Attisholz-Nord: Zwischennutzung als Wegbereiter zum urbanen Quartier

Ein Industriekoloss soll zum urbanen Quartier werden. Bis es soweit ist, sorgt eine Zwischennutzung für eine schrittweise Transformation. Mit einem Boulevard der Kultur wurde dem Areal neues Leben eingehaucht. Kunst-Inszenierungen folgten. Heute gilt das Gelände der ehemaligen Cellulose-Fabrik Attisholz dank Zwischennutzung als ein Zentrum für urbane Kunst. Kunstschaffende erhalten hier Raum für ihre Arbeit und ziehen Publikum an.

Eckdaten der Zwischennutzung Attisholz – Riedholz

  • Adresse: Attisholzstrasse 10, 4533 Riedholz
  • Eigentum: Halter AG, Zürich.
  • Verantwortung/Verwaltung: Halter AG, Verein BTS Etziken.
  • Lage: Fraktion der Gemeinde Riedholz, nördlich der Aare, Luftlinie Bahnhof Solothurn: 3.4 km, Karte (Kernbereich Zwischennutzung)
  • Arealfläche: Kernareal: 17 ha, Gehöfte und Landwirtschaft: 33 ha.
  • Nutzfläche: geplant: 220‘000 m2; Zwischennutzung ca. 2‘000 m2 innen, ca. 10‘000 m2 aussen.
  • Struktur: alle Raumgrössen, versiegelte Freiflächen.
  • Nutzung ehemals: Cellulose-Fabrik.
  • Zwischennutzungen: Kultur, Freizeit, Gastronomie, Büros, Lager.
  • Dauer: 5-15 Jahre.
  • Transformation: lebendiger Ortsteil mit Wohnraum, Arbeitsplätzen, Dienstleistungen und Gastronomie (Fertigstellung 2040).
  • Besonderes: unterschiedliche Typen der Zwischennutzung.
  • Start der Zwischennutzung: im Jahr 2016 mit Kunstprojekt «Kettenreaktion».

Während 130 Jahren wurde in Attisholz und Luterbach beidseits der Aare Cellulose produziert. Nach Umstrukturierungen und Besitzerwechseln musste der Betrieb 2008 seine Tore schliessen. Es folgten Überlegungen zur Entwicklung und Neupositionierung des Areals, u.a. mit einer Testplanung (vgl. ETH-Film zur Testplanung). Den südlichen Teil des Areals, Attisholz-Süd in Luterbach, sicherte sich der Kanton Solothurn und siedelte dort die Biotech-Firma Biogen an. Den nördlichen Teil des Areals erwarb Ende 2016 die Halter AG, ein Unternehmen für Bau- und Immobilienleistungen.

Generationenprojekt im Industriekoloss

Für das Nordareal bewilligte die Gemeindeversammlung von Riedholz im Jahr 2017 ein «Räumliches Teilleitbild Attisholz 2030», wonach sich das Areal «in den nächsten 20 bis 30 Jahren schrittweise zu einem lebendigen und vielseitigen Ortsteil der Gemeinde Riedholz mit vielfältigen Wohnformen, Arbeitsplätzen, Dienstleistungen, Sport- und Freizeitnutzungen, Kunst- und Kulturangeboten und Gastronomie» entwickeln» soll. Zugleich bezeichnete die Gemeinde Riedholz in ihrem «Teilleitbild» Zwischennutzungen als Initialprojekte, die nach Möglichkeit zu fördern seien.

«Zwischennutzungen sind als Initialprojekte erwünscht. In den ersten Entwicklungsetappen und nach der Öffnung des Areals sind diese nach Möglichkeit zu fördern.»
Gemeinde Rietholz, Räumliches Teilleitbild «Attisholz 2030»
Riedholz, Cellulosefabrik Attisholz beidseits der Aare
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An der Aare gelegen, harrt die aufgegebene Zellulosefabrik Attisholz einer neuen Nutzung als urbanes Quartier.
Foto: Simon Dietiker

Noch vor dem Eigentumsübergang an die Halter AG waren gegen hundert Räume für Büros, Werkstätten und Lager temporär vermietet. 2016 fand in Attisholz erstmals die dreimonatige Areal- und Kunst-Inszenierung «Kettenreaktion» mit 120 (inter)nationalen Kulturschaffenden statt. Die Öffentlichkeit entdeckte an diesem Anlass den Charme der industriellen Kolosse.

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Die Inszenierung «Kettenreaktion» des Vereins BTS hat das Areal 2016 erstmals einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Foto: z.V.g. Verein BTS
Riedholz, Attisholz Zwischennutzung Innenraum
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Auch die Innenräume wurden mit der Aktion «Kettenreaktion» inszeniert.
Foto: Mike Wolff

Austausch, Kultur und Selbstorganisation

Für die Zwischennutzung ist der gemeinnützige Verein «Beneath the Surface» (BTS) verantwortlich. Er kümmert sich um den Innenausbau, das Nutzungskonzept sowie die Verwaltung der Veranstaltungsräume. Der Verein BTS und die Halter AG haben eine Nutzungs- und Entwicklungsvereinbarung für die Räume abgeschlossen, welche der Verein befristet und unentgeltlich nutzen kann.

Nach der ersten Inszenierung «Kettenreaktion» von 2016 verlegte der Verein seinen operativen Sitz ins Areal. In enger Zusammenarbeit mit der Halter AG baute er räumliche und organisatorische Strukturen auf, um dem Areal neues Leben mittels einem Boulevard mit Kultur und Gastronomie einzuhauchen.

Riedholz, Attisholz Boulevard der Kunst
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Herzstück des Boulevards ist das Ensemble Kantine, Werkstatt und Ausstellungsraum.
Foto: Manuel Stettler
Riedholz, Attisholz Boulevard nachts
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Kantine, Werkstatt und Ausstellungsraum attraktiv beleuchtet in der Nacht.
Foto: Melanie Rüedi

Bis Mitte 2018 entstanden eine Werkstatt, eine Galerie, ein Salon, eine Kantine und ein Auditorium. Der Verein schuf damit die Grundlagen für eine Plattform zum interdisziplinären und generationenübergreifenden Austausch zwischen Kunstschaffenden und Öffentlichkeit. Sein Hauptfokus liegt auf  Urban Art. Deshalb dient auch der Aussenraum als Ort für Inszenierungen und Begegnungen. Ein angestellter Koordinator kümmert sich um alle praktischen Belange, während die meisten Veranstaltungen von Dritten durchgeführt werden.

«Der Verein BTS möchte Kunstschaffenden Begegnungsräume für Diskussionen, Veranstaltungen, Ausstellungen usw. zur Verfügung stellen. Durch dieses Engagement soll die Öffnung des Areals und dessen Bekanntheit gesteigert werden.»
Website Campus Attisholz

Der Verein BTS legt grossen Wert auf die Dokumentation seines Wirkens auf dem Attisholz-Areal und hat dazu reich bebilderte Publikationen veröffentlicht. Geplant sind Erweiterungen für Gastateliers und Wohnräume sowie die Institutionalisierung als Campus Attisholz. Mit der unabhängigen La Chiquita Bar ergänzt ein weiterer kulturell-gastronomischer Betrieb die Aktivitäten von BTS.

Im Sommer 2019 fand die «Kettenreaktion» zum zweiten Mal statt. Wiederum hatten internationale und nationale Kunstschaffende die Räume und Wände künstlerisch transformiert. Die Solothurner Zeitung bezeichnete das zwischengenutzte Attisholz jetzt als «eine der grössten Galerien, die die Schweiz je gesehen hat.»

Zwischennutzung als Wegbereiter für urbane Qualitäten

Auf dem ehemaligen Industrieareal Attisholz soll in den nächsten Jahrzehnten ein urbanes Quartier entstehen – ein Generationenprojekt, das mindestens bis zum Jahr 2040 dauert. Die Transformation der 17 Hektaren grossen Industriebrache im ländlichen Raum und ohne direkten Siedlungsanschluss ist eine Herausforderung. «In Attisholz soll ein neues Gebiet zum Wohnen und Arbeiten, für Gewerbe, Bildung, Forschung, das Leben, Erleben und Geniessen heranwachsen, das den unterschiedlichsten Bedürfnissen gerecht wird», schreibt die Firma Halter AG auf ihrer Attisholz-Website.

Zur Vision von Halter AG für den neuen Ortsteil gehört die Schaffung einer starken Identität. «Diese soll einerseits durch die Bewahrung ausgewählter Bauten entstehen, andererseits mit den kulturellen und künstlerischen Aktivitäten, welche im Rahmen der Zwischennutzung angesiedelt werden.»

Hier hat also die Zwischennutzung die Funktion eines Wegbereiters für urbane Qualitäten übernommen. Die beachtenswerte Kooperation zwischen Halter AG und dem Verein BTS hat erste Erfolge verbucht. Halter AG hat markante Vorinvestitionen in die definitive Infrastruktur getätigt, indem sie Mitte 2018 der Öffentlichkeit eine Arena mit 800 Sitzplätzen und einen innovativen Spielplatz inklusive Bepflanzung übergab. Dies, bevor auch nur eine einzige neue Wohnung gebaut ist. 2019 wird die Halter AG überdies den Zugang zum Aareufer öffnen - eine in jeder Hinsicht untypische Arealentwicklung.

Zwischennutzung
Der Begriff Zwischennutzung kam im Diskurs über Freiräume in der 68er-Bewegung auf. Später entwickelten sich Kooperationen zwischen Nutzenden und Eigentümern. Heute ist der Begriff auch in der Immobilienbranche salonfähig.
Zwischennutzung
Um eine extrovertierte Zwischennutzung mit Erfolg zu verwirklichen, sind viele Aspekte und Randbedingungen zu berücksichtigen. Dazu gehören das Raumpotenzial, die Umgebung, Verträge und Erträge sowie die Finanzierung. Eine Übersicht.
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