die Bauzonenreserven seiner Gemeinde ein. Am Fuss des Hangs flacht das Gelände ab. Hier liegt das Sisslerfeld. Gemäss kantonalem Richtplan ist die grösste zusammenhängende und weitgehend unbebaute Arbeitszone («Arbeitsplatzgebiet») des Kantons ein kantonaler Entwicklungsschwerpunkt. An seinem Rand liegt die kommunale Gewerbe- und Industriezone, vom übrigen Dorf abgetrennt durch die Kantonsstrasse, die Autobahn A3 und Eisenbahnlinie Basel–Zürich.

Münchwilen AG liegt am Nordhang des Eikerbergs an der Autobahn A3. Quelle: Bundesamt für Landestopografie swisstopo

Am Anfang war die Ortsplanungsrevision

Wie in so vielen Gemeinden liegt auch in Münchwilen die letzte gesamthafte Überarbeitung der Bau- und Nutzungsordnung (BNO) eine Weile zurück – sie erfolgte 1992. Zwar wurden von 2000 bis 2012 drei Teiländerungen beschlossen und die Bauordnung wurde 2015 erneuert. Zwischenzeitlich hat sich in der Raumplanung aber einiges getan. Am 1. Mai 2014 trat das revidierte Raumplanungsgesetz des Bundes (RPG) in Kraft. Daraufhin passte der Kanton seinen Richtplan an, den der Bundesrat am 23. August 2017 genehmigte. Dem Gemeinderat war deshalb schon länger bewusst, dass die Revision der BNO ansteht. Und dass nur eine komplette BNO-Revision in Frage kam, um den strengeren rechtlichen Anforderungen zu entsprechen.

Im Mai 2016 traf sich der Gesamtgemeinderat sodann zur Klausur. Dabei begleitet hat ihn das Planungsbüro Metron AG. «Wir wollten sehen, wo wir mit Münchwilen in den nächsten zwanzig Jahren hinwollen», so Gemeindeammann Tüscher. Der Gemeinderat erkannte rasch, welch’ grosser Aufwand mit der BNO-Revision verbunden ist. Ein REL drängte sich geradezu auf, um die wichtigsten Fragen und Unklarheiten im Vorfeld der BNO-Revision klären. Und um dem Kanton den späteren Nachvollzug der Ortsplanungsrevision zu vereinfachen. Der Gemeinderat beschloss deshalb, die BNO-Revision in einem zweistufigen Verfahren durchzuführen. Zuerst sollte ein Leitbild erstellt und erst im Anschluss daran die BNO revidiert werden. Dieses Vorgehen leuchtete auch der Bevölkerung ein. Sie stimmte 2017 dem Verpflichtungskredit von knapp 40’000 Franken für das REL zu.
 

Die Zeitachse zeigt den Prozess, den die Gemeinde Münchwilen bei der Erarbeitung eines räumlichen Entwicklungsleitbildes durchlief. Quelle: EspaceSuisse

Der passende Partner bereichert das Leitbild

Zunächst stellte sich dem Gemeinderat eine praktische, aber entscheidende Frage: Wer begleitet uns bei der Erarbeitung des Leitbilds? Naheliegend und verlockend wäre es gewesen, hierfür mit dem langjährigen Ortsplaner zusammenzuspannen. «Wir entschieden uns bewusst dagegen», erklärt Tüscher. «Wir wollten das strategische Geschäft klar vom operativen trennen.». Soll heissen: Die strategische Arbeit am REL sollte ein Büro leisten, das nicht im Fricktal verankert ist und somit eine externe, eine neue Sicht auf Münchwilen einbringen konnte. Die Umsetzung des REL hingegen sollte ein lokaler Partner übernehmen. «Diese Aufteilung hat sich gelohnt», bilanziert der Gemeindeammann. «Die andere Brille, die man durch ein externes Büro aufgesetzt bekommt, finde ich extrem wichtig und bereichernd! Ich empfehle jeder Gemeinde, für die Arbeit am strategischen Leitbild ein externes Büro zu beauftragen.»

Auf Bitte des Gemeinderats stellte der Ortsplaner eine Liste mehrerer Planungsbüros zusammen. Ein halbes Dutzend davon wurde vom Gemeinderat gebeten, eine Offerte einzureichen und sich vor Ort vorzustellen. So konnte er sich ein Bild von den potenziellen Partnern und ihren Arbeits- und Gesprächskulturen machen. Auch die zwischenmenschliche Chemie war auf diesem Weg zu ergründen. Die ist laut Tüscher zentral, um gemeinsam Ideen und Lösungen zu entwickeln. «Da will man sich nicht bekämpfen müssen», scherzt der Gemeindeammann.

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Die Ursulakapelle thront über dem Dorf.

Auf Dorfbegehung folgt Partizipation

Das Rennen machte Van de Wetering – Atelier für Städtebau GmbH. In einem ersten grossen Schritt nahm der Gemeinderat die Verantwortlichen mit auf eine Dorfbegehung. Gemeinsam besichtigten sie Entwicklungs-Hotspots wie die Ortsdurchfahrt, besprachen künftige Bauvorhaben und tauschten sich über die Entwicklungsmöglichkeiten der Gemeinde aus. Auf Basis des Gesehenen und Erfahrenen erstellten die engagierten Planer einen Grundlagenbericht zu den wesentlichen Themen und Fragestellungen zur Zukunft der Gemeinde. Der zweite grosse Schritt: die Mitwirkung der Bevölkerung. Dazu lud der Gemeinderat alle Einwohnerinnen und Einwohner an einem Samstagmorgen in die Turnhalle ein. Ziel des Anlasses war, die Überlegungen aus dem Grundlagenbericht gemeinsam zu diskutieren.

«Die andere Brille, die man durch ein externes Büro aufgesetzt bekommt, finde ich extrem wichtig und bereichernd! Ich empfehle jeder Gemeinde, für die Arbeit am strategischen Leitbild ein externes Büro zu beauftragen.»
Bruno Tüscher, Gemeindeammann (Gemeindepräsident) von Münchwilen AG

Moderation abgeben, selbst mitwirken

Auch für die Mitwirkungsveranstaltung liess sich der Gemeinderat unter die Arme greifen. Er holte hierfür einen externen Gemeindeberater an Bord und übertrug ihm die Moderation der Veranstaltung. Mit dem Berater hatte die Gemeinde schon zuvor erfolgreich zusammengearbeitet. «Er wusste, wie wir ticken», erklärt Tüscher, «so konnten wir den Gemeinderat aus der Schusslinie nehmen.» Dieser Umstand ermöglichte es den Gemeinderäten gar, zeitweise selbst als Teilnehmer am Anlass mitzuwirken. Tüscher ergänzt: «Zudem war die Moderation anspruchsvoll.» Dem Gemeindeberater oblag die Aufgabe, die rund 35 Anwesenden durch die 4,5-stündige Veranstaltung zu führen. Zunächst absolvierten die Anwesenden einen Parcours mit neun Themen wie «Hauptverkehrsachse», «Siedlungsrand» oder «Dorfwiese», die frei mit Klebezetteln kommentiert werden konnten.

Anschliessend fanden parallel sechs Workshops statt. Jeder widmete sich einer der sechs Fragestellungen, die Van de Wetering im Grundlagenbericht aufgeworfen hatte. Das Spezielle am Format: Die Gruppen wurden zuvor festgelegt. So konnten eingespielte Seilschaften ausser Kraft gesetzt, Ehepaare temporär getrennt und Alphatierchen gut verteilt werden. Jedem Workshop wohnte ein Gemeinderat oder eine Gemeinderätin bei. Sie hatten allerdings bewusst keine Moderationsrolle inne, sondern übernahmen das Schreiben, das Zeitmanagement und notfalls die Rolle des Mediators. Bruno Tüscher resümiert: «Wir hatten den Eindruck, dass die Vorgehensweise ein grosser Vorteil war. So konnten die Leute miteinander sprechen. Das ist ja das Wichtigste an einem solchen Anlass.»

Leitideen

In der Mitwirkung vertiefte die Bevölkerung von Münchwilen sechs Leitideen. Diese dienten später als Basis für das räumliche Entwicklungsleitbild.

1. Landschaft als Qualität
Lage in der Landschaft als Qualität, Münchwilen als eigenständiges Dorf

2. Identität durch historische Struktur
Historisches Dorf als Träger der Identität

3. Synergien Verkehr – Siedlung
Günstige Verkehrslage als Chance

4. Einbettung der Hauptverkehrsachsen
Aktiver Umgang mit Verkehrsinfrastrukturbündel

5. Grüne Wohnquartiere in Ruhe
Sanfte Entwicklung der durchgrünten Wohnquartiere am Hang

6. Ort der kurzen Wege
Fokus Weiterentwicklung Wegnetz in den Wohnquartieren

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1. Landschaft als Qualität: Dazu möchte die Gemeinde die Siedlungsgrenzen festlegen und gestalten.
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2. Identität der historischen Struktur: Die Dorfstrasse zur Lebensader werden lassen.
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3. Synergien Verkehr – Siedlung: Die Zürcherstrasse (Ortsdurchfahrt) umgestalten, damit sie künftig als verlängerte Dorfachse bis zum Sisslerfeld führt. Heute führt sie unter der Bahnlinie hindurch. Für den Fuss- und Veloverkehr ist sie wenig attraktiv
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4. Einbettung der Hauptverkehrsachsen: Der Infrastruktur des Verkehrs einen grünen Rahmen verleihen.
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5. Grüne Wohnquartiere in Ruhe: Die Wohnquartiere weiter ruhig und grün belassen und daher nur sanft entwickeln.
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6. Ort der kurzen Wege: Primär das Wegnetz in den Wohnquartieren entwickeln.

Kontroverse, aber nicht emotionale Diskussionen

Diskutiert wurde an diesem Tag intensiv – auch nach dem Anlass beim gemeinsamen Imbiss. Für Tüscher ein gutes Zeichen: «Richtige Knackpunkte gab es keine, die Emotionen gingen nie richtig hoch.» Natürlich wurden wiederkehrende Themen wie Tempo 30, Grünflächen im Dorf oder der Waldabstand teilweise kontrovers diskutiert. «Man blieb aber sachlich. Der Grundtenor war immer positiv.»

Förderlich war, dass gewisse Themen an der Mitwirkungsveranstaltung bewusst nicht zur Diskussion gestellt wurden. Nicht thematisiert wurde beispielsweise die Entwicklung auf dem Sisslerfeld. «Diese Planung lässt sich in einem kommunalen Entwicklungsleitbild nicht abhandeln», so der Gemeindeammann. Was die Zukunft dort bringen könnte, soll eine Testplanung zeigen, die im Frühling 2019 in die Wege geleitet wurde. Im Herbst 2020 sollen die Ergebnisse vorliegen. Rückblickend zeigt sich Gemeindeammann Tüscher mit der Mitwirkung äusserst zufrieden. «Wir wollten nicht, dass sich später jemand vor den Kopf gestossen fühlt.» Ohnehin war es ein grosses Anliegen des Gemeinderats, die Bevölkerung frühestmöglich abzuholen und mit ihr im Gespräch zu bleiben. Sie sollte sich schliesslich auch mit dem Leitbild identifizieren.

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Das räumliche Leitbild ist klar strukturiert und einfach zu verstehen.

Ein Leitbild, das alle verstehen

Nach der Mitwirkung galt es, die Inputs aufzubereiten und ins Leitbild einfliessen zu lassen. Zentral dabei war die Verständlichkeit. «Wir wollten ein Leitbild, mit dem alle etwas anzufangen wissen», erklärt Tüscher. Dem Gemeinderat war es deshalb ein besonderes Anliegen, das Leitbild klar zu gliedern und eingängig zu illustrieren. Ein REL also, das sich nicht nur den Behörden, sondern auch der Bevölkerung erschliesst? Der Gemeindeammann bestätigt: «Wenn nur der Gemeinderat das REL versteht, kann man es auch sein lassen.» Schliesslich soll das Leitbild nützlich sein. Und das ist es nur dann, wenn es alle verstehen. «Ich glaube, das haben wir geschafft», konstatiert der Gemeindeammann nicht ohne Stolz. Tatsächlich helfen viele Bilder und Illustrationen beim Verständnis, wie ein Blick ins REL von Münchwilen zeigt. Die Texte sind nach Möglichkeit knapp formuliert. Das REL besteht aus vier Abschnitten, jeder mit nur einem Wort als Überschrift und einer knappen, unmissverständlichen Inhaltsbeschreibung.

Zwei Beispiele: Der erste Abschnitt «Einleitung» erklärt, «Um was es geht im REL», während der dritte Abschnitt «Leitbild» erläutert, «Wo wir hin wollen!» Knapper geht es kaum, ohne unklar zu werden. Auch die Pläne und Grafiken sind einfach verständlich. Ein Zukunftsbild zeigt die mögliche räumliche Entwicklung der Gemeinde. Im Gegensatz dazu verortet das konkretere Gesamtkonzept schon zahlreiche Massnahmen im Siedlungsgebiet und gibt erste Handlungsanweisungen.

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Der historische Ortskern prägt das Ortsbild von Münchwilen AG.

Wie geht es weiter?

Mit ihrem neuen Leitbild steigt die Gemeinde nun in die Revision der Bau- und Nutzungsordnung ein. «Wir sind selbst gespannt, was nun bei der BNO herauskommt», lacht Tüscher. Auch für ihn ist dies Neuland, vieles ist noch offen. Fest steht bereits, dass sich der Gemeinderat für die BNO-Revision von einem anderen externen Büro, der Planar AG, begleiten lässt. Dies ermöglicht einen weiteren, externen Blickwinkel. Zudem wird eine eigens einberufene Planungskommission gemeinsam mit der Planar AG einen ersten Revisionsentwurf der BNO erarbeiten und dabei darauf achten, dass das Leitbild berücksichtigt wird.

Die Kommission vereint Politikerinnen, Interessenvertreter sowie Personen unterschiedlichster Couleur aus der Bevölkerung, die sich auf einen Aufruf des Gemeinderates meldeten. «Bei der Neujahresrede gab es gleich zwei Spontanbeitritte – das war super», erinnert sich Tüscher – für ihn ein Hinweis, dass die Bevölkerung hinter dem Leitbild steht und sich einbringen will. Der Entwurf soll als Diskussionsgrundlage dienen für eine weitere Mitwirkungsveranstaltung, die im Rahmen der BNO-Revision stattfinden soll. Wann und in welcher Form, ist noch offen. Fest steht aber, dass die Bevölkerung auch dabei sein muss. Klar ist: Das REL dürfte eine langfristige Wirkung entfalten. Der Gemeinderat hat das Leitbild im Sommer 2019 beschlossen und für behördenverbindlich erklärt. Es dient ihm fortan als Richtschnur bei seinen raumwirksamen Tätigkeiten. Die Zeichen für eine weitsichtige BNO-Revision stehen gut.

Im Interview mit Christian Brodmann

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Christian Brodmann ist Architekt und Raumplaner. Der langjährige Kreisplaner des Kantons Aargau steht in engem Kontakt mit «seinen» Gemeinden und Regionalplanungsverbänden. Er betreut und berät sie aus kantonaler Warte, übernimmt die Vorprüfung ihrer Nutzungsplanungen und bereitet deren Genehmigung vor. Foto: zVg

Zehn-Punkte-Botschaft aus dem Aargau:

Worauf müssen Gemeinden achten, wenn sie ein räumliches Leitbild (REL) erarbeiten? Christian Brodmann, Kreisplaner des Kantons Aargau, hält eine Zehn-Punkte-Botschaft bereit: 

  1. Nichts überstürzen und den REL-Prozess überlegt angehen.
  2. Die richtige Flughöhe wählen, nämlich die «Sicht vom Hügel».
  3. Eine «räumliche Gesamtschau» des ganzen Gemeindegebiets vornehmen – über die Bauzone hinaus.
  4. Die Partizipation mit der Bevölkerung ernst nehmen.
  5. Den Beteiligten gut zuhören und ihnen Sachverhalte verständlich erklären.
  6. Lokale Identitäten aufbauen und stärken, damit sich die Bevölkerung im REL wiederfindet.
  7. Konkrete Ziele formulieren, die erreichbar sind und sich umsetzen lassen.
  8. Die Ziele und Massnahmen räumlich verorten und klar differenzieren.
  9. Beim Ausformulieren möglichst gemeindespezifische Aussagen und Bezüge verwenden anstelle von austauschbaren Floskeln und Platzhaltern.
  10. Die Ziele und Absichten, die mit dem REL verfolgt werden, wiederholt gemeinsam klären

Herr Brodmann, im Gegensatz zum Kanton Aargau verlangt Ihr Nachbarkanton Zürich von seinen Gemeinden Entwicklungskonzepte. Warum braucht’s bei Ihnen keine solchen Vorgaben?

Ich möchte Ihnen die Gegenfrage stellen: Ist denn ein Zwang immer nötig, um Gutes zu fördern? Im Kanton Aargau gibt es für eine derartige Vorgabe keine rechtliche Grundlage. Was nicht bedeutet, dass die Gemeinden nicht trotzdem von sich aus REL, also räumliche Entwicklungsleitbilder oder -konzepte, erarbeiten sollen.

Der Kanton befürwortet REL, setzt dabei auf die Eigeninitiative der Gemeinden statt auf Zwang?

Auf jeden Fall. Die kommunalen Behörden müssen in der Lage sein, die räumliche Entwicklung ihrer Gemeinde zu verstehen. Sie sollten sie auch der Bevölkerung erklären können. Dazu müssen sie Entscheide begründen und schlüssig argumentieren können. In der Ortsplanung ist die Komplexität riesig. Sie kann nur Schritt für Schritt einigermassen erfasst werden. REL sind deshalb sinnvoll, weil mit ihnen in einem ersten Schritt gemeinsam festgehalten werden kann, wohin die Reise in der Ortplanung gehen soll.

Gibt’s trotzdem Unterstützung vom Kanton?

Sicher! Zum einen gibt es den kantonalen Planungswegweiser. Er bietet den Gemeinden eine erste grundlegende und umfassende Hilfestellung. Zum anderen zeigen viele thematische Online-Karten, was bei der Planung zu berücksichtigen ist, wie beispielsweise die Sichtungsgebiete. Das sind Gebiete, deren statistische Daten zu Überbauungsstand, Bauperiode und Altersstruktur der Bevölkerung darauf hinweisen, dass grosse Veränderungen bewirkt und eine qualitätsvolle Innenentwicklung aktiv angegangen werden könnte. Selbstverständlich bieten wir der Gemeinde jeweils auch ein Startgespräch an. 

Was ist unter einem Startgespräch zu verstehen?

Am Anfang des REL stellen sich der Gemeinde viele Fragen: Was genau bringt uns ein REL? Wie kommen wir dazu? Was müssen wir beachten? Auf diese oder ähnliche Fragen – nebst den planerischen – stosse ich immer wieder in den Gemeinden. Die kommunalen Behörden haben deshalb die Möglichkeit, uns Kreisplaner zu einem Startgespräch einzuladen. So können wir unsere Erfahrungen aus anderen Gemeinden direkt einbringen. Bei Bedarf kann die Gemeinde während der Erarbeitung des REL auf den Rat ihres Kreisplaners zurückgreifen. Vor Abschluss bieten wir zudem eine inhaltliche Besprechung an. So fördern wir den Austausch von Gemeinde und Kanton im Sinne des Gegenstromprinzips.

Die verschiedenen Online-Karten des Kantons Aargau dienen den Gemeinden als Planungsgrundlage. Quelle: Kanton Aargau

Ihre Rolle ist also diejenige einer Art Mentor?

Wenn Sie so wollen. Die Gemeinde kann uns als Mentor annehmen, wenn sie es will – wir drängen uns nicht auf. Es ist zentral, dass die Gemeinde freiwillig auf uns zukommt. Sie muss den Lead übernehmen, dann profitiert sie am meisten. Auch der Kanton profitiert am Ende: Der REL-Prozess erleichtert die technische Prüfung der anschliessenden Nutzungsplanung. Der frühe Austausch beseitigt viele Herausforderungen schon im Vorfeld und senkt das Frustrationspotenzial.

Wie lautet Ihre Einschätzung: Funktioniert das Prinzip Eigeninitiative und Freiwilligkeit?

Für die meisten Gemeinden war das REL anfänglich ein neues informelles Instrument. Es brauchte viele Erklärungen und Überzeugungsarbeit, um seinen Sinn und Zweck zu verdeutlichen. An dieser Stelle ist den Planungsbüros zu danken, die gute Aufklärungsarbeit geleistet haben. Mittlerweile werden REL in den Gemeinden gut verstanden und gelebt.

Woran merken Sie das?

Wir erhalten viel positives Feedback direkt aus den Gemeinden. Die Behörden erkennen, dass der REL-Prozess eine gute Möglichkeit ist, um die Bevölkerung an der Entwicklung ihrer Gemeinde mitwirken zu lassen und ihr den Sinn und Zweck der Ortsplanung zu erklären. Unter den Gemeinden tauscht man sich über die REL aus. Einzelne werden gar von Rat suchenden Gemeinden kontaktiert, die am Anfang des Prozesses stehen. Der informelle Austausch der Gemeinden ist für die Förderung und die Akzeptanz des Instruments tausendmal besser als jede gesetzliche Vorgabe. Im Aargau kommen zur Vorprüfung eingereichte Nutzungsplanungen kaum mehr ohne räumliche Entwicklungsleitbilder daher. 

Zum Abschluss: Welchen Tipp gibt der langjährige Kreisplaner den Gemeinden auf den Weg?

Macht ein REL! Ihr werdet es nicht bereuen. Auch der Weg ist ein Ziel. Vergesst einfach nie, immer alle Beteiligten miteinzubeziehen!

Interview: Rémy Rieder, EspaceSuisse

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Der historische Ortsteil entwickelte sich entlang des Dorfbachs, der quer durch Münchwilen fliesst.

Ortsentwicklung aktiv steuern

Inforaum 2/2020: z.B. Münchwilen AG

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