Reines Investitionskonzept oder aktive Bodenpolitik?

Am Anfang standen sanierungsbedürftige Liegenschaften in der Laufenburger Altstadt. Dann lancierte der Stadtrat das Investitionskonzept Altstadt und die Gemeindeversammlung sprach einen Kredit in der Höhe von 20 Millionen Franken, damit die Gemeinde Liegenschaften kaufen, sanieren oder auch neu bauen kann. Nun, rund 10 Millionen Franken später, sind erste Effekte sichtbar: Ein Einblick in das mutige Projekt von Laufenburg im Fricktal.
Florian Inneman, Geograf und Raumplaner EspaceSuisse
Ein Blick über den Rhein auf die Laufenburger Altstadt, die – wen wundert’s – im Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS) aufgeführt ist.
Bild: Florian Inneman, EspaceSuisse

Es lärmt im Hintergrund, am Boden liegen Kabel herum. Man muss gut aufpassen, wo man hintritt. Ein Bauarbeiter huscht vorbei. Die Deckenkonstruktion wirkt arg sanierungsbedürftig, die eine oder andere Wand ist mässig stabil und auch der Boden verträgt mehr als nur eine Auffrischung – dies ist auch für einen Laien deutlich sichtbar. Wir befinden uns in der am Marktplatz gelegenen Liegenschaft Adler, mitten in der Laufenburger Altstadt. Das markante Gebäude strahlt auf den ganzen Platz aus. Entsprechend entscheidend ist es, wie die Liegenschaft daherkommt. 

Grund des Besuchs: Hier investiert und baut die Stadt Laufenburg. Grundlage hierfür ist das sogenannte Investitionskonzept Altstadt – eine unscheinbare Bezeichnung für eine mutige und kluge Politik. Im Februar 2016 sprach die Gemeindeversammlung 20 Millionen Franken, um sanierungsbedürftige Liegenschaften in der Laufenburger Altstadt und dem Dorfkern von Sulz zu kaufen und zu sanieren. Mit anderen Worten: Sie hat sich für eine aktive Bodenpolitik entschieden.  

Hier investiert und baut die Stadt Laufenburg.
Florian Inneman, Geograf und Raumplaner EspcaceSuisse

Zwischenzeitlich wurden rund 10 Millionen Franken des Kredits investiert: Zwei Liegenschaften sind bereits fertiggestellt, zwei befinden sich derzeit in Bau – schön verteilt auf die beiden Ortsteile Laufenburg und Sulz. Die ländliche Gemeinde Sulz gehört seit der Fusion von 2010 zu Laufenburg, das heute rund 3700 Einwohnerinnen und Einwohner zählt.  

Keine einfache Ausgangslage 

Ausgangspunkt der Geschichte bilden sanierungsbedürftige Liegenschaften in der Laufenburger Altstadt, eine hohe Sozialhilfequote und eine drohende Steuerfusserhöhung sowie ein handlungswilliger Stadtrat (Exekutive). Doch der Reihe nach: Im Nachgang zur Fusion lancierte die neue Gemeinde einen Leitbildprozess. Dabei zeigte sich einmal mehr der bereits länger sichtbare Handlungsbedarf in der Altstadt: Aufgrund des Strukturwandels stellte sich auch in Laufenburg die Frage nach der künftigen Ausrichtung der Altstadt. Wie in vielen historischen Ortskernen wurden Geschäfte aufgegeben und manche Liegenschaft wurde kaum mehr unterhalten, stand teilweise sogar leer. Eine Arbeitsgruppe arbeitete darauf ein Altstadtkonzept aus. Deren sorgfältige Auslegeordnung bestätigte den Handlungsbedarf eindeutig.  

Parallel dazu spannte sich die finanzielle Lage der Gemeinde zunehmend an. Ein Faktor hierbei war die im Kantonsvergleich überdurchschnittliche Sozialhilfequote. Diese wiederum hing mit diversen «Goldgräbereigentümern» zusammen: Gemeint sind Eigentümerschaften, die kaum in ihre Liegenschaften investieren, aber möglichst viel aus ihren Mieterinnen und Mieter rausholen wollen. Nicht selten handelt es sich bei Letzteren um Sozialhilfebezüger und -bezügerinnen. Eine Realität, wie man sie auch in anderen Gemeinden kennt. Jenseits von moralischen Aspekten, wie mit Personen in ohnehin schwieriger Lage umgegangen wird, hatte diese Praxis für die Stadt auch finanzielle Folgen. Zwar hat Laufenburg in der Bau- und Nutzungsordnung festgelegt, dass Liegenschaften in der Altstadt unterhalten werden müssen, aber das ist schwierig durchzusetzen. Solange keine gefährliche Situation gegeben ist, kann die Gemeinde praktisch nicht einschreiten.  

Die Laufenburger Altstadt ist ein Bijou. Es mangelt aber zuweilen an Lebendigkeit. Bild: Florian Inneman, EspaceSuisse

Not macht erfinderisch 

Angesichts der vielfältigen Herausforderungen und als Alternative zu einer Steuerfusserhöhung kam im Stadtrat die Idee eines Investitionskonzepts Altstadt auf. Die Gemeinde soll Liegenschaften kaufen, sanieren oder neu bauen und vermieten – mit mehreren positiven Effekten: Die Vermietung bringt Erträge in die Stadtkasse. Und der Eingriff der öffentlichen Hand ist ein klares Zeichen an die Privaten, dass sich eine Investition in die Altstadt lohnt. Investieren Gemeinde und Private, steigt auch die Bevölkerungszahl in der Altstadt wieder an. Dies wiederum wirkt sich positiv auf die Steuererträge aus. 

Die Gemeinde hat bisher ca. 10 Millionen Franken in vier Objekte investiert, je zwei in der Laufenburger Altstadt und im Ortsteil Sulz.
Bild: Florian Inneman, EspaceSuisse
Die Gemeinde soll Liegenschaften kaufen, sanieren oder neu bauen und vermieten.
Florian Inneman, Geograf und Raumplaner EspcaceSuisse

«Schon bevor wir auf dem Markt waren, war das Investitionskonzept ein Erfolg», so André Maier, der für das Ressort Bauverwaltung und Bauplanung sowie für das Investitionskonzept zuständige Stadtrat. Viele Private begannen tatsächlich, in ihre Liegenschaften zu investieren, noch bevor die Gemeinde eine Liegenschaft kaufte. «Das Investitionskonzept hat die Privaten geweckt, es war eine Art Initialzündung», so Maier weiter. Auch Christian Müller von der Laufenburger Bauverwaltung bekräftigt, dass die Stimmung in der Altstadt tatsächlich vom Negativen ins Positive gekippt ist. Die Bautätigkeit hat deutlich zugenommen. Über die ganze Gemeinde gesehen wächst die Bevölkerung am stärksten in der Altstadt. Der Erfolg dürfte auch mit weiteren Faktoren zusammenhängen: Die Bauverwaltung nimmt bei Bauvorhaben im Vergleich zu früher viel stärker eine beratende Rolle ein. Auch dürften sich die niedrigen Zinsen günstig ausgewirkt haben.

In Laufenburg bestand bereits ein Vorbild für das Konzept: Die Ortsbürgergemeinde generiert ihre Einnahmen seit Jahren über Liegenschaften, auch solche in der Altstadt. «Auf diesen Zug wollten wir aufspringen», so Maier. Beim Investitionskonzept handelt es sich im Grunde genommen um eine aktive Bodenpolitik – ein Begriff, der mancherorts eher im linken politischen Spektrum und in grösseren Städten verortet wird (siehe auch «Im Interview»). «Bei uns ist dies keine Parteifrage», so Stadtrat Maier.

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An gewissen Orten sieht man den Investitionsbedarf deutlich.
Bild: Florian Inneman, EspaceSuisse
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Das Investitionskonzept der Gemeinde hat Signalwirkung: Auch Private investieren wieder verstärkt in der Altstadt.
Bild: Florian Inneman, EspaceSuisse

Vorgehen und Renditeerwartung sind klar abgesteckt

Doch wie funktioniert nun das Konzept? Der Stadtrat kann Liegenschaften für einen Betrag von bis zu 3,5 Millionen Franken pro Objekt kaufen und sanieren oder neu bauen. Ein wichtiger Grundsatz: In der Regel werden nur Liegenschaften gekauft, bei denen der Verkäufer aktiv auf die Gemeinde zugeht. Grundlage für einen Kaufentscheid bildet eine Schatzung, die eine externe Fachperson durchführt und von privater Seite, also vom Verkaufsinteressenten, bezahlt wird. Im Rahmen der Schatzung wird auch der Investitionsbedarf grob abgeschätzt. Dabei ist die Renditefrage zentral: 5 % Brutto- und 2.5 %-Nettorendite lautet die Vorgabe gemäss Konzept. Bei einem Ersatzneubau ist dies einfacher zu erfüllen als bei der Sanierung einer Altstadtliegenschaft, da dort das Potenzial für teure Überraschungen grösser ist. Diese Vorgabe muss auch laufend angepasst werden, denn es ist nicht möglich, sie bei jedem Objekt einzuhalten. Im Kern will die Einwohnergemeinde einen moderaten Ertrag erzielen. Dies konnte bislang mit jedem Objekt eingehalten werden. 

Über den Kauf entscheidet der Stadtrat. Danach folgt üblicherweise ein Projektierungs- und ein Baukredit. Diese Beträge gehen zwar auch zulasten des Gesamtkreditrahmens von 20 Millionen Franken, allerdings braucht es hierfür jeweils separate Gemeindeversammlungsbeschlüsse. Bisher stiessen alle Projekte auf Zustimmung; das Vertrauen der Stimmbevölkerung ist vorhanden. Dies hat sich auch bereits bei der Abstimmung zum Investitionskonzept gezeigt. Intensiver war der dem Konzept vorangehende Prozess innerhalb des Stadtrats. Aber am Ende stand dieser geschlossen hinter dem Konzept.  

Derzeit besteht ein «Marschhalt»: Der Stadtrat möchte zunächst die Fertigstellung der beiden noch laufenden Projekte abwarten, den Zwischenstand sorgfältig evaluieren und danach über das weitere Vorgehen entscheiden. Aus diesem Grund musste zwischenzeitlich auch ein Interessent abgewiesen werden, allerdings fand sich in der Folge eine private Käuferschaft.  

«Das Investitionskonzept hat die Privaten geweckt.»
André Maier, Stadtrat für Ressort Bauverwaltung und Bauplanung in Laufenburg AG

Kaufen, projektieren und bauen

Das Investitionskonzept selbst und ein Liegenschaftskauf sind nur die halbe Miete: Ein grosser Teil der Arbeit erfolgt erst nach dem Kauf – für die Planung, die Projektierung und die Umsetzung bis hin zur Vermietung. Im Rahmen der Projektierung arbeitet die Gemeinde grundsätzlich mit Wettbewerben, um die jeweils beste Lösung für einen Ort zu finden. Renditeüberlegungen spielen eine wichtige Rolle, aber es geht auch um Qualität und um Vielfalt, zum Beispiel beim Wohnungsmix. Das Neubau-Projekt «Wir von der Kleinstadt Vier» im Ortsteil Sulz ist hierfür ein gutes Beispiel. Hier werden Wohnungen realisiert von 2,5 bis 4,5-Zimmer sowie eine Atelier-Wohnung und Hobbyräume. «Viele Gemeinden verkaufen gute Liegenschaften an einen Investor und geben somit das Zepter aus der Hand», so der verantwortliche Architekt Oliver Christen. Dies sei in Laufenburg anders. Die Gemeinde realisiere die Projekte selbst und behalte daher immer die Kontrolle. «Dadurch stellt sie einen vielfältigen Wohnungsmix sowie eine hohe Qualität sicher. So etwas sucht derzeit noch seinesgleichen», kommentiert Christen anerkennend das Konzept. Darüber hinaus kann die Gemeinde direkt die Nutzung der Gebäude beeinflussen, was gerade in der Altstadt wichtig ist. Ein Beispiel: Auch in Zukunft soll beim Adler ein Restaurant das Erdgeschoss belegen und so zu einer attraktiven Altstadt beitragen.

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Mit der Sanierung bestimmt Laufenburg über die Nutzung der Liegenschaft Adler... Bild: Florian Inneman, EspaceSuisse
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… und trägt so zur Belebung der Altstadt bei: mehr Wohnraum, Büros und im
Bild das künftige Restaurant. Bild: Florian Inneman, EspaceSuisse
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Das Restaurant soll vermehrt im Aussenraum wahrgenommen werden.
Quelle: Pfiffner.Fischer.Peterhans Architekten, Aarau
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Historische Bausubstanz bietet Möglichkeiten für Wohnungen mit Charakter.
Bild: Florian Inneman, EspaceSuisse
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Das Gewinnerprojekt «Wir von der Kleinstadt Vier» im Ortsteil Sulz bringt im Vergleich zu einer Direktvergabe mehr Qualität.
Visualisierung: OVI images; Oliver Christen Architekten

Die Stadt als Vermieterin

Das Laufenburger Investitionskonzept wartet mit zwei Besonderheiten auf: die Wohnmobilität und die interne Verwaltung. Dass das Investitionskonzept Wohnmobilität ermöglicht, beweist das bereits umgesetzte Projekt Pfarrhof im Ortsteil Sulz: Das sanierte Gebäude ermöglichte einem älteren Ehepaar, aus ihrem zu gross gewordenen Einfamilienhaus auszuziehen, aber in ihrem Ort zu bleiben. Beide sind in Sulz aufgewachsen. «Wir lebten in einem Haus mit grossem Umschwung und steilem Gelände», sagt die Mieterin. «Das ist in unserem Alter schwierig.» Das neue Wohnangebot ermöglichte dem Paar, in Sulz zu bleiben. «Hier kennen wir die Leute und sie kennen uns». Interessant ist, dass dieser Effekt bei der Lancierung des Konzepts gar nicht thematisiert wurde, heute aber nutzt man diesen Vorteil gerne. 

Eine weitere Besonderheit des Laufenburger Wegs: Die Gemeinde verwaltet die Wohnungen selbst. «Wenn wir unsere eigenen Liegenschaften verwalten, ist doch viel mehr Herzblut dahinter, als wenn es einfach eine Wohnung in einem grossen Portfolio eines Externen wäre», so Müller von der Bauverwaltung. 

Was ist aktive Bodenpolitik auf kommunaler Ebene?

Unter aktiver Bodenpolitik versteht man Handlungen, bei der eine Gemeinde bewusst und mit bestimmten Zielvorstellungen auf dem Bodenmarkt tätig ist und die über kurzfristigen Gewinn durch Landverkäufe hinaus gehen. Neben Kauf, Verkauf oder Abgabe im Baurecht kann auch eine Vermittlerrolle Ausdruck einer aktiven Bodenpolitik sein. Die Gemeinde nimmt somit über die Zonenvorschriften hinaus eine aktive Rolle auf dem Markt ein mit dem Ziel, dass Boden möglichst zeitnah für eine gewünschte Nutzung bereitsteht. Damit steuert die Gemeinde die eigene räumliche Entwicklung in eine angestrebte Richtung.  

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Das Investitionskonzept deckt die beiden vom Charakter her sehr unterschiedlichen Ortsteile von Sulz (im Bild) und Laufenburg ab. Die beiden Gemeinden haben 2010 fusioniert.
Bild: Florian Inneman, EspaceSuisse

Von der Selbst- und Fremdwahrnehmung

Laufenburg verfolgt also nicht nur mit dem Investitionskonzept, sondern auch mit dessen Umsetzung einen aussergewöhnlichen Weg. Spannend dabei ist die Selbstwahrnehmung der Fricktaler Stadt: Denn aus ihrer Sicht handelt es sich beim Altstadtkonzept nicht eigentlich um aktive Bodenpolitik, sondern einzig um ein Investitionspapier. Nichtsdestotrotz: In der laufenden Revision der Bau- und Nutzungsordnung wird das Thema Bodenpolitik aufgenommen. Für Aussenstehende wirkt es allerdings so, als ob die aktive Bodenpolitik in Laufenburg auch ausserhalb der Altstadt bereits gelebt wird. So zum Beispiel, wenn Stadtrat André Maier beiläufig erwähnt, dass die Stadt ausserhalb des Kreditrahmens des Investitionskonzepts eine Liegenschaft erworben hat, um zu verhindern, dass sich ein weiterer «Goldgräbereigentümer» in Laufenburg niederlässt. 

Es mag zwar nicht alles verschriftlicht in Konzepten festgehalten sein und auch in Laufenburg läuft nicht immer alles perfekt, aber die gelebte Praxis zeigt, dass der Stadtrat und die Verwaltung strategisch vorausschauend auf dem Bodenmarkt agieren. Dadurch kann die Gemeinde nicht nur direkt ihre Entwicklung beeinflussen und die private Initiative fördern, sondern auch unerwünschte Entwicklungen – zumindest teilweise – verhindern.  

Im Interview mit Daniel Kolb

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Dr. Daniel Kolb ist Leiter der Abteilung Raumentwicklung (Kantonsplaner) des Kantons Aargau. Foto: zvg
«Aktive Bodenpolitik hat damit zu tun, den Zufall durch aktiven Gestaltungswillen zu ersetzen»
Dr. Daniel Kolb, Leiter der Abteilung Raumentwicklung (Kantonsplaner) des Kantons Aargau

Woran liegt es, dass die aktive Bodenpolitik eher ein Nischendasein hat? 

Ich glaube, dass es eine Frage der politischen Haltung ist. Es besteht mancherorts die Meinung, dass der Eingriff in den Bodenmarkt nicht Sache des Staates ist und sich dieser darauf beschränken soll, die zonen- und baurechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen.  

Die Gemeinde Laufenburg hat ihr eigenes Konzept einer aktiven Bodenpolitik. Ist Laufenburg eine Ausnahme oder gibt es andere Gemeinden? 

Meines Wissens verfolgen nur ganz wenige Aargauer Gemeinden eine aktive Bodenpolitik. Es ist mir auch keine Gemeinde bekannt, die ein Programm mit einem solch’ grossen Kreditrahmen wie Laufenburg beschlossen hat. Bei rund 200 Gemeinden kann ich allerdings nicht komplett ausschliessen, dass andere ähnlich aktiv sind. 

Das Geld spielt bei der aktiven Bodenpolitik eine wichtige Rolle. Was muss eine Gemeindeexekutive dabei besonders beachten? 

Zentral sind die Kompetenzsummen der Gemeindeexekutiven für den Landerwerb und diese sind je nach Gemeinde sehr unterschiedlich geregelt. Wenn es um Landerwerb geht, ist schnelles Handeln gefragt. Wenn man dann zunächst noch einen Beschluss der Gemeindeversammlung abwarten muss, ist die Gemeinde verglichen mit Privaten oft zu langsam.  

«Wenn es um Landerwerb geht, ist schnelles Handeln gefragt.»
Dr. Daniel Kolb, Leiter der Abteilung Raumentwicklung (Kantonsplaner) des Kantons Aargau

Ist es nicht riskant für eine kleine Gemeinde, wenn sie Geld in Landkäufe investiert?

Oft ist die Meinung vorhanden, man gebe beim Landerwerb Geld aus und dies sei dann weg. Dabei ist das Geld einfach anders angelegt: Mit dem Land besteht ein Gegenwert. Natürlich muss man beim Landkauf aufpassen. Die aktive Bodenpolitik einer Gemeinde muss klar im öffentlichen Interesse liegen und sorgfältig passieren.  

«Die aktive Bodenpolitik einer Gemeinde muss im öffentlichen Interesse liegen.»
Dr. Daniel Kolb, Leiter der Abteilung Raumentwicklung (Kantonsplaner) des Kantons Aargau

Also ermöglicht eine aktive Bodenpolitik mehr Handlungsspielraum? 

Davon bin ich überzeugt. Es geht ja darum, öffentliche Interessen umzusetzen. Private verfolgen primär einmal – und das ist legitim – ihre eigenen Interessen. Wenn eine Gemeinde feststellt, dass im öffentlichen Interesse irgendwo ein Vorhaben realisiert werden soll, braucht sie Land. Entsprechend wird der Handlungsspielraum mit einer aktiven Bodenpolitik grösser. 

Können Sie das konkretisieren?

Schulhausbauten sind aufgrund der Bevölkerungsentwicklung verbreitet nötig. Ist bekannt, dass eine Schule erweitert werden muss, kann es für eine Gemeinde schwierig sein, Land günstig zu kaufen. Manche Private nutzen die Notlage der Gemeinde aus. Kann eine Gemeinde selbst Land einbringen, wäre allenfalls auch ein Landabtausch eine gute Lösung. Ein anderes Thema bei der Landpolitik ist die Wirtschaftsförderung. Wenn ortsansässige Betriebe erweitern oder sich neue Unternehmen ansiedeln möchten, kann die öffentliche Hand mit eigenen Landangeboten ganz anders reagieren. Sonst ist sie darauf angewiesen, dass Private verkaufen wollen. Dadurch ist noch ein weiterer Akteur im Spiel, der vor allem auf die eigenen Interessen schaut. Sowohl KMU als auch Grossfirmen wollen in der Regel bei einem Standortentscheid nach zwei bis drei Jahren den Betrieb aufnehmen – da kann es entscheidend sein, wenn die öffentliche Hand eigene Grundstücke einbringen kann, die erschlossen respektive baureif sind.  

Sie haben primär von öffentlichen Nutzungen und von Wirtschaftsförderung gesprochen. Wie sieht es beim Wohnungsbau aus?  

Beim Wohnraum sind vor allem die Diversität und der bezahlbare Wohnraum zunehmend wichtig. Ein guter Bevölkerungsmix liegt im öffentlichen Interesse – sei dies zum Beispiel im Hinblick auf Wohnungsgrösse und Art der Wohnung – Eigentum oder Miete. Wenn eine Gemeinde hier nur mit einer Vorschrift in der Bau- und Nutzungsordnung agiert, hat dies weniger Wirkung, als wenn sie selbst Land anbieten und den Wohnbauträger auswählen kann. Oder aber man tritt, wie in Laufenburg, selbst als Bauherr auf und kann so direkt über das Angebot bestimmen.  

Und aus Ihrer Optik entsteht ein entsprechendes Angebot nicht von allein durch den privaten Markt? 

Der private Markt ist verständlicherweise oft auf eine maximale Rendite und nicht unbedingt auf einen vielfältigen Angebotsmix ausgerichtet. Wenn sich beispielsweise ein Standort besonders gut für altersgerechtes Wohnen eignet und man den Markt spielen lässt, ist es Zufall, ob auch ein entsprechendes Wohnraumangebot entsteht. Aktive Bodenpolitik hat damit zu tun, den Zufall durch aktiven Gestaltungswillen zu ersetzen. Wenn eine Gemeindebehörde aktiven Gestaltungswillen hat, dann kann sie diesen mit eigenem Land viel wirkungsvoller umsetzen.  

Ist eine aktive Bodenpolitik eine Frage der Gemeindegrösse? 

Nein, es ist ein Irrtum, wenn man meint, dass dies nur für grosse Gemeinden ein Thema sei. Handlungsbedarf besteht in allen Gemeinden. Wichtig ist, dass eine Gemeinde auf ihre Verhältnisse massgeschneiderte Werkzeuge hat und entsprechend agiert. In Gemeinden kann man nicht mit dem Vorschlaghammer etwas erzwingen. Öffentliche Akzeptanz ist unumgänglich, zumal es am Ende um Steuergelder geht. Eine Gemeindeexekutive muss wissen, dass die Stimmberechtigten ihr den Rücken stärken.  

«Es ist ein Irrtum, dass die aktive Bodenpolitik nur für grosse Gemeinden ein Thema sei.»
Dr. Daniel Kolb, Leiter der Abteilung Raumentwicklung (Kantonsplaner) des Kantons Aargau
Die aus der aktiven Bodenpolitik des Kantons Solothurn entstandene Entwicklung auf dem Attisholz-Areal in Riedholz strahlt über die Grenzen des Kantons hinaus.
Foto: Annemarie Straumann, EspaceSuisse

Wir haben bisher von der Gemeindeebene gesprochen. Verfolgt eigentlich der Kanton Aargau eine aktive Bodenpolitik? 

Es wird zunehmend ein Thema, vor allem in den Bereichen Infrastruktur und Wirtschaftsförderung. Aber es gibt bis heute kein Programm, keine politische Strategie. 

Hat die Entwicklung des Attisholz-Areals im Kanton Solothurn mit der Unternehmensansiedlung wachgerüttelt? 

Ja, das Fallbeispiel Attisholz strahlt klar über die Kantonsgrenze hinaus. Der Kanton Aargau hat kürzlich im Sisslerfeld im Fricktal sechs Hektaren Land gekauft – nicht zu Spekulationszwecken, sondern um die Gebietsentwicklung zu fördern. Beim Sisslerfeld handelt es sich um die grösste Arbeitsplatzzone des Kantons und somit um einen Entwicklungsschwerpunkt von kantonalem Interesse. Der Kauf war aber eine Ausnahme. Nun wird genau hingeschaut, wie sich dies auswirken wird.  

Unterstützt der Kanton die Gemeinden in Fragen der aktiven Bodenpolitik? 

Wir können nur durch Beratung unterstützen und haben sonst keine aktiven Fördermittel. Dies geschieht innerhalb der üblichen Kontakte mit der Gemeinde, zum Beispiel im Rahmen von Ortsplanungen. Darüber hinaus bestehen keine speziellen Beratungsangebote. Im Rahmen von Planungen kann der Kanton eine gewisse finanzielle Unterstützung leisten, zum Beispiel für Wettbewerbe, aber da geht es nicht primär um die aktive Bodenpolitik.  

Mit welchen Argumenten würden Sie eine Gemeinde von der aktive Bodenpolitik überzeugen?  

Aktive Bodenpolitik schafft einen Mehrwert und Handlungsspielraum bei der Umsetzung öffentlicher Interessen. Auf dem Papier gibt es viele hehre Grundsätze und Ideen. Die aktive Bodenpolitik bietet die Möglichkeit, diesen Zielen näher zu kommen und sie umzusetzen.  

Interview: Florian Inneman 

Inforaum-3/202: z.B. Laufenburg AG

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