Prozesse und Akteure von Zwischennutzungen

Zwischennutzungen basieren auf einem Zusammenspiel von mehreren Akteursgruppen. Anders als bei einem üblichen Vermietungsgeschäft geht es um Inhalte, welche zwischen den Akteuren in Einklang gebracht werden müssen, damit eine Zwischennutzung funktioniert. Manchmal braucht es auch jemanden, der vermittelt, denn die Lebenswelten der Akteure driften oft auseinander. Nötig ist auch ein Verständnis davon, welche Prozesse die Qualitäten einer Stadt-, Quartier- oder Dorfentwicklung in welcher Weise beeinflussen. Nachfolgende Ausführungen sollen dieses Verständnis fördern.

Für die Innenentwicklung ist die extrovertierte Zwischennutzung ein Instrument, um die für eine Stadt oder ein Quartier erwünschten Qualitäten zu erreichen. Dies gilt insbesondere bei demodierten Situationen oder bei grösseren Arealentwicklungen. Zwischennutzungen helfen dabei, Möglichkeiten zur Belebung, Aneignung und damit zur Identifikation bereitzustellen.

Mehr als Wohneinheiten

Neue Quartiere oder Siedlungen leiden häufig unter dem Problem des Anfangs. Sie starten meist als ein Gefüge von Wohneinheiten, vielleicht mit einem Gemeinschaftsraum, ein paar Erdgeschossnutzungen, vielleicht sogar energetisch optimiert und gestalterisch interessant. Damit sich ein Gebiet aber zum lebendigen und auch ökonomisch nachhaltigen Stadtquartier mit spürbarer Geschichte und eigener Identität entwickeln kann, braucht es mehr.

Die urbane Geschichte eines Ortes beginnt schon vor dem ersten Spatenstich. Dafür benötigt man geeignete Räumlichkeiten und regulatorische Spielräume. Die Raumplanung und die Immobilienbranche können dafür den Weg ebnen, indem sie eine Kultur der Ermöglichung praktizieren.

Der Prozess hin zu Identität

Die Identität eines Ortes kann nicht gebaut werden. Identität entsteht dadurch, dass Menschen einem Ort oder Gebäude bestimmte Bedeutungen zuweisen, welche auf den Erfahrungen basieren, welche man bezogen auf diesen Ort erlebt hat. Ist eigenes Handeln mit einem Ort verbunden, führt dies zu einer positiven Verbundenheit, sodass man auch Verantwortung übernimmt, damit die aufgebauten Qualitäten erhalten bleiben. Extrovertierte Zwischennutzungen bieten die Chance, positive Identifikationsmomente zu erzeugen.

Zwischennutzungen können wirtschaftliche Innovation ermöglichen

Zwischennutzungen sind Aktionsfelder vor allem für jüngere und innovative Bevölkerungsgruppen, die jedoch nicht über das nötige Risikokapital für ihre Projekte verfügen. Zwischennutzung kann die wirtschaftliche Entwicklung jedoch ankurbeln, indem sie das innovative Potential kreativer Akteure nutzt. Dies gelingt, indem man diesen Kreativen Flächen zu günstigen Konditionen zur Verfügung stellt. Mit Zwischennutzungen werden, sogar bei Aktivitäten der Subkultur, jene Fertigkeiten entwickelt, die – paradoxerweise – heute mit unternehmerischem Denken verbunden werden: flexibel, kostenbewusst, umweltschonend, effizient, innovativ, vernetzt, liberal, direkt, etc. So gesehen, fördern Zwischennutzungen Tugenden, die Unternehmen schätzen.

Vielfältige Beziehungen zwischen Akteuren

Damit extrovertierte Zwischennutzung zur qualitätsvollen Innenentwicklung beiträgt, müssen die beteiligten Akteure zu einem gemeinsamen Bekenntnis finden, wie sie ihre jeweiligen Interessen zu einer Win-Win-Situation führen. Die nachfolgende Illustration zeigt die den einzelnen Akteursgruppen, deren jeweils unterschiedlichen Akteure und die zugehörigen Aufgaben. Diese Darstellung kann als assoziative Leitplanke benutzt werden, wenn ein Entwicklungsvorhaben mit Zwischennutzung ansteht. Sie hilft, die vielen Verbindungen und Zusammenhänge zu verstehen und zu ordnen.

Vielfältige Beziehungen zwischen Akteuren

Damit eine extrovertierte Zwischennutzung zur qualitätsvollen Innenentwicklung beiträgt, müssen die beteiligten Akteure zu einem gemeinsamen Bekenntnis finden, wie sie ihre jeweiligen Interessen zu einer Win-Win-Situation führen. Die nachfolgende Illustration zeigt die den einzelnen Akteursgruppen, deren jeweils unterschiedlichen Akteure und die zugehörigen Aufgaben. Diese Darstellung kann als assoziative Leitplanke benutzt werden, wenn ein Entwicklungsvorhaben mit Zwischennutzung ansteht. Sie hilft, die vielen Verbindungen und Zusammenhänge zu verstehen und zu ordnen.

Akteursgruppen, Akteure und deren Aufgaben bei Zwischennutzung, in Tuchfühlung mit einer interessierten Öffentlichkeit. Darstellung: M. Bürgin.

Preisgünstiger Raum für Nutzende ermöglicht Innovation

Kultur, Kreativwirtschaft und andere Nischennutzungen benötigen preisgünstigen Raum. Eigentlich ist es ihnen egal, ob die Räume temporär oder permanent verfügbar sind, aber in Zwischennutzungen gilt das Prinzip «preisgünstiger Raum gegen befristete Nutzung». Das knapp vorhandene eigene Kapital können Zwischennutzer/innen wettmachen mit Muskelhypotheken und Freiwilligenarbeit, oft im Verbund mit zugeneigten Handwerker/innen und Mitdenkenden. Basis dafür sind die weitverzweigten Netzwerke, die schon zu Beginn vorhanden sind und/oder im Lauf der Zeit entstehen. Um eine gut funktionierende Zwischennutzung zu erreichen, braucht es Akteure, die nicht einfach eine bisherige Existenz in anderen Räumen weiterführen, sondern etwas Innovatives bewerkstelligen wollen.

Zwischennutzung: Zwei Erfolgs-Storys aus der Kreativwirtschaft

In der Zwischennutzung Bell-Wurstfabrik in Basel startete der Soziologe Michael Moppert die Software-Firma Bidule, welche er 1993 in Day Software AG umbenannte. Im Jahr 2000 ging er an die Börse und 2010 verkauften Moppert und die Mitbeteiligten das Unternehmen an die US-Firma Adobe – zum Preis von 255 Millionen Franken.

Ebenfalls 1993 nähten die Brüder Daniel und Markus Freitag ihre erste Kuriertasche aus alten LKW-Planen der eigenen Wohnung. Später wurde im zwischengenutzten Maag-Areal in Zürich produziert. Es begann der Durchbruch und später die Errichtung des Hauptquartiers, einem Turm aus 19 Frachtcontainern unweit des Maag-Areals. Die Tasche steht mittlerweile im Museum, das Geschäftsmodell gilt als Musterstück erfolgreicher Kreativwirtschaft.

Eigentümer stehen bei Leerständen immer vor einer neuen, für sie meist unbekannten Situation, für die sie nicht auf ein bewährtes Vorgehen zurückgreifen können. Sie müssen Neues wagen. Studien zur Rentabilität haben gezeigt, dass Zwischennutzungen ein hohes kommerzielles Potenzial haben, v.a. mittel- und langfristig. Dieser Sachverhalt ist auch für Projektentwickler von Bedeutung, welche im Auftrag von Eigentümern tätig sind.

Gemeinden als Eigentümer

Gemeinden als Eigentümer haben mehrere Rollen inne: Sie sind nicht nur Planer einer künftigen Nutzung, sondern auch Vermieter und Bewilligungsgeber. Sie müssen manchmal abwägen zwischen dem Interesse an einer Verbesserung der Siedlungsqualität im Rahmen der Innenentwicklung und dem Interesse an einer allfälligen immobilienökonomischen Verwertung eines Objektes. Die Gemeinden haben alle Fäden in der Hand, um mit wenig Aufwand eine ortsbelebende und identitätsstiftende Zwischennutzung zu realisieren, die eine Belebung initiieren und einer eventuellen späteren Umnutzung dienlich sein kann.

Dialog ist unumgänglich

Die Zusammenarbeit ist nicht immer einfach, denn bei Zwischennutzungen treffen oft Menschen mit unterschiedlichem Selbstverständnis aufeinander. So kann es sein, dass die Flexibilität und Kreativität der Zwischennutzenden sich an starren Positionen von Eigentümern und/oder Gemeindevertretern stossen. Um gemeinsame Lösungen auszuhandeln, ist eine dialogorientierte Kommunikation unumgänglich.

Erfolgsfaktoren für Zwischennutzungen

Zwischennutzung benötigt von Anfang an eine kluge Steuerung im Wissen darum, dass jede Zwischennutzung der Start einer Umnutzung ist. Die Nachhaltigkeit auf ökonomischer, ökologischer und sozialer Ebene sollte im Zentrum stehen, denn Handeln ist flexibler und günstiger als Bauen.

Wer auch immer die Initiative für eine extrovertierte Zwischennutzung ergreift, muss die anderen Akteursgruppen frühzeitig einbinden (Eigentümer/Entwickler/Investoren – Gemeinden – Nutzer/innen – lokale Bevölkerung). Lokale Raum- und Entwicklungsbedürfnisse sind zu berücksichtigen. Bei wenig Vorwissen über solche Prozesse oder harzigen Verhandlungen empfiehlt sich der Beizug von erfahrenen Fachpersonen.

Weitere Voraussetzungen für den Erfolg einer Zwischennutzung sind:

  • Einbindung von Menschen mit Pioniergeist und Gründerlust
  • Attraktive Leitnutzungen mit grossem Austauschpotenzial schaffen oder beiziehen
  • Schlanke und überschaubare Organisationsstrukturen
  • Einsatz von kreativer Human Power statt Kapital
  • Möglichkeit zur Selbstorganisation
  • Kontinuität und Ausdauer
  • Aktivierung von lokalen Netzwerken
  • Vertrauen schaffen, d.h. keine Behinderung von formellen Planungsvorhaben

Fazit: Akteure und Prozesse von Zwischennutzungen kennen lernen

Leerstände von Immobilien und brachliegende Freiflächen stellen eine Herausforderung für Eigentümer, Projektentwickler und Planer dar, denn sie sind eher die Ausnahme als die Regel und erfordern andere Prozesse als im üblichen Immobiliengeschäft. Aufgrund der meist etwas längeren Dauer sind diese Prozesse aber eine Chance, um die Siedlungsqualität zu verbessern, für mehr Belebung und gesellschaftlichen Austausch zu sorgen und lokale Raumdefizite für Kultur, Kreativwirtschaft, Bildung, Handwerk etc. mindestens temporär zu beheben. Extrovertierte Zwischennutzungen können die Lücken für alle Seiten gewinnbringend überbrücken und unter Umständen – auch langfristig – zu innovativen Lösungen führen. Aufgrund der Neuartigkeit der Anforderungen ist der Beizug von Fachpersonen zu empfehlen.