Die Warmbächlibrache belebt das Quartier Holligen in Bern

Die Warmbächlibrache in Bern, gemäss dem Verein Warmbächli die «lieblichste Steinwüste der Stadt», wurde zum Leben erweckt. Die Stadt baute 2015 die ehemalige Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) zurück und gab das Areal zur Zwischennutzung frei. Danach organisierte und koordinierte der Verein 2016–2018 Aktivitäten und Anlässe auf der Brache. Die Zwischennutzung war ein voller Erfolg: Viele Projekt bereicherten das Quartierleben von Holligen. Und überdies länger als erwartet: Zweimal wurde die Zwischennutzung verlängert. Aus drei Jahren wurden fünf.

Die Bauten im Berner Quartier Holligen gelten als überaltert. Dafür bieten sie günstigen Wohnraum, von dem zahlreiche Studierende, Ausländerinnen und Ausländer und Familien mit kleinen Budgets profitieren. Doch die Zeichen stehen auf Umbruch: Die Stadt Bern, Grundeigentümerin des nahe gelegenen Warmbächli-Areals, liess die dort befindliche ungenutzte Kehrichtverbrennungsanlage zurückbauen. Das brachte die Verdichtung ins Rollen.

Die Warmbächlibrache war ein Ort der Offenheit. Ein einfacher Codex regelte das Zusammenleben. Foto: zVg, Verein Warmbächli

Verzögerung führt zur Vereinsgründung

Zunächst liess die Stadt das Areal von Altlasten befreien. Sie beabsichtigte, die Parzelle sechs Genossenschaften im Baurecht zu überlassen. Dann blockierten erhebliche Verzögerungen den Planungsprozess. Um die ungenutzte Brache zwischenzeitlich zu aktivieren, erteilte die Stadt der Quartierarbeit der Vereinigung Berner Gemeinwesenarbeit den Auftrag, für diese «Wunde im Quartier» eine gemeinnützige Zwischennutzung in die Wege zu leiten. Nach mehreren Workshops mit interessierten Personen wurde ein Trägerverein ins Leben gerufen. Der Verein Warmbächlibrache schloss 2015 mit der eigens gegründeten verwaltungsinternen Steuerungsgruppe einen Gebrauchsleihvertrag über das Areal ab. Der  Verein koordinierte die Zwischennutzungen und Anlässe auf der Brache, bis er seine Aktivitäten mit dem Ende der Brache im September 2020 einstellte. Dem Verein gehörten rund 70 Mitglieder an.

Eckdaten der Zwischennutzung Warmbächli

  • Adresse: Warmbächliweg 2, 3008 Bern 
  • Eigentümerin: Stadt Bern
  • Verwaltung: selbstverwaltet, Gebrauchsleihvertrag mit Immobilien Stadt Bern
  • Lage: Quartierrandlage, ca.17 km Luftlinie vom Hauptbahnhof entfernt (Karte)
  • Arealfläche: ca. 10’000 m2 (seit 2018 auf ca. 6500 m2 reduziert)
  • Nutzfläche: dito
  • Struktur: Freiflächen mit Containern und Fahrnisbauten
  • Frühere Nutzung: Kehrichtverbrennungsanlage
  • Zwischennutzungen: Kultur, Soziokultur, Gastronomie, Urban Gardening
  • Dauer: 2016–2018, danach mehrmalige Verlängerung bis September 2020
  • Transformation: genossenschaftliche Wohnsiedlung
  • Besonderes: Übertragung des Konzeptes auf den künftigen Stadtteilpark «Vor_Park»
  • Entstehung der Zwischennutzung: Initiative von Quartiergremien

Dem Trägerverein schwebte vor, unter dem Motto «Vom Quartier fürs Quartier» auf der Brache Raum für Projekte und Ideen anzubieten. Sie sollten die Lebensqualität im Quartier erhöhen und dem Warmbächliareal ein neues Gesicht geben. Dazu musste bei null begonnen werden, was Pioniergeist, viel Herzblut und ehrenamtliches Engagement erforderte. Nichts davon liess lange auf sich warten. Zahlreiche Interessierte meldeten sich, um die Möglichkeiten zu nutzen, welche die tiefe Baugrube mit ihren grossen Wasserpfützen, der Ummauerung und ihren inspirierenden Nischen bot.

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Der leere Raum diente als Inspirationsquelle für manch neue Ideen. Foto: zVg, Verein Warmbächli
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Die Bus-Stop-Bar Bar im ausgebauten Container wurde an Wochenenden und während Veranstaltungen zum zentralen Ort. Foto: zVg, Verein Warmbächli

Eine besondere Herausforderung stellte die unerlässliche Infrastruktur dar: Leitungen für Wasser und Strom mussten verlegt, Abwasser musste abgeführt werden. Bei allen Freiheiten waren die Anforderungen, die an die Baubewilligungen für eine Zwischennutzung gestellt wurden, ungewohnt rigide. So war die Platzierung der Container in den Baugesuchen punktgenau anzugeben, obwohl eine Abweichung aus baurechtlicher Sicht kaum relevante Konsequenzen mit sich gebracht hätte.

«Vom Quartier fürs Quartier»: die Brache blühte auf

Nach und nach entstanden eine Erholungszone, eine Fläche für Urban Gardening, eine Skaterrampe, ein Robinson-Spielplatz und die jeweils freitags geöffnete Bus-Stop-Bar. Die Ikone des Geländes war ein ausrangierter Linienbus der städtischen Verkehrsbetriebe. Er diente als beliebter gedeckter Aufenthaltsraum und als Gewächshaus für Kräuter und Gemüse.

Ein ausgedienter Bus erfüllte eine Doppelrolle: Er war beliebter Treffpunkt und Gewächshaus zugleich. Foto: Matthias Bürgin

Die Mauern, die das Areal begrenzen, wurden zu einem begehrten Ort für Graffitikünstlerinnen und ‑künstler: Sie durften legal besprayt werden. Die hochstehenden Werke fanden internationale Beachtung. Ein Rentner aus der Nachbarschaft fotografierte die Kunstwerke akribisch, was ihm einen Ehrenplatz in der Community einbrachte. Auch die städtische Jugendarbeit erkannte den Wert der Zwischennutzung für die Jugendkultur. Gemeinsam mit Jugendlichen entsorgte sie sie fortlaufend leere Spraydosen.

Die Streetart im Warmbächli wurde über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Da brauchte es auch Gemütlichkeit. Foto: zVg, Verein Warmbächli

Die Warmbächlibrache diente neben den Aktivitäten des Vereins Warmbächli auch diversen externen Akteuren als Veranstaltungsort: Kulturanlässe, Velorennen, Spielfeste für Kinder, Zirkusse oder das Bierfestival Zapf zogen jeweils ein grosses Publikum an.

Fortsetzung erwünscht

Durch die Zwischennutzung entstand ein qualitätsvoller Ort für das Quartier und für die Stadt. Mit dem spannenden Sammelsurium an interessanten Fahrnisbauten und erholsamen Grünräumen hätte eigentlich 2018 Schluss sein sollen. Doch die Bauträgerschaft war einverstanden, die Zwischennutzung bis zum Auffahren der Baumaschinen zu verlängern – zuerst bis Ende 2019, dann bis Sommer 2020.

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Die karge Brache generierte einen Erfindungsreichtum und schuf Erlebnisse, die bisweilen an die ferne Taiga erinnerten. Foto: zVg, Verein Warmbächli
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Das Craft-Bierfestival «Zapf 2018» vereinte 13 Kleinbrauereien und lockte über 2000 Menschen an. Foto: Simon Fässler

Auch die Behörden finden das Projekt ausserordentlich gelungen. Sie wünschten sich gar eine Weiterführung, am liebsten in der Nachbarschaft. Nur einen Steinwurf entfernt wird in den nächsten Jahren eine weitere genossenschaftliche Bebauung entstehen. Ende 2018 wurde dort der «Vor_Park» errichtet. Dieser öffentliche Park soll die Quartieridentität stärken, und zwar noch vor dem Auffahren der Bagger. Im Auftrag der Stadt Bern gestaltet, bespielt und koordiniert der Verein Warmbächli den Park.

Die Warmbächlibrache hat also Schule gemacht. Die Stadt hat das Potenzial eines offenen Freiraums zum Wohl der Quartierbevölkerung erkannt und möchte dessen Qualitäten beibehalten. In Anerkennung seiner Leistungen hat die Stadt Bern den Verein Warmbächli 2018 mit dem Berner Sozialpreis «freiwillig.engagiert» ausgezeichnet.

Zwischennutzung
Der Begriff Zwischennutzung kam im Diskurs über Freiräume in der 68er-Bewegung auf. Später entwickelten sich Kooperationen zwischen Nutzenden und Eigentümern. Heute ist der Begriff auch in der Immobilienbranche salonfähig.
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