Wohnbaugenossenschaft Linde schafft bezahlbaren Wohnraum

In Steckborn, einem hübschen Städtchen am Bodensee sind wie in vielen anderen attraktiven Regionen der Schweiz die Wohnkosten in den letzten Jahren gestiegen. Dem wollte die Stadtregierung entgegenhalten und so gründete sie die Wohnbaugenossenschaft Linde, um der Bevölkerung zahlbaren, zeitgemässen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Wie ist die Stadt vorgegangen? Wo lagen die Stolpersteine und was können andere Gemeinden daraus lernen?
Heidi Haag, Geografin und Raumplanerin, Leiterin Siedlungsberatung EspaceSuisse
Die WG Linde in Steckborn fügt sich ins Dorfbild ein. Finden Sie die Überbauung? Foto: Markus Hägi

Schon wenige Schritte vom Bahnhof Steckborn TG entfernt sind die ersten Häuser der Wohnbaugenossenschaft (WOBA) Linde sichtbar: dezente drei- bis vierstöckige Gebäude, die Fassaden mit grauen Schiebeläden. Schnell fällt auf, dass die Siedlung nicht protzt. So bleibt auch der Ausblick von den benachbarten Häusern her auf die unmittelbar anschliessende Altstadt weitgehend gewährt. In der nordöstlichen Ecke des Areals, direkt neben dem gesicherten Bahnübergang, steht die unter Schutz stehende, namengebende alte Linde. Diese wurde während der gesamten Bauzeit sorgfältig vor Beschädigungen behütet. Gregor Rominger, ehemaliger Stadtrat (Stadtregierung) und Präsident der WOBA Linde, führt durch das Areal und erzählt die fast zehnjährige Entstehungsgeschichte. Er freut sich über das Resultat: «Wir haben eine tolle Stimmung in der Siedlung. An schönen Abenden und Wochenenden treffen sich viele Bewohner in unserem Innenhof.»

Keine Tradition, trotzdem begehrt

Eigentlich haben Wohnbaugenossenschaften in der Stadt Steckborn mit ihren rund 4'000 Einwohnerinnen und Einwohnern keine grosse Tradition. Dennoch sind von den 48 2,5- bis 5,5-Zimmer-Wohnungen bis auf zwei aktuell alle vermietet. Aufgeteilt auf vier Gebäude gruppieren sie sich um einen attraktiv gestalteten Innenhof.

In einem Teil der Erdgeschosse sind öffentliche und gewerbliche Nutzungen untergebracht: ein Tauchshop, ein Yogastudio, eine Physiotherapie, ein Gärtnereibetrieb sowie ein Posten der Kantonspolizei Thurgau mit zwölf Arbeitsplätzen. Letzterer ist für die Genossenschaft ein sicherer Wert, da die Miete zuverlässig eintrifft und im öffentlichen Innenhof die Gefahr von Vandalismus oder übermässigem Lärm etwas reduziert wird. Das geplante Ärztezentrum konnte bisher nicht realisiert werden, möglicherweise muss eine alternative Nutzung gefunden werden. Ziel der WOBA Linde war es, für die nächsten Jahrzehnte bezahlbaren, altersdurchmischten Wohnraum anzubieten. Deshalb wurden bewusst auch grosse Familienwohnungen erstellt.

Ein weiter Weg vom Landkauf bis zum verbindlichen Gestaltungsplan

Aber der Reihe nach: Schon 2006 erwarb die Stadt Steckborn das 8’300 Quadratmeter grosse Areal von der Kirch- und der Schulgemeinde. Zwischen Bahnhof, Altstadt, Schule und Pflegeheim gelegen, besitzt es eine hohe strategische Bedeutung für die zukünftige Stadtentwicklung.

Nach einer Phase des Stillstands entschied sich der Stadtrat 2012, eine breite, schriftliche Bevölkerungsumfrage durchzuführen. Das Ziel war, die Nutzungsbedürfnisse der stimmberechtigten Bevölkerung Steckborns für dieses Areal auszuloten. Die Ergebnisse waren deutlich: So wünschte die grosse Mehrheit, das Land im Besitz der Gemeinde zu behalten, die Erstellung von langfristig bezahlbarem und altersdurchmischtem Wohnraum, sowie Räume für gewerbliche Nutzungen und Dienstleistungen.

In einem zweistufigen internationalen Architekturwettbewerb erkor die Jury 2014 das Projekt «Fiorino» eines Architekten- und Landschaftsarchitektenteams aus Zürich. Die Stimmbevölkerung hiess ein Jahr später die nötige Umzonung von einer Zone für öffentliche Bauten und Anlagen in eine Wohn- und Gewerbezone WG3 gut. Um die im Richtprojekt erarbeiteten und von der Stadt als Grundeigentümerin gewünschten Qualitäten von Architektur, Aussenraum, Durchlässigkeit, Nutzung und Energieeffizienz grundrechtlich zu sichern, wurde 2017 ein grundeigentümerverbindlicher Gestaltungsplan erarbeitet.

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Die angrenzende Bahnlinie...
Quelle: Bundesamt für Landestopografie swisstopo/EspaceSuisse
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... sowie die Strassen geben die städtebauliche Lösung vor: eine offene Blockrandbebauung. Bild: René Haag
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Die Dachlandschaft zeigt es: Die WG Linde hat die Zeichen der Zeit erkannt und leistet ihren Beitrag zur
Energiewende.
Foto: René Haag

Wohnbaugenossenschaft und Baurechtsvertrag

Die ansässige Steckborner Wohnbaugenossenschaft konnte die Siedlung «Fiorino» aus ressourcengründen nicht realisieren, deshalb musste eine neue Genossenschaft geschaffen werden. Um speditiv vorwärtszukommen, gründeten die sieben Stadträte 2015 als Privatpersonen die WOBA Linde. Dafür musste jede Person mindestens einen Anteilschein à 500 Franken kaufen. Die Stadt Steckborn schloss darauf mit der neuen WOBA Linde einen Baurechtsvertrag für die Dauer von mindestens 60 Jahren ab. Sie hatte damit auch die Gewähr, dass dieses zentral gelegene Grundstück im Sinne der qualitätsvollen Innenentwicklung bebaut wird. Die Eckpunkte: Die Wohnungen müssen keinen Profit abwerfen (Kostenmiete). In der neuen Tiefgarage sollten den Bewohnern des benachbarten historischen Stadtkerns 20 Parkplätze zur Verfügung stehen. Ausserdem wurde vereinbart, dass die Stadt als Grundeigentümerin die bisherigen Wettbewerbs- und Planungskosten nur dann übernimmt, wenn das Richtprojekt weitgehend umgesetzt wird. Der Baurechtszins beläuft sich auf rund 60'000 Franken pro Jahr. Dies überzeugte: Im Juni 2016 stimmte die Bevölkerung dem Baurechtsvertrag schliesslich mit über 60 Prozent Ja-Stimmen zu.

Finanzierung als Knacknuss

Das Architektenteam schätzten den Kostenvoranschlag für das Richtprojekt «Fiorino» auf 29 Millionen Franken. Mit ihrem ersten Finanzierungsvorschlag, den die Mitglieder der WOBA Linde – also die sieben Stadträte – der Stimmbevölkerung 2017 vorlegten, erlitten sie sodann einen herben Rückschlag: Die gut besuchte Gemeindeversammlung lehnte das Finanzierungskonstrukt ab. Die Stadt hätte bei der Pensionskasse der Kantons Thurgau einen 10-Millionen-Kredit aufgenommen und diesen der WOBA Linde als Darlehen weitergegeben. Der Rest hätte über Bankkredite finanziert werden sollen. «Wir waren wohl etwas zu sicher und im Vorfeld zu wenig transparent», kommentiert Rominger diese, damals schmerzliche Niederlage. Im Nachhinein ist man bei der WOBA Linde froh über dieses Nein.

Nachdem sich der Vorstand von seinem Rückschlag erholt hatte, machte er sich umso engagierter daran, weitere Kosten einzusparen sowie alternative Finanzquellen zu suchen. Zu diesem Zeitpunkt kam ein lokal ansässiger Totalunternehmer ins Spiel, der vom Lindeprojekt überzeugt war. Er rechnete nochmals alles durch und schlug einige Sparmassnahmen vor, die gemäss Rominger die Qualität nicht wesentlich beeinträchtigten. Sein Angebot: Er würde die Wohnsiedlung Linde für 26 Millionen Franken bauen.

Aufwändige Suche nach Kapital

Aber auch diesen Betrag aufzutreiben, war eine Herkulesaufgabe. Die Genossenschaft verfügte Mitte 2018 noch kaum über Eigenkapital. Hundert verkaufte Genossenschaftsscheine brachten 50'000 Franken ein. Zwar waren zu diesem Zeitpunkt gemäss Rominger bereits 39 Wohnungen reserviert, aber die Wohnungsanteilscheine über knapp 500'000 Franken konnten den zukünftigen Mietern noch nicht verrechnet werden.

Der Vorstand führte unzählige Gespräche mit potenziellen Geldgebern, um diese von der Qualität des Leuchtturmprojekts für Steckborn zu überzeugen. Zudem suchte er Unterstützung beim Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) und bei der Stiftung Solidaritätsfonds der Wohnbaugenossenschaften Schweiz (siehe auch «Im Interview»). Beiden Institutionen gefiel das Vorhaben. Sie versprachen je ein zinsgünstiges Darlehen.

Der Vorstand führte unzählige Gespräche mit potenziellen Geldgebern
Heidi Haag, Geografin und Raumplanerin, Leiterin Siedlungsberatung EspaceSuisse

Der Fonds de Roulement des BWO sprach 675'000 und der Solidaritätsfonds 450'000 Franken. Und auch die hauptsächlich von Baugenossenschaften sowie Banken und anderen juristischen Personen getragene Hypothekar-Bürgschaftsgenossenschaft garantierte ein zinsgünstiges Bankdarlehen über zwei Millionen Franken. Die Prüfung und Gutheissung des Projekts durch den Bund hatte Signalwirkung: Insgesamt gaben verschiedene Private Darlehen im Umfang von rund 3,5 Millionen Franken.

Damit die Banken ein Genossenschaftsprojekt mitfinanzieren dürfen, müssen mindestens fünf Prozent der Projektkosten als «hartes Eigenkapitel» gesichert sein. Die WOBA Linde erreichte diese Limite mit den Genossenschafts- und Wohnanteilscheinen und weiteren Anteilscheinen grösseren Umfangs von Privaten. Somit verfügte die WOBA Linde über genügend Kapital, um die restliche Finanzierung über eine Bank sicherzustellen. Da man mit lokalen Banken nicht handelseinig wurde, nahm die WOBA Linde schliesslich bei der Luzerner Kantonalbank einen Kredit über 18 Millionen Franken auf. Damit konnten die Bauarbeiten starten.

Richtprojekt weitgehend umgesetzt

Der Spatenstich für die Wohnsiedlung Linde erfolgte im November 2018 und ab Oktober 2020 zogen die ersten Mieterinnen und Mieter ein. Das realisierte Projekt entsprach architektonisch und in Bezug auf die Grün- und Freiraumgestaltung weitgehend den angestrebten Qualitäten des im Wettbewerb erarbeiteten Richtprojekts – dies obwohl man sich im Laufe des Finanzierungsprozesses sowohl vom Architekten als auch vom Landschaftsarchitekten getrennt hatte.

Für die Qualitätssicherung sorgten nach wie vor drei Punkte: der eigentümerverbindliche Gestaltungsplan, der Baurechtsvertrag mit der Verpflichtung, das Richtprojekt umzusetzen, sowie der starke Wille des Vorstands, auf diesem strategisch wichtigen und heiklen Areal am Rande des historischen Städtchens mit seinem Ortsbild von nationaler Bedeutung etwas Hochwertiges zu realisieren.

Hochwertig und wohltuend überraschend ist der abwechslungsreiche sowie vielfältig bepflanzte und nutzbare Innenhof. Auch dieser wurde getreu nach dem Gestaltungsplan umgesetzt und wird laut Rominger vom dafür ausgebildeten Hauswart auch fachgerecht gepflegt. Bei der Gestaltung wurde speziell darauf geachtet, dass zukünftige, grosskronige Schattenbäume nicht über der Tiefgarage zu stehen kommen, sondern die Chance haben, ihre Wurzeln tief im Erdreich zu verankern. Es gibt kurzgemähte Spielwiesen, aber auch Wildblumenwiesen. Es wird aber noch ein bis zwei Jahre dauern, bis sich die Wildblumen richtig entfalten können. Dass sich die Bewohnerinnen und Bewohner am Innenhof freuen, beobachtet Rominger oft an den Wochenenden, wenn grilliert, gespielt und gegärtnert wird. Sowohl in den privat zugeteilten als auch in den allgemeinen Pflanzbeeten spriessen erstes Gemüse und Beeren. Ein Anziehungspunkt für Kinder ist der grosse Brunnen.

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Während der Innenhof zum Verweilen und Spielen einlädt …
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… heisst es bei der Strassenquerung zur Schule «luege, lose, laufe» (Tempo 50).
Vielfalt statt Raseneinöde: Gemähte Flächen wechseln sich mit Blumenwiesen ab. Fotos: Florian Inneman, EspaceSuisse

Vermietete Dächer

Die Energieeffizienz nahm schon zu Beginn der Planung einen hohen Stellenwert ein. Eine geplante Photovoltaik-Anlage konnte die WOBA Linde aus Kostengründen vorerst nicht realisieren. Die Dächer blieben aber nicht ungenutzt: Sie werden heute vermietet. Der Solarstrom-Pool Thurgau installierte auf den vier Dächern insgesamt fast 1000 Quadratmeter Solarpanels, die knapp 200 Kilowatt-Peak Leistung erzeugen.

Der in den Statuten der WOBA vorgesehene Mietermix und die Belegungsvorschriften sind noch nicht vollumfänglich erfüllt. Rominger erwartet jedoch, dass sich dies bei den Wohnungen mit der Zeit einpendelt. Der Bedarf an Gewerbeflächen würde Rominger ein nächstes Mal vor Baubeginn mit verbindlichen Verträgen fixieren. Aber genauso wie die Pflanzen auf dem Areal der WOBA Linde noch einige Jahre brauchen, bis sie ihre grüne Pracht entwickelt haben, so dauert es in der Regel auch bei Wohn- und Gewerberäumen etwas, bis sich eine stabile Mieterschaft gebildet hat.

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Die Dächer werden für Photovoltaikanlagen vermietet.
Bild: René Haag

Welches waren die Erfolgsfaktoren?

Verschiedene Faktoren trugen gemäss Gregor Rominger von der WOBA Linde zum guten Gelingen dieses genossenschaftlichen Projektes bei. Dazu zählen beispielsweise:

  • der Entscheid des Stadtrats, über seine aktive Bodenpolitik im Jahre 2006 das Lindenareal zu erwerben;
  • ein hervorragender Bauverwalter, der den Stadtrat über Jahrzehnte in den schwierigen Planungsprozessen unterstützt hat;
  • der Stadtrat, der als Ganzes von der Idee überzeugt war, bezahlbaren Wohnraum für Menschen zu realisieren, die ihren Wohnsitz in Steckborn haben möchten;
  • eine offene Bevölkerung, die sich an der Urne mehrmals positiv, aber im richtigen Moment auch kritisch zum Vorhaben geäussert hat;
  • begeisterte Personen mit viel Ausdauer, die mit unermüdlichen Gesprächen potenzielle Geldgeber vom Projekt vollumfänglich zu überzeugen vermochten.

Im Interview mit Lea Gerber

(Interview : Monika Zumbrunn)

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Lea Gerber ist Leiterin Politik und Grundlagen beim Verband Wohnbau- genossenschaften Schweiz, dem Verband der gemeinnützigen Wohnbauträger.
Foto: zvg
«Genossenschaften kommen dort zum Zug, wo es eine Lücke gibt»
Lea Gerber, Leiterin Politik und Grundlagen beim Verband Wohnbaugenossenschaften Schweiz

Lea Gerber, es scheint derzeit einen Boom zu geben: Überall werden Wohnbaugenossenschaften gegründet. Stimmt der Eindruck?

In der Tat machen wir viele Gründungsberatungen. In gewissen Regionen wurden reihenweise Wohnbaugenossenschaften gegründet, in der Romandie zum Beispiel. Einen eigentlichen Boom machen wir aber nicht aus. Vielleicht entsteht der Eindruck eines Booms wegen der erhöhten Aufmerksamkeit, denn es wird mehr über den gemeinnützigen Wohnungsbau gesprochen als auch schon.

Warum kam es zu so vielen Gründungen in der Romandie?

Das liegt am Nachholbedarf und an den Fördermassnahmen. In Genf zum Beispiel ist der Marktanteil der Wohnbaugenossenschaften mit vier Prozent sehr tief für einen Stadtkanton. Heute hat Genf eine starke Genossenschaftsszene, und die Politik fördert den gemeinnützigen Wohnungsbau stark.

Vor allem in der Romandie wurden in den letzten Jahren viele Wohnbaugenossenschaften gegründet. Im Bild: eine Siedlung der Genfer Genossenschaft Equilibre.
Foto: Annik Wetter

Aber auf dem Land können Wohnbaugenossenschaften nach wie vor kaum Fuss fassen?

Doch. In den letzten Jahren entstanden auch auf dem Land viele Genossenschaftsprojekte. Wenn wir aber den Bestand anschauen, dann sind Genossenschaften ein eher städtisches Phänomen. Es gibt zehn Mal so viele Genossenschaftswohnungen in der Stadt wie auf dem Land.

Woher kommt das?

Das ist historisch bedingt. In der Stadt ist der Leidensdruck höher, die Wohnungsnot war schon vor 100 Jahren gross. Wohnbaugenossenschaften entstanden als Selbsthilfemassnahme aus Arbeiterkreisen – häufig auch mit Unterstützung der Arbeitgeber. Heute geht es oft darum, auf die veränderten gesellschaftlichen Bedürfnisse, etwa auf neue Wohnformen, einzugehen oder besonders nachhaltig zu bauen und zu wohnen. Auf dem Land florieren vor allem genossenschaftliche Alterswohnbau- oder Mehrgenerationenprojekte, denn häufig fehlt es an Alterswohnungen.

Könnte es auch an der Finanzierung liegen, die nicht ganz einfach ist, wie das Beispiel Steckborn zeigt?

Die Finanzierung ist für neu gegründete Genossenschaften sicher eine Hürde, insbesondere im ländlichen Raum. Deshalb sind die Förderinstrumente und die finanziellen Starthilfen für solche Projekte so wichtig. Dafür setzen wir uns auch politisch ein. Eine fast noch höhere Hürde ist der Zugang zu bezahlbaren Arealen. Unsere Mitglieder können häufig nur noch wachsen, wenn sie von der öffentlichen Hand Land im Baurecht erhalten.

Kritiker beklagen, dass das genossenschaftliche Bauen den Markt verzerre wegen der vorteilhaften Bedingungen, die beispielsweise das Baurecht bietet.

Den Genossenschaften wird häufig vorgeworfen, dass ihre Wohnungen wegen den Förderinstrumenten so günstig seien. Das ist ein Vorurteil und stimmt nicht. Der grosse Unterschied ist der Verzicht auf einen Gewinn: Unsere Mitglieder verrechnen eine Kostenmiete und keine Marktmiete. Andere Förderinstrumente wie der Fonds de Roulement umfassen ein zinsgünstiges Darlehen – derzeit mit einem Prozent verzinst. Diese Darlehen sind wichtig, um das Eigenkapital aufbringen zu können.

Aber Land im Baurecht mit tieferem Baurechtzins lässt sich durchaus als versteckte Subvention sehen.

Auch dort muss man genau hinschauen. Land im Baurecht ist meist an viele Auflagen geknüpft, allen voran darf man keinen Gewinn machen – ein enormer Unterschied zum sogenannten freien Markt. Das geht oft vergessen. Neben der Kostenmiete gibt es andere Bedingungen, häufig sind es Belegungsvorschriften für die Wohnungen oder dass ein Architekturwettbewerb durchgeführt werden muss. Oft werden auch Infrastrukturen wie Kindergärten oder bestimmte Energiestandards gefordert. Land im Baurecht ist ein Geben und ein Nehmen.

«Land im Baurecht ist ein Geben und ein Nehmen.»
Lea Gerber, Leiterin Politik und Grundlagen beim Verband Wohnbaugenossenschaften Schweiz

Was ist interessanter aus Sicht der Genossenschaften: Land im Baurecht zu übernehmen oder Land zu kaufen?

Die meisten Genossenschaften ziehen den Kauf vor, vor allem alteingesessene Genossenschaften mit gutem finanziellem Polster. Bei Neugründungen ist das Baurecht interessant, weil noch nicht so viel Eigenkapital vorhanden ist.

Sie wehren sich gegen die Kritik, bevorzugt auf dem Immobilienmarkt auftreten zu können. In welcher Rolle sehen sich die Genossenschaften?

Hauptaufgabe ist, langfristig preisgünstigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Gerade in Städten oder in Quartieren, die sich entwickeln und wo die Mieten steigen, sorgt eine Wohnbaugenossenschaft dafür, dass auch Leute mit kleinem Portemonnaie wohnen bleiben können. Darüber hinaus geht es auch darum, eine lebendige Nachbarschaft zu schaffen, und es geht um Mitbestimmung.

Wohnbaugenossenschaften bemühen sich, nachhaltig zu planen und zu bauen. Woher kommt diese Einstellung?

Spannend ist, dass Genossenschaften schon immer sparsam mit der Fläche umgingen. Früher vor allem, um Kosten zu sparen. Heute geht es auch um Suffizienz. Es ist sinnvoll, den privaten Wohnraum zu reduzieren und weitere Räume gemeinschaftlich zu nutzen. Man teilt eine gewisse Infrastruktur wie Büroräume, Gästezimmer oder Gemeinschaftsräume für Feste.

«Genossenschaften gingen schon immer sparsam mit der Fläche um»
Lea Gerber, Leiterin Politik und Grundlagen beim Verband Wohnbaugenossenschaften Schweiz

Aus welchen Gründen entscheidet sich eine Gemeinde dafür, den gemeinnützigen Wohnungsbau zu unterstützen oder zu fördern?

Das ist sehr unterschiedlich. Reiche Gemeinden der Zürcher Goldküste beispielsweise werden aktiv, weil sie bewusst Wohnraum für Berufsleute schaffen wollen, die sie brauchen – Lehrerinnen zum Beispiel oder Pfleger. Grundsätzlich aber kommen Genossenschaften dort zum Zug, wo es eine Lücke gibt, bei den erwähnten Alterswohnungen zum Beispiel oder beim Mehrgenerationenwohnen. Es fällt zudem auf, dass Genossenschaften oft die Funktion haben, ein Quartier zu beleben. Bei solchen Projekten geht es nicht darum, dass ein Investor ein paar Wohnungen hinstellt, sondern ein Zentrum gefragt ist mit einem Café oder mit Familienwohnungen.

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Klärt eine Gemeinde ihre Bedürfnisse nach Wohnraum gut ab, ergibt dies ein gutes Fundament für die weitere Siedlungsentwicklung.
Quelle: klotzgotv.com, Printscreen Minecraft

Aber das kann ja auch der freie Markt umsetzen. Die Gemeinde muss nur entsprechende Bedingungen stellen.

Ja, das stimmt, aber in der Regel nicht zu diesem Preis. Gewinnorientierte Investoren engagieren bisweilen Siedlungscoaches, die das Miteinander unter der Mieterschaft fördern. In Genossenschaften basiert vieles auf Freiwilligenarbeit. Das Bedürfnis des Miteinanders liegt in der DNA der Genossenschaft.

«Das Bedürfnis des Miteinanders liegt in der DNA der Genossenschaft.»
Lea Gerber, Leiterin Politik und Grundlagen beim Verband Wohnbaugenossenschaften Schweiz

In unserem Beispiel aus Steckborn gründeten die sieben Stadtratsmitglieder als Privatpersonen eine Genossenschaft, um zügig vorwärts zu kommen. Ist das zu empfehlen?

Das ist wohl eher eine Ausnahme, aber es gibt immer wieder Fälle, in denen Gemeindevertreter direkt involviert sind, vor allem bei Projekten zum Wohnen im Alter in ländlichen Gemeinden. Als Verband begrüssen wir dies.

Welche Massnahme ist besonders wichtig, wenn eine Gemeinde den preisgünstigen Wohnungsbau fördern will?

Das Wichtigste betrifft den Boden: Wenn eine Gemeinde Land hat oder Land kaufen kann, soll sie’s an Genossenschaften abgeben. Damit kann sie auf die Wohnprojekte Einfluss nehmen und die Siedlungsentwicklung steuern. Ausserdem kann sie bei der Finanzierung unterstützen, indem sie ein Darlehen gewährt oder Anteilscheine zeichnet.

Genossenschaftlicher Wohnungsbau

In der Schweiz gibt es rund 2000 gemeinnützige Bauträger, gemeinsam besitzen sie mehr als 185'000 Wohnungen – das sind rund fünf Prozent des Schweizer Wohnungsmarkts. Die beiden Dachverbände der gemeinnützigen Wohnbauträger, Wohnbaugenossenschaften Schweiz und Wohnen Schweiz, unterstützen ihre Mitglieder mit Finanzierungshilfen, Beratung oder Weiterbildung.

Wohnbaugenossenschaften Schweiz: wbg-schweiz.ch

Verband der Baugenossenschaften: wohnen-schweiz.ch

Trotz Wachstum in den letzten Jahren spielen die Wohnbaugenossenschaften auf dem Schweizer Mietwohnungsmarkt eine kleine Rolle.
Quelle: Bundesamt für Statistik BFS/angepasst durch EspaceSuisse

Eine gute Planung kostet. In Steckborn hat die Gemeinde diese vorfinanziert. Ist es heutzutage überhaupt noch möglich, eine Baugenossenschaft zu gründen, ohne dass die Gemeinde mithilft?

Ja, das gibt es immer wieder. Aber es ist tatsächlich sehr schwierig, Geld für die Projektplanung aufzubringen, bevor die Sicherheit eines Baurechtsvertrages vorliegt. Unser Verband unterstützt deshalb Genossenschaften mit A-fonds-perdu-Beiträgen aus dem Solidaritätsfonds, der durch freiwillige Beiträge der Mitglieder gespiesen wird.

Was sollten ländliche Gemeinden besonders beachten, um den Genossenschaftsbau zu fördern?

Sehr wichtig ist, die Bedürfnisse der Gemeinde gut abzuklären, bevor etwas geplant wird. Steckborn zum Beispiel hat eigens eine Umfrage gemacht. Dann sollte man das Rad nicht immer neu erfinden. Vielleicht gibt es ja bereits Genossenschaften in der Umgebung, mit denen man zusammenarbeiten kann.

 

Interview : Monika Zumbrunn

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Auf dem Land kommen Wohnbaugenossenschaften vor allem zum Zug, wenn es einen Mangel gibt – zum Beispiel an Alterswohnungen. Die Alte Drogerie in Trogen AR ist heute ein Mehrgene- rationenhaus.
Foto: Michele Limina

Raumplanerische Instrumente zur Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus

Städten und Gemeinden steht eine Palette an Möglichkeiten zur Verfügung, um eine aktive Wohnungspolitik nach ihren Bedürfnissen zu betreiben.

  • Vorgeschriebene Zonen mit bestimmten Anteilen an preisgünstigen Wohnungen in der (Sonder-)Nutzungsplanung
  • Nutzungsprivilegien als Anreiz, z. B. eine erhöhte Ausnützungsziffer
  • Bauverpflichtung und Kaufrecht
  • Kommunaler Wohnungsbau
  • Gründung eines gemeinnützigen Bauträgers
  • Abgabe von kommunalem Land an gemeinnützige Bauträger
  • Darlehen/Beiträge an gemeinnützige Bauträger
  • Mietzinsbeiträge an Mieter in bescheidenen finanziellen Verhältnissen

Quelle: BWO/«Preisgünstiger Wohnraum. Ein Baukasten für Städte und Gemeinden»; EspaceSuisse

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